Kurz & Klein


Hier in der Kurz-&-Klein-Box bekommt der Leser immer eine ziemliche Latte Text um die Ohren gehauen. Damit der Kampf durch eine solche Textmenge kein zu harter wird, empfiehlt sich dem Autoren, einen roten Faden durch diesen Kasten zu ziehen – ein Leitthema zu suchen. Dieses soll diesmal – gewohnt willkürlich ausgewählt und nur mit viel Mühe auf jede der hier besprochenen Veröffentlichungen herunter zu brechen – der Kampf sein. Ausgerechnet.

Da kommen uns die Sisters gerade recht. Die sieben afrodeutschen Frauen, die als Sisters Keepers bei der künstlerischpolitischen Vereinigung Brothers Keepers bereits einen Gastauftritt hatten, haben gleich einen zweifachen Kampf auszufechten: Sie wenden sich gegen Rassismus und setzen sich, wie der Albumtitel gendeh riots (Echo Beach/Indigo) schon verrät, für die Emanzipation ein. Das ist eine gute Sache, die im Verein Sisters e. V. eine noch pragmatischere Seite hat. Doch musikalisch und textlich kommen die Sisters wie eine Kampagne des Bundesfamilienministeriums daher – pädagogisch bemüht, steif und ein bisschen peinlich. Vor allem die glatte Produktion dieses beliebigen Black-Music-Reigens ist gruselig.

In diesem Zusammenhang (und auch in Sachen „Gender Riots“) brauchen wir freilich keine großen Worte über das neue Teeniezimmer-Pin-up Katy Perry verlieren. Hoppla, sie küsst auch mal ein Girl, schaut noch am Ende einer halbtägigen Fotosession wie ein junges Reh bei Gewitter, und landet auf ihrem Debüt one of the boys (EMI) mit ihrem geradezu kämpferisch inspirationsfeindlichen Poprockpop irgendwo zwischen Avril Lavigne und No Doubt. Schau dir ein Bild von diesem Mädchen an und frag dich dann, welches Jahrzehnt wir gerade schreiben? Ca. die 1950er, würde ich mal sagen – in Sachen Style und Geschlechterrollenverständnis auf jeden Fall.

Welchen Kampf Nosie Katzmann auf greatest hits (GIM/Membran) ausficht, ist schwer zu sagen. Produziert von Edo Zanki (Söhne Mannheims) führt er die Schlager seiner 9oer-Hitautorenkarriere in folkigen, poppigen und rockigen Studiomusiker-Arrangements noch einmal auf – sie schoben damals Culture Beat, Captain Hollywood, Scooter etc. in die Charts. Und beweist uns damit, nach zehnjähriger Burnout-Zwangspause … was denn? Dass seine Hits richtig gute Songs waren? Er auch „richtige“ Popmusik spielen kann? Eine äußerst seltsame Sache, diese Platte. (Mehr zu ihm auf S. 15) Jetzt aber weg vom Chartspop und hin zu: Eskobar? Ausgerechnet. Eine Frage: Nehmen Sie es uns übel, dass wir das fünfte Album der Schweden hier so knapp abfertigen? Aber was soll man dazu denn noch groß sagen? Zu death in athens (Cargo), einer Platte, in der einem ein Dutzend Songs unterkommt wie Schnupfen? Alles passiert hier in einem einzigen Sound und Rutsch und Tempo und Schmachten, ohne dass fürs Radio oder auch nur einen Spaziergang zum Obstladen auf der anderen Straßenseite ein Hit hängen bleibt. Oder sonstwas.

Man kann das doch z.B. auch wie Amanda Rogers machen. Ganz einfach nämlich. Sie singt am Ende des klitzekleinen Openers „I’m Awake“ ihres Albums heartwood (Expect Candy/ Cargo) fünfmal „I’m awake, I’m awake, I’m awake, I’m awake, I’m awake“ und schon bleibt was hängen. Dass Amanda wach ist. Und wild entschlossen, der Welt in niedlichen und zuweilen dennoch ganz schön pompösen Liedermacherpopliedern mitzuteilen wie es in der ihren so zugeht. Es ist eine häusliche und immer ein Du da zum Ansingen. Der Kampf, ihre Songs nach dem abschließenden „Lullaby“ wieder aus dem Ohr zu bekommen, ist zwar auch ziemlich schnell für uns entschieden. Aber ihre Stimme bleibt da noch ein bisschen.

Der erste und wohl auch nachdrücklichste Eindruck, der bei A place where painters meet (Defiance/Cargo), dem Albumdebüt der Hamburger Band Saboteur, bleibt, ist der: Die mögen Sonic Youth. Und Motorpsycho. Und überhaupt so manches aus den alternativen 9oern. Diese Behauptung würde das Quartett um Peter Tiedeken, der zuletzt bei The Robocop Kraus als Bassist ausgeholfen hatte, wohl nicht groß anfechten. Nur: Der richtige Sound ist noch nicht der Song ist noch nicht der Hit. Nicht, dass a place where … ein Hitalbum sein will; aber es wäre wohl schon gerne mehr als nur: nett.

Für eine künstlerische Unternehmung wie Maluco käme die Zuschreibung „nett“ wohl umgehend einer Kriegserklärung gleich. Von wegen dem Anspruch. Man veröffentlicht schließlich bei Karaoke Kalk, arbeitet wochentags bei und für Sefior Coconut und Vladislav Delay, man covert Eno & Cale („River“) und hat mit right time ganz gewiss ein „No-Genre-Album“ aufgenommen. Womit sich Freunde von Motorpsycho oder The Robocop Kraus um den Block jagen ließen. Der more sophisticated Hörer stellt jedoch die Lauscher auf, goutiert die Brüche, Effektfallen und mannigfaltigen elektronischen Geräuschbeigaben und findet darin immer noch genug Pop.

Kommen wir am Ende zu drei dicken Empfehlungen, die so subjektiv wie nachdrücklich durchzuboxen, der mir kampflos überlassende „Kurz & Klein“-Kasten Gelegenheit gibt:

Pivot sind die ersten Australier auf dem Warp-Label. Sie halten den Schnabel und spielen instrumentalen Postrock, der folgerichtig von Postrock-Mastermind John McEntire (Tortoise u. v. a.) produziert wurde. Und dieser Postrock hat auf dem Debüt o Soundtrack my heart gleich mehrere Stärken: Er besitzt nicht nur die große melodische Kraft und immer sofort als gravitätisch zu beschreibende Anmut einschlägiger großer Schweiger von Vangelis bis Mogwai. Er hat zudem ganz feste Funk und Biss wie Trans Am, vertieft sich in Motiven und Visionen wie im Krautrockneber und verliert doch keinen Moment seine Stringenz oder verfällt – die Gefahr am Gegenpol – in akademische Spielweisen. Muss live die Bombe sein!

Ganz andere Liga: David Vandervelde. Der Mann kann einem als Argument schon genügen, will man noch mehr Leuten predigen, dass der sich aktuell gar bis Fleetwood Mac und Todd Rundgren ausstreckende Indiepop der allerschönste ist. Die folgende kühne Vision transportierend: Sehr bald schon streichen wir dieses „Indie“ weg, scheren uns überhaupt nicht mehr um irgendwelches olles cooles Nichtdürfen und finden alles prima, was uns selig macht. Ja, auf solche Ideen bringt einen wAiTiNG FOR THE SUNRisE (Secretly Canadian/Cargo)! Eine elektrostatisch und psychdelisch aufgeladene Platte mit jubilierenden und kräftigen, aber sich nie richtig entladenden Gitarren, dampfender Hammond, und das Tambourin liegt immer griffbereit. Zuweilen fast wie ein Solo-Lennon, der sich tatsächlich frei zu spielen weiß, von allem – der Vandervelde.

Am Ende: Stove Bredsky (hieß mit Vornamen auch schon Stovetop und Steev und Steve, knallt sich zudem immer wieder andere Vokale in den Nachnamen und war außerdem Sänger von Cave In). Der schält auf seinem Album the Black ribbon awahd (Hydra Head/Indigo) aus Bergen aus phantasievoll angerichtetem Krach, freihändigem Gitarren-Wroom und Schlagzeugarbeiten mit weiten Ausholbewegungen immer wieder Songs von einer solchen Felsbrockigkeit, dass man beim (lauten!) Anhören die Hände über den Kopf verschränken möchte. Die wahre Gewaltigkeit steckt aber dennoch in dem Popappeal, der gegen alle Umstände in diesen 18 groben Stücken steckt. Guided By Voices,The Flaming Lips, Butthole Surfers, Queens Of The Stone Age. Kann Stove alles ganz alleine. Und Hippieballaden, die „Orange Sunshine Medirine“ heißen, spielen, auch.