Bryan Adams: auf dem Holzweg – Flucht aus Sherwood Forest


Bryan Adams ist ein Mann des Waldes: In den 80ern knüppelte er seinen kanadischen Holzhacker-Rock in die Charts der Welt, nun kehrt er dorthin ausgerechnet mit einer Robin Hood-Schnulze zurück. Doch der Holzweg führte ihn zu einer Lichtung - auf seinem neuen Doppelalbum hobelt er die Klampfe, daß die Späne fliegen.

Robin Hood nervt ihn jetzt. „Ich hasse dieses Video!“ Bryan Adams hat sich in Rage geredet, und das Video, das er haßt, ist sein eigenes: das von „(Everything I Do) I Do It For You“, dieser Drei-Minuten-Romanze mit Dahinschmelz-Garantie zum neuen Robin-Hood-Film, die Adams gerade den bislang größten Hiterfolg seiner Karriere beschert hat. „Videos sind überhaupt überflüssig. Da können sich die Hörer gar keine eigenen Bilder im Kopf machen. Und meins – es ist ein reiner Werbespot für den Kino-Film.“ Er zuckt mit den Schultern. „Den Video-Regisseur hab nicht ich ausgesucht.“ Aber manche Dinge müssen eben sein, wenn man auf seine Arbeit aufmerksam machen will. Interviews zum Beispiel. Die haßt er auch, weil es ihm unangenehm ist, über sich zu erzählen. Sonst noch was? „Studioarbeit. Darum hab ich auch die Open-Airs mit ZZ Top gespielt. Ich mußte einfach raus. Ich fühlte mich schon wie ein Maulwurf, ich dachte, jetzt krieg ich bald ganz weiße Haut und kleine rote Äuglein.“ Kein Wunder. Dreieinhalb Jahre sind seit seiner letzten LP Into The Fire vergangen. Während der ersten anderthalb davon hat er mit seinem langjährigen Partner Jim Vallance Songs geschrieben, aufgenommen, für schlecht befunden, am Ende die Bänder auf den Müll geworfen, Jim Vallance gefeuert und sich mit Mutt Lange zusammengetan, der zum Produzenten und wichtigsten Co-Writer des neuen Doppelalbums wurde. Es heißt Waking Up The Neigbours und klingt auch so: sechzehn Songs, die weit weg sind vom introvertierten Ernst der letzten Platte, wuchtiger Mainstream-Rock mit Humor und Partylaune. „Mutt Lange hat mir beigebracht, mich zu entspannen und alles locker laufen zu lassen. Als wir anfingen, zusammen zu arbeiten, war ich total frustriert von den schlechten Ergebnissen zuvor und dachte, ‚mein Gott, wie lange dauert das noch, ich will endlich fertig werden.‘ Und er sagte: ‚Mann, Adams, entspann dich, laß dir Zeit, wir kriegen das hin.'“

Vorbei die Zeiten der Reckless-LP, als Bryan Adams noch völlig eigenverantwortlich ohne Produzent arbeitete, und am Ende alle Musiker seiner Band – die übrigens bis heute die gleiche ist – sauer auf ihn waren, weil sie sich von seinem Perfektionismus überfordert fühlten. Diesmal konnte er sich erlauben, auch mal ein Wochenende freizunehmen und nicht an Musik zu denken, während Lange im Studio die Arbeit überwachte – oder auch im Beisein des Meisters rigoros die Initiative ergriff: „Einmal hatten wir einen Song, bei dem Strophe und Refrain einfach nicht zusammenpaßten. Mutt spulte das Band zum Beginn der Strophe, drückte auf die Löschtaste, und ließ sie erst beim Refrain wieder los. Ich schrie, ‚was machst du da!?‘, und er sagte: ‚So, jetzt schreiben wir eine neue Strophe.‘ Das bedeutet auch: Er hatte Vertrauen. Vielleicht hat er ein bißchen was deutsches, sein Name klingt zumindest so.“

Seit wann ist Vertrauen denn etwas typisch deutsches? „Oh, die Deutschen sind sehr zuversichtlich und selbstsicher.“ Adams steigt gern auf das Thema ein. Endlich eines, bei dem er nicht über sich selbst reden muß. „Ihr kommt zusammen, reißt die Mauer ab, zack, ‚es wird schon klappen.‘ Kein anderes Land der Welt hätte das geschafft, und es funktioniert.“ Im Moment funktioniert es ganz und gar nicht. „Aber das sind deine Brüder, Mann! Die Leute waren jahrzehntelang im Gefängnis, ihr müßt ihnen helfen! Ich setze große Hoffnungen in das neue Deutschland.“ Offenbar sind die Kanadier auch ganz schön zuversichtlich. Wie sind sie denn sonst, im Vergleich zu den Deutschen? „Anders.“ Bryan Adams nimmt einen Schluck von dem Bier, das er aus Höflichkeit mittrinkt, nachdem er den Journalisten zu einem eingeladen hat. Bekanntlich mögen alle Deutschen Bier. Sagt Adams.

„Kanada ist ein Schmelztiegel. Ohne Geschichtsbewußtsein.“ Er lebt nach wie vor in seiner Geburtsstadt Vancouver. Wieso geht er eigentlich nicht nach Los Angeles oder New York, wie so viele seiner kanadischen Kollegen? Adams beugt sich nach vorn. „Hör zu“, sagt er, und wird noch ein bißchen ernster. „Ich bin da aufgewachsen. Es ist nicht so schnell und vernetzt wie L.A., vielleicht ein bißchen rückständig, aber wunderschön, und Kanada ist eines der freisten Länder der Welt. Bloß die eigene Geschichte, die ja auch eine indianische Seite hat, kümmert keinen. Ich hab versucht, in Vancouver dafür etwas Aufmerksamkeit zu wecken. Aber weder die Natur noch die Kultur werden geschützt. Jeder kann mit ein paar Millionen und ein paar Bulldozern ankommen und draufloswalzen. Vancouver ist erst hundert Jahre alt. Aber ich kann nicht mal mehr mein Elternhaus anschauen, weil es weg ist. Da steht jetzt ein Firmengebäude. Der Wald, in dem ich als Kind gespielt hab, ist grade für ein Einkaufszentrum abgeholzt worden. Das Haus meiner Großeltern hier in England dagegen steht immer noch. Und ich weiß, es wird immer da sein.“ Bryan Adams, der Traditionalist. Zumindest in seiner Musik braucht er keine Trend-Bulldozer über den guten alten Rock & Roll walzen zu lassen. Sein neues Album kommt mit wenigen Synthesizern aus, protzt mit satten, simplen Gitarrenriffs und dürfte auf der Bühne problemlos umzusetzen sein.

Während der Tour mit ZZ Top probierte Adams einige Songs schon mal aus, flog alle paar Tage nach London, wo die Bänder gemischt wurden, und änderte gemäß den Live-Erfahrungen Tempo oder Arrangement eines Stücks – oder auch Textfragmente, wobei er sich diesbezüglich keinen Platz für den Literaturnobelpreis auf dem Kaminsims freizuhalten braucht: zwischen frech grinsender Anmache und leidenschaftlichen Liebesschwüren variiert der schmale Blonde wieder mal fast ausnahmslos Rocksängers Lieblingsthema, mal originell („If You Wanna Leave Me, Can I Come Too?“), mal eher abgedroschen („All I Want Is You“). Aber vorwerfen läßt er sich die fehlende Scheu vor Klischees nicht. „Gibt’s irgend etwas wichtigeres im Leben als die Liebe? Und es kommt beim Singen auch weniger darauf an, was man sagt, sondern vielmehr darauf, wie man es sagt. Wenn du’s richtig machst, kann auch die einfachste Zeile anrührend sein. So wie in ‚Everything I Do‘ – der Song könnte kitschig sein. Aber ich glaube an die Zeilen, die ich singe, und deswegen bekommen sie Bedeutung.“

Die kleine Tochter seines Keyboarders kommt aus dem Hotelrestaurant an unseren Tisch im begrünten Hof, stellt ein rosarotes Spielzeugtelefon auf den Tisch, und sagt, Adams Manager sei dran. Er wimmelt sie liebevoll ab. „Das Schönste am Musikmachen ist der Moment, wenn man einen Song fertig aufgenommen hat und das Band im Studio zum ersten Mal abhört. Das zweitschönste ist, den Song dann live zu spielen und zu sehen, wie das Publikum darauf reagiert. Es kommt schon mal vor, daß ich auf der Platte ein ‚Yeah‘ gesungen habe und es auf der Bühne weglasse – und dann hör ich, wie es die Leute im Publikum singen. Erstaunlich.“ Er hat eben ein Händchen fürs Einprägsame. Und ein Öhrchen: Als ihm die Robin-Hood-Macher den Instrumental-Soundtrack schickten mit der Bitte, aus irgendeinem der Themen einen Song zu basteln, wurde er schnell hellhörig. „Die Melodie, die später der Anfang von ‚Everything I Do‘ wurde, fand ich wunderschön, fast klassisch. Eine Melodie, die jemandem in Chile oder in Japan genauso gefallen könnte, wie jemandem in Amerika oder Deutschland.“ Folgerichtig heißt die Adams-Maxime:

„Wenn mir eine Melodie im Ohr hängen bleibt, dann wird sie hoffentlich auch bei anderen hängenbleiben.“ Trotzdem finde er es schwierig, sagt er, die Qualität der eigenen Arbeit abzuschätzen. Wenn ein Song fertig ist, spielt er ihn seiner Band vor, um zu sehen, wie die Reaktionen ausfallen. Freunde oder Geschwister sind ebenfalls hochgeschätzte Versuchskarnickel – und Bryan Adams hat da ein besonders scharfes Auge: „Ich hatte mal eine Freundin – das ist jetzt ein bißchen derb – äh …“, er grinst, „bei der sah ich, daß ein Song gut war, wenn sich ihre Brustwarzen aufrichteten.“

Bleibt abzuwarten, wie die Brustwarzen der Plattenkäufer auf Waking Up The Neigbours reagieren. Die balladeske Hitsingle ist schließlich völlig untypisch für den Rest der Platte. Hat man da ein klein wenig Angst, wenn so eine LP endgültig fertig ist? „Nein, es ist bloß eine riesige Erleichterung. Erinnerst du dich noch an den Tag, an dem du die Schule abgeschlossen hast? So fühle ich mich grade. Ich hab zwar das Zeugnis für die Platte noch nicht gekriegt, aber Hauptsache, ich hab die Prüfungen hinter mir.“