Abhängigkeit macht frei


Wieso the kills in diesen indiefeindlichen Zeiten noch da sind? Weil sie immer besser werden. Ein Gespräch mit Sängerin und Gitarristin Alison Mosshart über die Freiheit der Kunst, Lady Gaga und das Aufgeben von alten Lastern.

Alison Mosshart ist heute nicht so gut sortiert. Die Sängerin und Gitarristin der Kills wird im folgenden Interview öfter nur das nötigste Maß an Kooperationsbereitschaft aufbringen, sie wird manchmal schnippische Antworten geben, manchmal genervt reagieren und manchmal Antworten verweigern, aber sie wird nicht eine Sekunde lang daran denken, den Kaugummi aus ihrem Mund zu nehmen. Wir haben Alison Mosshart trotzdem lieb, weil sie zusammen mit Jamie Hince vor mehr als zehn Jahren The Kills gegründet hat, eine der nachhaltigsten und besten Bands der Garagenrock-Revolution vom Anfang des vergangenen Jahrzehnts.

Mosshart und Hince sind leidenschaftliche Kettenraucher. Der Ort des Interviews hat also eine Mindestanforderung zu erfüllen. Man muss dort rauchen dürfen. So ist das Label der Kills auf das „HBC“ gekommen, eine hippe Multifunktions-Event-Location gleich neben dem Fernsehturm in Berlin-Mitte mit Bar, Kunstgalerie, Kino und Restaurant, die mit ihrem alten DDR-Charme kokettiert. Schade nur, dass Alison Mosshart vor kurzer Zeit aufgehört hat zu rauchen. Es sei einfach nicht mehr so weitergegangen, klagt die 32-Jährige. „Ich habe zuletzt zwei Packungen Zigaretten am Tag geraucht. In der Hinsicht gibt’s für mich nur alles oder nichts. Ich bewundere Menschen, die in der Lage sind, nur fünf Zigaretten am Tag zu rauchen.“ Jetzt verstehen wir auch das mit dem Kaugummikauen. Es hilft gegen Entzugserscheinungen.

The Kills standen beim Garagenrock-Revival der Nullerjahre immer in der zweiten Reihe. Damals waren es andere Bands, die in den Mittelpunkt des Interesses rückten. Manche von ihnen sollten bald danach zu Superstars werden, The White Stripes zum Beispiel. Ähnlich wie dieses große Mann-Frau-Duo werden auch die Anfänge von Mosshart und Hince von Legenden und Mythen umrankt. Sie nannte sich am Anfang „VV“, er „Hotel“. Und da war auch noch die unkonventionelle Arbeitsweise, die dem ersten öffentlichen Lebenszeichen der Band, der Black Rooster EP aus dem Jahr 2002, vorausgegangen war. Die Amerikanerin Mosshart hatte damals noch in den USA gelebt und der Engländer Hince in London. Die beiden mussten sich Tapes mit ihrer Musik per Post zuschicken. „Wir haben uns in London getroffen, als ich ungefähr 18 oder 19 war“, erzählt Mosshart. „Wir freundeten uns an. Und er brachte mich dazu, selber Songs zu schreiben. Jamie lieh mir ein Vierspuraufnahmegerät, das ich auf Tour mitnehmen konnte – ich war damals Mitglied einer anderen Band, Discount. Ich habe auf Tour einige Sachen aufgenommen, und als ich nach London zurückkehrte, habe ich sie Jamie vorgespielt. Er hat mich ermutigt, weiterzumachen. Auf diese Weise habe ich Selbstvertrauen entwickelt, und als ich wieder nach Hause nach Florida gekommen bin, habe ich Jamie alles, was ich aufgenommen hatte, zugeschickt. Dann hat er seine Sachen dazugefügt und es wieder zurückgeschickt. Auf diese Art haben wir gemeinsam Musik gemacht, obwohl wir 4000 Meilen entfernt voneinander gewohnt haben. Das war sehr eigenartig, aber auch sehr cool. Wir mussten uns die Musik per Post schicken, E-Mail gab es damals noch nicht, auf jeden Fall hatten wir beide noch keinen Computer. Und dann weiß ich auch nicht … Ich konnte Florida einfach nicht mehr ertragen, ich habe es richtiggehend gehasst. Da habe ich beschlossen, nach London zu gehen, und ich bin niemals zurückgekehrt.“

Der Reiz der Kills geht von den Gegensätzen, der Besetzung und der daraus resultierenden Instrumentierung aus. Mann und Frau, Engländer und Amerikanerin, Drummachine statt Schlagzeug. Der Verzicht auf Mitmusiker, die vielleicht auch nur bei den Liveauftritten der Kills auf der Bühne stehen, diese freiwillige Selbstbeschränkung auf das Duoformat, ist prägend für den Sound der Band. Zumindest sind The Kills im Verlauf ihrer elfjährigen Historie zu keiner Zeit Gefahr gelaufen, in diesen opulenten Schweinerock-Sound zu verfallen, der manche ihrer Zeitgenossen der Belanglosigkeit ein Stückchen nähergebracht hat. Die Bedeutung der Kills hat sich aber nie so recht in Plattenverkäufen manifestiert. Platz 47 in Großbritannien war die bislang höchste Chartnotierung für The Kills. Aber genau diese vermeintliche Erfolglosigkeit, gemessen an den Maßstäben des Mainstreams, könnte ein Grund dafür sein, weshalb sie immer noch da sind. Wer keinen Erfolg hat, muss keine Kompromisse eingehen und darf von Album zu Album immer besser werden. The Kills haben den engen Rahmen ihrer Variationsmöglichkeiten perfekt ausgenutzt. Wir erinnern an das dritte Album der Band, Midnight Boom aus dem Jahr 2008. Darauf hatten Mosshart und Hince ihren Punk-befeuerten Minimal-Blues-Rock mit ein paar hübschen elektronischen Elementen aufgeladen. Mit dem Abstand von drei Jahren liest sich die Tracklist von Midnight Boom wie ein „Best Of The Kills“: „U.R.A. Fever“, „Cheap And Cheerful“, „Tape Song“, „Last Day Of Magic“, „Black Ballon“, „Sour Cherry“ – alles Hits. Mosshart und Hince hatten es sich sogar leisten können, einen der besten Songs aus den damaligen Sessions, „London Hates You“, auf der B-Seite der Single „Tape Song“ zu verstecken. Die Alben der Kills entwickeln eine gewisse Langzeitwirkung, deshalb ist es noch zu früh, ein abschließendes Urteil über das vierte, Blood Pressures, zu fällen, obwohl es schon nach ein paar Hördurchgängen die Züge eines weiteren Geniestreichs vermittelt.

Wichtig für das Band-, oder sollten wir sagen, Duogefüge ist die Dynamik, die sich aus der sehr langen Verbundenheit zwischen Alison Mosshart und dem zehn Jahre älteren Jamie Hince ergibt. „Er ist wie ein Familienmitglied für mich. Es ist eine Freundschaft, wir fühlen uns wie Bruder und Schwester“, sagt Mosshart und gerät dabei leicht ins Schwärmen. „Wir zanken uns immer ein bisschen. Manche Leute machen sich auch lustig über uns, sie sagen:, Oh Gott, ihr seid wie ein altes Ehepaar.‘ Wir sind uns eben sehr nahe, weil wir uns schon so lange kennen. Die Hälfte der Zeit wirkt es so, als ob wir derselbe Mensch sind, in der anderen Hälfte sind wir so verschieden. Die Zeit macht komische Sachen mit Menschen, die sich schon so lange kennen. Es gibt Perioden, in denen wir richtig nett zueinander sind – wir haben eben schon alles mitgemacht. Es gibt nicht sehr viele Leute in meinem Leben, die ich so lange kenne wie Jamie, außer meinem Bruder und meinen Eltern.“

Jamie Hince ist seit September 2007 mit Model Kate Moss zusammen, was den Kills indirekt einen kleinen Gossip-Faktor beschert hat und Moss nicht schlecht bekommen ist. Offensichtlich wirkt Hince skandalmindernd auf seine Beziehungspartnerin. Sie tauchte vorher während ihrer Liaison mit „Skandalrocker“ Pete Doherty ständig in den Schlagzeilen der Yellow Press auf. Dass sich die Klatsch- und Mainstream-Medien seit ein paar Jahren auch für Hince interessieren, stellt allerdings lediglich eine Fußnote in der Geschichte der Band dar. Auch wenn manche Leute The Kills mittlerweile als „die Band des Freundes von Kate Moss“ wahrnehmen, wahrgenommen wird sie auf jeden Fall. „Ich glaube nicht, dass diese Leute etwas über die Band wissen“, meint Mosshart. „Die meisten wissen, dass Jamie Musik macht, aber sie interessieren sich für uns als Band einen Scheiß. Sie sind eher daran interessiert, was The Kills für Kleidung auf Fotos tragen. Ich glaube, es hat keine Bedeutung für die Band. Deshalb sind die Plattenverkäufe nicht nach oben gegangen, wir spielen auch nicht in größeren Hallen. Ich glaube, dass diese Sache keine Auswirkungen auf unsere Welt hat.“ In der Vergangenheit hat sich Alison Mosshart in Interviews immer sehr positiv über Kate Moss geäußert. Die Frage, ob sich etwas für sie persönlich geändert habe, seitdem ihr enger Freund mit dem Model zusammen ist, beantwortet sie mit: „Ich weiß nicht, wenn du mich das vor drei Jahren gefragt hättest, hätte ich wahrscheinlich etwas dazu gesagt. Da war alles noch so neu, und ich hatte das Gefühl, dass sich jetzt alles ändern würde. Heute aber ist das normal für mich.“ Die Frage nach ihrem persönlichen Verhältnis zu Kate Moss will sie dagegen gar nicht beantworten. „Tut mir leid, ich möchte darüber kein Interview machen.“ Eine Antwort, die sehr viel Spielraum für Interpretationen und Spekulationen lässt.

Die Anfänge der Kills fallen in die Zeit, in der erstmals so viele CD-Rohlinge wie Original-CDs verkauft wurden, als das Internet langsam zu einer realen Bedrohung der herkömmlichen Vertriebswege der Plattenfirmen geworden ist. Seitdem hat sich die Lage nicht wesentlich gebessert für die Labels. Langsam aber weitet sich die Krise der Branche zu einer Krise der Bands aus. Illegale Downloads gefährden die Existenz von Musikern und Bands, weil diese nicht mehr für ihre Arbeit bezahlt werden. Wer den anhaltenden Niedergang der Musikindustrie überleben will, muss sein Betätigungsfeld erweitern. Denn mit den Einnahmen aus Plattenverkäufen lässt sich heutzutage nicht mehr die Miete zahlen. Es klingt paradox: Um die künstlerische Freiheit zu wahren, sind Musiker gezwungen, die Mechanismen der multidisziplinär gewordenen Unterhaltungsindustrie zu durchschauen und ihr Spiel mitzuspielen. The Kills können das ganz gut. Ihr Song „Sour Cherry“ war in einer Folge der TV-Serie „Gossip Girl“ zu hören, „Cheap And Cheerful“ in „Dr. House“ und in einem Werbespot für Fendi-Parfum. Alison Mosshart hat Modeshootings für Magazine wie GQ gemacht und sich von der Vogue als Stilikone feiern lassen. Mosshart sieht das alles eher pragmatisch. „Die Musikindustrie hat sich verändert. Deshalb müssen wir alle mit der Zeit gehen. Wir können nicht dasitzen und die vergangenen Zeiten betrauern. Wir müssen alle unser Geld verdienen. Ich glaube, es gibt clevere Arten, das zu tun, und dumme Arten. Ich verdiene mein Geld komplett mit der Musik, und die taucht eben manchmal in, Gossip Girl‘ auf. Aber ich muss auch zugeben, dass ich, Gossip Girl‘ liebe. Ich fühle mich nicht unwohl dabei, es geht darum, Entscheidungen zu treffen, die dir gefallen. Es sind persönliche Entscheidungen, ich würde nichts tun, hinter dem ich nicht stehe. Ich muss sagen, dass es ohne das Geld der Mode- und Filmindustrie unsere beiden letzten Platten nicht gegeben hätte, weil unser Label nicht genug finanzielle Mittel hat, um uns einen Studioaufenthalt zu finanzieren. Das Geld der Mode- und Filmindustrie gibt einem heutzutage die Freiheit, solche Sachen zu machen. Mittlerweile bezahlen die Bands für die Platten, die sie machen, nicht mehr ihre Labels. Wir haben für unsere erste EP und die Hälfte unseres ersten Albums bezahlt.“

Mossharts Verhältnis zu Mode und Style ist an und für sich von einer erfrischenden anti-indiefaschistischen Lockerheit geprägt. „Mode ist eine Form des Ausdrucks deiner selbst. Du trägst dein Innerstes nach außen. Es ist natürlich Fantasie, es geht um Vorstellungskraft und Eskapismus. Mir geht es nicht so sehr um Mode, sondern um Style. Style ist eine ganz eigene Kunstform, die ich sehr schätze.“

Vor dem Hintergrund der veränderten Marktbedingungen wirkt es ein bisschen anachronistisch, dass The Kills für „Satellite“, die erste Single aus ihrem vierten Album Blood Pressures, einen Videoclip gedreht haben. Ein Musikvideo ist heute nicht mehr dazu geeignet, die Popularität einer eher unbekannten Band zu steigern. Man stolpert nicht mehr zwangsläufig über Musikvideos in den Nischenprogrammen der Musiksender, weil es weder die einen noch die anderen mehr gibt. Wer heute einen Videoclip sehen will, muss aktiv im Internet danach suchen. Und mit ein bisschen Glück findet er es auch ohne die Meldung „In deinem Land nicht mehr verfügbar“, mit der Videos, die von ums Urheberrecht besorgten Labels gesperrt wurden, gekennzeichnet werden. Nicht nur aus diesem Grund gehört eine Menge Idealismus zu der Entscheidung für ein Musikvideo. „Früher wurden auch die Videoclips von den Labels bezahlt“, sagt Mosshart. „Wenn du aber heute ein Video machen willst, musst du es selber zahlen. Es sei denn, du bist Lady Gaga. Wenn sie einen Clip aufnehmen will, kommen 25 große Unternehmen und bezahlen für das Product-Placement, und im Video hat Lady Gaga dann Coca-Cola in ihren Haaren und Zigaretten wachsen ihr aus dem Gesicht. Auf diese Weise wird das Video finanziert.“

Nebenbei ist Alison Mosshart noch die Sängerin von The Dead Weather, bisher das Drittprojekt von Jack White, das zur Hälfte aus Musikern aus Whites bisherigem Zweitprojekt The Raconteurs besteht, das wiederum nach dem Ende der White Stripes zu seiner Hauptband aufgestiegen sein dürfte. The Kills und The Dead Weather kommen sich nicht ins Gehege, weder terminlich noch stilistisch. „Es ist großartig, weil beide Bands so unterschiedlich sind. Ich würde nicht Mitglied zweier Bands sein wollen, die sich ähnlich sind.“ Auf der einen Seite steht der eher spontane, laute, kreischende Jam-Rock von The Dead Weather, auf der anderen der subtile, minimalistische Art-Rock der Kills. Auch wenn Mosshart zugibt, dass es von Zeit zu Zeit verwirrend sein kann, Mitglied in zwei Bands zu sein. „Manchmal gibt es Augenblicke, in denen ich mehr arbeite als normalerweise“, sagt sie. „Es hat schon Zeiten gegeben, da hatte ich zwei Jahre lang keinen freien Tag, nicht einmal am Wochenende, das ist schon extrem. Ich bin da aber anders gestrickt, weil mir das normalerweise nichts ausmacht. Ich liebe das, was ich tue. Und ich will von ganzem Herzen mit der Band, in der ich bin, ins Studio gehen. Ich fühle eine Verantwortung, deshalb bin ich hier. Ich mag nicht rumjammern deswegen. Aber zu manchen Zeiten war es schon verrückt. Aber es war es wert.“

Jamie Hince war unterdessen in einem anderen Raum des „HBC“ damit beschäftigt, Fragen von Journalisten zu beantworten. Zum Ende des Interviews kommt er herein, um ein paar Sachen zusammenzupacken und seinen Laptop mitzunehmen. Er ist sehr gut gelaunt. Er raucht eine Zigarette.

CD im ME S. 19; Albumkritik S. 86