Kolumne

Aidas Popkolumne: I can tell that we are going to be friends


Hear ME Out: Aida liegt krank im Bett und denkt über Freundschaft nach. Denn mit der fängt alles an.

Was soll ich euch sagen, liebe Leser*innen, ich lag letzte Woche krank im Bett und wusste doch auch nicht mehr weiter. Und so gut COWBOY CARTER dann doch geworden ist, auch Beyoncé kann nicht gegen die Schlechtigkeit der Welt alleine ankommen (und hätte dieses seltsame Jolene-Cover, in dem sie Jolene with the good hair bedroht, wirklich sein müssen? Ich weiß ja nicht). Kinder verhungern in Gaza, im Jemen, im Sudan oder in Myanmar (und an so vielen anderen Orten der Welt), in Oldenburg wird schon wieder eine Synagoge angegriffen, Islamophobie ist auch wieder en vogue und nicht nur Fußballstars werden dafür rassistisch angegriffen, dass sie ihre Religion ausleben. Überall übertrumpfen sich mächtige alte Männer (und es sind vor allem Männer) gegenseitig in billigen Drohkulissen, weil die Rechnung für ihre Drohungen weltweit sowieso andere Menschen zahlen.

Aidas Popkolumne: Don’t forget… Cola Boyy

Und hier bei uns vergessen wir anscheinend, worum es eigentlich geht. Und zwar, dass wir Hand in Hand dagegen arbeiten müssen, damit nicht versehentlich unser demokratisches System in die Hände von rechten Hetzern fällt. Dass getrieben vor Zerstörungswut, Lust auf Chaos und Demokratiemüdigkeit wir unsere Gesellschaft von autoritären Hassmaschinen zerfressen lassen. Nicht mal die neue Ärzte-Single „Demokratie (Our Bass Player Hates This Song)“ konnte mich noch motivieren, müde dachte ich: scheiße, wir sind geliefert – selbst Die Ärzte klingen in ihrem Versuch, Menschen von den Basics des friedlichen Zusammenlebens zu überzeugen, wie eine Broschüre der Bundeszentrale für politische Bildung.

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Ich lag also hustend und schwitzend und fröstelnd und niesend im Bett und dachte: Jetzt ist es so weit. Jetzt habe ich auch jegliche Hoffnung verloren. Jetzt, jetzt habe ich selber keine Kraft mehr um irgendeinen Kommentar, irgendein Meinungsstück zu schreiben, in dem ich versuche, Hoffnung zu verbreiten, Hoffnung auf eine bessere Welt, Hoffnung darauf, dass wir das schon hinkriegen, irgendwie. Mein Kopf war einfach zu leer dafür, mein Herz schwer wie zehn Nightliner, ich wusste doch auch nicht mehr weiter.

Aidas Popkolumne: Musicians that break your heart

Was hilft in diesen Momenten? Ich glaube vor allem eines: Freundschaft. Bei mir war es ganz konkret eine Freundin, die an der Tür klingelte, Cheesecake, Äpfel und die ersten Johannisbeeren aus dem Supermarkt mitbrachte, sich auf mein Sofa setzte und mit mir Äpfel knusperte. Oder eine andere befreundete Person, die mir schrieb: „Günaydin Güzelim, wie geht es dir?“ Ich spreche kein Türkisch, ist aber auch egal, denn die Wärme ihrer Wörter kroch trotzdem sogar durch den kalten verschlüsselten Messengerkanal.

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„Friendship is a language“ schreibt Autor*in Sasha Salzmann im neuen Buch „Gleichzeit“, das Salzmann gemeinsam mit dem israelischen Musiker, Autor und Friedensaktivisten Ofer Waldman geschrieben hat. Die beiden schrieben sich über drei Monate Briefe aus Berlin, Budapest und Wien (Sasha) und Haifa (Ofer). Sie schreiben über Trauma und Trauer, über universellen Humanismus, über den anhaltenden Horror, den die Geiseln durchleben, über den anhaltenden Horror der Zerstörung in Gaza, über Leonard Cohen und das Musical Hair und den Sound von Krieg und über Brahms und Pop und Klassik und über Hoffnung, trotz oder vielleicht auch wegen allem. Gestern war Buchpremiere in einem Berliner Theater, ich saß, wieder halbwegs fit, mit den beiden auf der Bühne und statt über das zu reden, was normalerweise als Politik durchgeht, sprachen wir über: Freundschaft.

Aidas Popkolumne: Let’s get out of… the nostalgia loop!

Freundschaft als Versprechen, Dinge auszudiskutieren, Dissens auszuhalten, verschiedene Perspektiven zumindest zuzulassen und auszutesten. Und, vor allem, sich gegenseitig zu stützen, schützen und festzuhalten. Sich gegenseitig zu bestärken, aber auch aufeinander Acht zu geben, wenn eine Person nicht mehr kann. Freundschaft ist ein Hoffnungsmotor, mit Freundschaft fängt alles an. Freundschaft, so beschrieb es Salzmann gestern, ist wie ein Tisch, an dem wir sitzen – und keiner wird aufstehen, bis wir unsere Probleme nicht geklärt haben.

Als der Schlussapplaus durch den altehrwürdigen Saal krachte, dachte ich: Scheiße, ich muss dringend ins Bett. Aber auch: In dieser Welt, die Sasha beschreibt, möchte ich gerne leben. In einer Welt, in der der erste politische Akt bedeutet zu sagen: I can tell that we are gonna be friends.