Interview

Aurel Mertz im Interview: „Gefühle außerhalb des Normalzustands finde ich cool“


Im Gespräch über gutes Scheitern, schlechte Provokation & „Das große Menschenraten mit Aurel Mertz“.

Wir haben uns alle ein bisschen Eskapismus verdient, findet Aurel Mertz. Und genau deshalb hat der 34-Jährige jetzt eine Quiz-Show losgetreten. In „Das große Menschenraten mit Aurel Mertz“ geht es um das Einfühlen in andere Menschen, um das Hineinschauen in fremde Leben und Erraten von Eigenarten – alles mit Humor, Neugier und aus den verschiedensten Perspektiven betrachtet. Mertz rätselt dabei mit Gäst:innen wie Alli Neumann, Phenix und Parshad Esmaeili. Die jeweils ca. 30-minütigen Folgen gibt’s hier zum Bingen und zum Rauszoomen aus dem Alltagsgeballer.

Im Gespräch erzählt der Entertainer, Komiker und Moderator warum er in der Show und auch sonst nichts gegen das Scheitern hat, wieso er sich vorstellen könnte, Pizzabäcker zu werden, was er von Frank Elstner und Alli Neumann lernen konnte und was für ihn schlechte Provokation ist.

Aurel Mertz
Aurel Mertz

Hast du eine gute Menschenkenntnis?

Aurel Mertz: Es ist schon so, dass ich ganz gut einschätzen kann, wie sich jemand gerade fühlt. Also ja, ich glaube, ich bin nicht unempathisch. Was nicht schlecht ist, denn Leute, die so gar keine Empathie haben, sind in der Regel relativ gefährlich …

Aber die können Karriere machen …

… auf Kosten anderer, genau.

Deine Antwort in Bezug auf deine Menschenkenntnis klingt jetzt doch nicht so extra-überzeugt von dir. Dabei nennst du dich in deiner Show „Ratebaron“.

Weil das dem Ganzen eine gewisse Fallhöhe gibt. Ich sehe das so: fake it ‘til you make it. Ich will natürlich das Maximum erreichen, auch wenn ich nicht weiß, ob das klappt. Doch der Druck hilft. Und klar bin ich auch gescheitert. Aber Scheitern macht ja auch Spaß. Es bringt aus der Komfortzone heraus und selbst wenn ich dann Scham fühle, ist das grundsätzlich besser als nichts zu fühlen.

Scheitern ist bei dir positiv konnotiert?

Wenn ich ständig beim Menschenraten scheitern würde, könnte das trotzdem ein Erfolg sein. Dann hat das eine Dramaturgie und unterhält. Doch auch abgesehen von der Sendung kann scheitern wichtig sein, denn nur wenn Dinge öfter mal schief gehen, hat man überhaupt den Impuls, etwas zu ändern. Mit dem Scheitern geht auch eine Motivation einher. Oder geht ein Boxer, der nur gewinnt, überhaupt noch trainieren? Gefühle außerhalb des Normalzustands finde ich jedenfalls cool. Immer das Gleiche bedeutet doch Langeweile. Ich denke da nur an die Zeit mit Anfang 20, wenn man noch nie richtig verliebt war, nichts richtig gefühlt hat – einfach boring.

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Muss das dann direkt langweilig sein? Ich bin nicht überzeugt.

Du willst lieber den Normalzustand?

Genau, und meine Rate-Show am Samstagabend. Gemütlich.

Ja, oder? Das war so ein bisschen der Gedanke dahinter. Es ist eine Feel-Good-Show. Ich habe bisher sehr viel politische und problematische Themen in meinen Formaten behandelt. Auch um mich damit selbst nicht mehr so hilflos zu fühlen. Aber dieses Mal dachte ich mir: Die Welt geht in Flammen auf, es ist eine sehr komplizierte Zeit, wir haben uns alle ein bisschen Eskapismus verdient. Außerdem hatte ich Bock auf Mitraten.

Aurel Mertz
Aurel Mertz

Worauf hast du als nächstes Lust, was steht auf deiner Bucket List?

Ich will neuerdings Pizzabäcker werden. Ich bin öfter mal von Sachen besessen, gerade ist das Pizza. Am liebsten würde ich nach Italien gehen und es da lernen. Ansonsten möchte ich mehr Katzen. Beruflich hatte ich auch immer eine Liste, aber so langsam nähere ich mich dem Endgame. Ich wolle jetzt unbedingt eine Quizshow machen und das auch mit einer eigenen Firma, Space Cabana, und selbst produziert. Als nächstes würde ich vielleicht noch mal eine tagesaktuelle Show oder eine fiktionale Serie machen wollen. Insgesamt ist mir das Abhaken von Zielen aber nicht so wichtig. Vielmehr möchte ich einfach ein geiles Leben haben. Die Leute, die sich selbst so krasse Karriereziele auferlegen, die kreisen sich auch sehr um sich selbst oder so in ihrer Bubble …

… die hängen dann auch eher angestrengt nur mit Karriere fördernden Leuten ab, oder?

Genau. Ein komisches Phänomen. Ich habe zum Beispiel überhaupt keine berühmten Freund:innen. Ich hänge seit zwanzig Jahren mit den gleichen Menschen rum. Vielleicht bin ich auch nicht likeable genug … Aber es interessiert mich letztlich auch nicht. Ich mag, dass mein innerer Zirkel über das normale Leben redet und die eigene Öffentlichkeit nicht immer Thema ist.

Es gibt in Berlin eh nicht so den Promi-Hype, oder? Gerade in Kreuzberg, wo du dich ja viel aufhältst, scheinen die meisten selbst beim Anblick von Royals entspannt.

Ob du einen brennenden Sombrero aufhast oder einen Anzug trägst – es wird dir der gleiche Respekt entgegengebracht. Und ich mag das.

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Ist „Das große Menschenraten“ auch ein bisschen dafür da, um Stereotype kleinzukriegen?

Ja, wir wollen mit Klischee brechen. Ich finde es schön, dass ich durch die Sendung diese unglaubliche Unberechenbarkeit von Menschen feststellen konnte.

Inwiefern bist du selbst unberechenbar?

Aminata Belli hat mal zu mir gesagt, dass sie dachte, ich würde aus einer sehr reichen Familie kommen. Das ist das weirdeste Vorurteil, was man über mich haben könnte, und das hat mich auch echt geschockt. Aber das muss an meinem Namen liegen. Je nachdem wie man den ausspricht, stellt man sich eine andere Person vor. Und alle sagen meinen Namen unterschiedlich.

Na mit deinen unterschiedlichen Formaten bist du ja auch irgendwie immer jemand anderes.

Findest du? Ich habe das Gefühl, ich bin immer der gleiche. Ich mache nur verschiedene Sachen. Aber ich gebe auch in alles, was ich mache, viel von mir rein. Das ist ja auch das Einzige, was ich kann.

In der Show nennst du Alli Neumann dein Vorbild – inwiefern trifft das zu?

Sie ist ein absolutes Vorbild, auf jeden Fall. Am Drehtag kam sie mit Plastiktüten unterm Arm an und als ich sie darauf ansprach, kam raus, dass darin Pfandflaschen waren, die sie vergessen hatte, abzugeben. (lacht) Ich mag einfach ihre Energie. Man konnte sie auch vor der Show schlecht telefonisch erreichen, weil sie vergessen hatte, ihre Handyrechnung zu bezahlen. Also konnte man nur mit ihr sprechen, wenn sie gerade WLAN hatte. Ich finde es toll, wenn Leute ein funktionierendes System aufbauen – was gar nicht mal unbedingt der Norm entspricht – und Erfolg haben. Ich meine, egal, was gerade bei einem abgeht, wenn man noch Spuren von so einer positiven, schönen Energie von sich geben kann, die auch anderen gute Laune macht, ist das total viel wert. Damit gibt man den Leuten auch was zurück.

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Wie kriegst du es hin, so oft bester Laune zu sein und nicht auch mal Verbitterung durchkommen zu lassen?

Ich habe über mich gelernt: Konversation macht mich glücklich. Wenn ich mich mit jemanden unterhalte, werde ich davon nie übellaunig. Gerade wenn ich auf Stand-up-Tour bin, kann es sein, dass ich monoton von A nach B fahre, gestresst und fertig bin, weil ich nur zwei Stunden Schlaf hatte und der Backstagebereich sogar noch nach Pisse stinkt. Aber wenn ich dann auf meinem Handy Instagram öffne und sehe, wie Leute da schon Fotos von sich posten und dazu schreiben, wie sie bereits im Venue sitzen und sich auf meine Show freuen, kriege ich Gänsehaut. Allein wenn ich jetzt daran denke. Und wenn ich danach auf die Bühne gehe, ich schwöre, ich habe die beste Laune des Jahrtausends. Ich bin der glücklichste Mensch der Erde, weil alle da sind, nur um sich mein Gelaber anzuhören. Das ist so nice. Ich habe dazu keine tiefenpsychologische Erklärung parat, aber das ist wahrscheinlich bedenklich.

Aurel Mertz
Aurel Mertz

Als du 2013 bei Frank Elstner die Masterclass angefangen hast, war er da eigentlich auch so etwas wie ein Vorbild für dich in Sachen Herangehensweise, Taktik, Themenwahl?

Ich wusste gar nicht, wer das ist. Dann habe ich meine Mutter gefragt und sie meinte, dass das der Typ aus der Fernsehlotterie ist. (lacht) Erst später haben wir gecheckt, dass er durch „Wetten, dass..?“ bekannt war – in unserem Haus hat deutsches Fernsehen halt keine Rolle gespielt. Er war also zunächst kein Vorbild, aber ich fand seine Arbeitsweise dann sehr vorbildlich. Weil er so frei und kreativ an Dinge herangegangen ist. Wenn man mit ihm rumgehangen hat, konnte es vorkommen, dass er gleich 20 Ideen droppte, und der Großteil blöd war, aber eben auch eine richtig gut. Und ich finde den Gedanken, sich nicht vor Kreativität zu scheuen, ziemlich wertvoll. Man kann auch mal nur Scheiß-Ideen nennen, was soll’s. Aber viele Kreative überdenken alles zu viel. Das bremst. Sie können noch so gut sein – viele sind zu scheu mit ihren Gedanken und glauben, dass erst alles perfekt sein muss, bevor es an die Öffentlichkeit darf. Aber unsere Zeit setzt gerade total auf Quantität statt Qualität, weshalb viele richtig gute Kreative untergehen. Ich habe von Frank Elstner gelernt, dass man es zulassen sollte, auch Dinge rauszuhauen, die am Ende vielleicht doch kein Knaller sind. So gehe ich an X, also Twitter, heran. Da haue ich die losesten Gedanken raus – manchmal ist das gut und manchmal eben schlecht. Ich werde es nur mit dem Veröffentlichen herausfinden und am Ende ist doch alles nicht so schlimm. Ich bin Fan jedenfalls davon, nicht zu zaghaft zu sein und auch mal was auszutesten. Manchmal sind auch 50 Prozent vom Erfolg, dass man selbst dran glaubt. Das würde ich gerne öfter Leuten sagen: Glaub‘ doch an dich! Vielleicht ist das auch Social Media, dass da so ein Bild der Überkompetenz gebaut wird und alle glauben, alles müsste perfekt sein und sich davon erst mal einschüchtern lassen. Aber Kunst ist nie perfekt. Sie ist überraschend und ich weiß doch vorher gar nicht unbedingt, was ich alles als Kunst wahrnehmen kann.

Also glaubst du, dass etwas erst im Nachhinein zur Kunst werden kann? Hauptsache es bewegt, verstört?

Na so hatten wir das ja in den letzten drei Jahren. Alles musste immer sensational sein. Je mehr Provokation, umso besser. Dann reden die Menschen wenigstens drüber. Deshalb lecken Leute auf TikTok Klodeckel ab. Auf X sagen ja viele auch oft genug outragous shit, nur damit eine Diskussion losgetreten wird. Aber da will ich doch nicht festhängen. Das ist nur dafür da, um Reichweite zu generieren und die Leute gegeneinander aufzuhetzen. Es hat mich zum Beispiel so fertig gemacht als Dennis Schröder zusammen mit der deutschen Basketball-Nationalmannschaft Weltmeister wurde und jemand sofort twittern musste: „Na Nazis, was macht das mit euch?“ Und ich dachte so: Kannst du ihn nicht wenigstens für 20 Minuten einfach Weltmeister sein lassen, bevor du ihn für deine Agenda instrumentalisierst, um Nazis ans Bein zu pissen? Ich will Nazis auch jeden Tag ans Bein pissen, aber das hat nichts mit Dennis Schröder zu tun. Dennis Schröder hat es verdient, dass man ihn nicht direkt für die eigene Agenda missbraucht. Als PoC in Deutschland muss es doch möglich sein, dass man erfolgreich oder unerfolgreich ist, ohne direkt für eine Diskussion genutzt zu werden. Wenn er unerfolgreich gewesen wäre, hätte es sicher Kommentare wie „Das haben wir jetzt davon“ gegeben. Aber andersherum gab es eben genau dasselbe. Ich bin ja auch gleich ein Token, wenn ich mal beim Bundespräsidenten bin. Und ich finde, man muss doch in der Lage sein, etwas hinzunehmen, ohne zu instrumentalisieren. Das nervt sonst. Wir haben doch schon genug Probleme. Da will ich sagen: Lasst doch mal sein. Ich will einfach nur da sein. Ich will kein Token sein, also in dem Sinne, dass ich einfach nur als Symbol dafür stehe, Nazis sauer zu machen.

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Schaut hier in „Das große Menschenraten mit Aurel Mertz“ rein. 

Hella Wittenberg
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