Back for Good


Vor 15 Jahren trennte sich Robbie Williams von Take that. Während Williams zum größten Entertainer Europas aufstieg, bekamen Gary und Co. zunächst keinen Fuß mehr auf den Boden. Im Juli verkündete Williams, man wolle es noch einmal miteinander versuchen. Was folgte, war die schillerndste Wiedervereinigung der jüngeren britischen Popgeschichte.

Die Spannung im Ballroom des Londoner Hotels Savoy ist mit Händen zu greifen. Die europäischen Medien sind zu der Pressekonferenz geladen, die als“Exclusive Announcement“ angekündigt wurde. Doch man kann sich den Gedanken nicht verkneifen, die Spannung wäre noch merklich größer, wenn nicht Robbie Williams – dieser stets stille, schüchterne und wortkarge Mensch – vor einer Woche schon hinausposaunt hätte, dass man eine „Ankündigung“ machen werde, auf der auch die Reunion-Tour zur Take-That-Reunion bekannt gegeben würde. Aber das, so stellen seine Bandkollegen seufzend fest, ist nun mal Robbie Williams.

Es ist wohl auch Robbies legendärer Flatterhaftigkeit geschuldet, dass zumindest einem Band-Mitglied ernsthafte Zweifel kamen, ob die Komplett-Reunion nicht von vorneherein zum Scheitern verurteilt sei: „Als wir uns zum ersten Mal zusammensetzten“, so Howard Donald am Tag vor der nun nicht mehr ganz so exklusiven Ankündigung, „war es toll, Rob wieder zu sehen und Pläne zu schmieden. Aber am Ende des Tages wusste ich nicht mehr, was ich davon halten sollte. Natürlich ist es für uns alle aufregend, über kommende Projekte zu diskutieren, aber ich dachte auch: Was passiert, wenn er morgen schon wieder seine Meinung ändert?“

Ob sie nun einen unsicheren Kantonisten mit an Bord haben oder nicht: Der Optimismus innerhalb der Band ist offensichtlich – und hat sicher auch mit der Tatsache zu tun, dass ihnen mit Progress ein beachtliches Album gelungen ist. Produziert von Stuart Price (der zuletzt Madonnas „Hung Up“ und Alben von den Killers und Kylie betreute), lässt Progress den Stadion-Pop-Rock der letzten Take-That-Alben hinter sich und wagt sich auf ungewohnteres, elektronisches Terrain, ohne dabei jedoch auf die sicheren Hit-Singles zu verzichten. Andererseits wäre ein Album von Take That und Robbie Williams selbst dann ein todsicherer Hit, wenn sie die Welt mit verschwurbeltem Acid Folk oder bayrischer Bierzelt-Musik beglücken würden. Zwar wurden Take That, seit sie 2005 erneut zusammenfanden, immer wieder mit der Frage gequält, ob und wann denn ihr prominentestes Mitglied zurückfinden würde. Aber auch ohne Robbie Williams stellte ihre letzte UK-Tour einen neuen Verkaufsrekord auf (600.000 Tickets in fünf Stunden), auch ohne ihn war The Circus das am schnellsten verkaufte Album des Jahres 2008. Wenn man also, wie jetzt vollzogen, Take That und Robbie Williams wieder gemeinsam vor einen Karren spannt, kann die Erfolgsprognose eigentlich gar nicht optimistisch genug angesetzt sein. Zwei Tage nach der Pressekonferenz gingen in England die Tickets in den Verkauf – und gleich vier Websites brachen unter dem Ansturm zusammen. Die Nachfrage, so heißt es, sei größer gewesen als bei den in London geplanten Michael-Jackson-Konzerten. (In Deutschland sind bislang drei Open-Airs für den Juli 2011 angesetzt.) Und als das Album am 15. November in England veröffentlicht wurde, wurden bereits in der ersten Woche mehr als 500.000 Exemplare verkauft.

Vor sechs Jahren, als die verbliebenen Take That-Mitglieder in der TV-Dokumentation „For The Record“ porträtiert wurden, hätte niemand gewagt, von einem derartigen Comeback zu träumen. Man hatte eher den Eindruck, dass sich die vier den kritischen Fragen nur deshalb aussetzten, weil sie eh nichts zu verlieren hatten. Nachdem Williams 1995 ausgestiegen war, hatte sich ihre Karriere erledigt, während das Robbie-Fieber auf ungeahnte Temperaturen stieg. Drei Jahre nach dem Split stand Gary Barlow ohne Plattenvertrag da. Er war von dem Desinteresse so frustriert, dass er England verließ und nach L.A. zog. Mark Owens Solo-Karriere hatte ebenfalls erhebliche Startprobleme: Er machte zum letzten Mal von sich reden, als er 2002 Gewinner des englischen „Celebrity Big Brother“ wurde. Howard Donald war von der Trennung so geschockt, dass er Selbstmordgedanken hatte, und Jason Oranges Versuch, sich als Schauspieler neu zu erfinden, endete mit einer Ernüchterung: Er gab auf und ging aufs College, um Biologie und Geschichte zu studieren. Es war auch nicht gerade hilfreich für das Selbstbewusstsein der vier, dass sich Robbie im Moment seines Triumphs als echter Rüpel erwies und keine Gelegenheit ausließ, Take That und besonders Gary Barlow öffentlich niederzumachen.

Auch wenn die TV-Dokumentation den Eindruck vermittelte, die frühen Take That hätten sich in Plänkeleien und Kräftemessen verloren, war es doch auch dieser Film, der die Reunion letztlich überhaupt voran trieb. Sechs Millionen Zuschauer schalteten allein in in England ein, und die anschließende „einmalige“ Reunion-Tour wurde völlig unerwartet zum Erfolg – und das bei Kritikern und Publikum. Es funktionierte, was eigentlich nicht funktionieren konnte: Ehemalige Boy-Bands kommen gewöhnlich für eine Handvoll nostalgieschwangerer Auftritte zurück, um ihr Bankkonto aufzufüllen oder die Muttis zu beglücken, die damals noch kreischende Teenager waren. Sie schaffen es aber nie, das Level des früheren Erfolges noch zu übertreffen. Selbst Take That waren angesichts der gegenteiligen Entwicklung erstmal perplex. Auch in unserem Gespräch versuchen sie es mit ein paar hilflosen Erklärungsversuchen, geben aber schließlich auf.

Ich treffe Take That das erste Mal in einem Flur des Park-Lane-Hotels. Sie sehen blendend aus. Das fortgeschrittene Alter steht ihnen ganz hervorragend. Von Barlow, der inmitten des Teenie-Pop-Ruhms schon immer etwas wie ein erwachsener Fremdkörper wirkte, hatte man nicht unbedingt anderes erwartet. Er referiert todernst über die Qualitäten verschiedener Mikrofone, und Robbie schnappt sich augenrollend seinen Anorak. Man hat den Eindruck, dass Barlow sich in seiner Rolle als graue Eminenz pudelwohl fühlt, doch der Rest der Band, inzwischen alle Anfang 40, sieht bemerkenswert frisch und gesund aus. Auch Williams, seit kurzem mit US-Schauspielerin Ayda Fields verheiratet, wirkt erheblich ausgeglichener als 2005, als ich ihn zum letzten Mal traf. Er hatte damals eine Handvoll Jounalisten eingeladen, um sein neues Album Intensive Care vorzustellen, war aber völlig von der Rolle und schaffte es in kürzester Zeit, sich mit jedem seiner Gäste in die Haare zu kriegen.

Heute ist er so freundlich und charmant wie seine Kollegen, die sich gerade auf den Weg machen, um bei den „Q Awards“ eine Auszeichnung entgegenzunehmen. Es ist ihr erster öffentlicher Auftritt seit Robbies Rückkehr. Sie haben darauf bestanden, den Saal durch den Hintereingang zu betreten und den Rummel auf dem roten Teppich anderen zu überlassen. „Ich lass mich überhaupt nicht mehr in der Öffentlichkeit blicken“, schließt sich Williams an. „Ein Foto von mir kann man höchstens am Flughafen machen oder wenn ich aus der Praxis meines Zahnarztes komme.“- „Du bist ja auch ein Popstar von gestern“, meint Owens grinsend. „Das bin ich“, nickt Williams. „Ich bin fast ein bisschen weg vom Fenster.“

Als wir uns durch die Heizungsräume und Personal-Aufzüge zum Veranstaltungsort kämpfen, schauen uns die Zimmermädchen und Dienstboten verdattert an. „All right, bud?“, grüßt sie Williams mit einem freundlichen Grinsen. Die Situation wird noch bizarrer, als Orange eine kleine Flasche mit hausgemachter Hühnersuppe aus der Tasche zieht. „Schmeckt prima und ist gesund“, sagt er. Er schüttelt ungläubig den Kopf, als sei es die normalste Sache der Welt, zu einer Preisverleihung mit einer Flasche Hühnersuppe zu gehen. Er murmelt etwas von dem Fraß bei derartigen Veranstaltungen, unterbricht sich dann aber und sagt: „Ich würde dir ja etwas abgeben, aber ich habe nicht genug.“

Das erinnert zwar daran, dass Take That aus einer Ära stammen, in der Popstars noch ihre persönlichen Macken kultivieren durften, aber diese Lockerheit, die sie heute an den Tag legen, die ist neu. Dabei grübelt die Herren-Boyband mehr, als es ihr Image suggerieren möchte. Während unseres Interviews kommt Orange von ganz allein auf männliche Selbstzweifel zu sprechen: „Überall liest man jetzt davon, nicht wahr? Dass der Mann in einer Sinnkrise steckt.“ Sie geben sich auch keinerlei Mühe mehr, ihre internen Differenzen zu vertuschen – eine Entwicklung, von der zumindest Williams kalt erwischt wurde: „Bei den Band-Meetings wird nicht mehr um den heißen Brei geredet. Wenn ich etwas in Zweifel ziehe, bekomme ich von den anderen gleich zu hören:, Klar, ich versteh deinen Standpunkt. Ich bin der Wichser.'“ Es war Barlow, der sich dafür stark machte, die Aufnahmen zu Progress von einem Kamerateam begleiten zu lassen. Er sei von der Beatles Anthology dazu inspiriert worden, sagt er, verdrängt dabei aber offensichtlich die Tatsache, dass es die Dreharbeiten zu „Let It Be“ waren, die den schon wankenden Beatles den Todesstoß verpassten. Und Williams hatte keine Einwände.

Sie scheinen sich nicht mehr daran erinnern zu können, ob man Williams bereits vor fünf Jahren auf eine Rückkehr angesprochen hatte oder nicht. Williams sagt, er sei damals auf Tour gewesen und habe einen Aufenthalt in einer Entzugsklinik eingeplant, um von seiner Medikamentensucht loszukommen. „Ehrlich gesagt, habe ich die ganze Sache erst mitbekommen, als sie auf einmal 250.000 Tickets verkauft hatten.“ Sicher ist, dass die gegenseitigen Annäherungsversuche einige peinliche Situationen beinhalteten. „For The Record“, die TV-Dokumentation, endet damit, dass die vier in einem Hotelzimmer sitzen und auf Robbies Erscheinen warten. Stattdessen schickt er nur ein Video, in dem er ihnen alles Gute zur Reunion wünscht. „Alles Schall und Rauch“, sagt er heute. Williams war es wohl auch, der – kurz vor ihrer Pressekonferenz im November 2005 – einem zweifelnden Orange von der Reunion abriet. „Ich hatte das Gefühl, dass es außer Robbie niemanden gab, der meine panische Angst nachvollziehen konnte, deshalb rief ich ihn an. Er lachte nur, als ich ihn am Telefon hatte. Er lachte sich kaputt und fragte:, Mann, was willst du jetzt bloß machen?'“

Auf der anschließenden Tour trafen dann alle fünf in einem Hotelzimmer in London erstmals wieder aufeinander – und das Treffen war eine Katastrophe. „Es gab viele Dinge, die einfach unausgesprochen zwischen uns standen“, sagt Orange. Und als die anderen drei Barlow und Williams allein ließen, um sich unter vier Augen auszusprechen zu können, wurde es nur noch schlimmer. „Es war furchtbar“, sagt Barlow. „Es war ein bisschen so wie bei einer Beerdigung“, sagt Williams. „Plötzlich trifft man all die Leute wieder, denen man aus gutem Grund aus dem Weg gegangen ist.“

Und auch das nächste Meeting in L.A. lief zunächst nicht besonders gut. „Ich besuchte sie in ihrem Hotel“, so Williams, „und der Stress von unserem letzten Treffen war sofort wieder da. Ich legte mir im Kopf die Gedanken zurecht, mit denen ich sie konfrontieren wollte: Alles oder Nichts, entweder wir lösen unsere Probleme oder nicht. Die Jungs kamen bei mir vorbei, ich hielt meine kleine Rede, und mir schlotterten die Beine. Dann redete Gary. Und plötzlich fanden wir uns alle auf dem Fußboden wieder, nahmen uns in die Arme und konnten mit dem Lachen gar nicht mehr aufhören. Der helle Wahnsinn. Das ist der Stoff, aus dem gottverdammte Märchen sind.“ – „Für 15 Minuten“, sagt Barlow, „hatten wir alle das Gefühl: Wir sind unbesiegbar, wir packen es, wir müssen es einfach machen.“ Aber schnell schlichen sich bei Williams wieder Zweifel ein. Nach „einer Dosis Liebe und Zuneigung von Seiten der Jungs“ raffte er sich dann aber doch endgültig auf – und die Sessions zu Progress klappten reibungslos. „Es gab eine einzige kleine Meinungsverschiedenheit“, so Williams, „aber es war wie ein Streit auf Valium.“

Einer der Songs, „SOS“, thematisiert Williams‘ Faible für Verschwörungstheorien und esoterische Internet-Chatrooms. („Dir ist schon bewusst“, fragt er grinsend, „dass die Welt 2012 untergeht? Aber keine Sorge: Ich habe meinen Schamanen befragt, und der hält es für Mumpitz.“). Ein anderer, „What Do You Want From Me?“, scheint sich mit Owens privaten Problemen zu beschäftigen. Im März checkte er in eine Klinik ein, nachdem er einige außereheliche Abenteuer gebeichtet hatte.

Auch wenn die Band selbst recht harmonisch wirkt – draußen bei den Fans haben sich noch nicht alle Wogen geglättet. „Wir waren neulich bei einer Autogrammstunde“, so Williams, „und da kommt dieses Mädchen und sagt:, Ich bin nicht wegen Gary hier, sondern nur wegen dir.'“ – „Ich wollte gerade unterschreiben“, nickt Barlow, „aber sie riss mir das Papier aus der Hand., Ich will dein Autogramm nicht. Ich will nur das von Robbie.'“ Und Orange hat zum Thema auch eine Anekdote: „Gerade als die Sache mit Robbie durch die Presse ging, hatte ich einen Termin bei meiner Ärztin. Und sie sagte doch glatt:, Lasst ihn nicht wieder in die Band!‘ Ich schaute sie an und dachte mir:, Haben Sie wirklich ein derart emotionales Interesse an Take That? Gibt es in Ihrem Leben nichts, das wichtiger ist?‘

„Es ist fast so“, meint Williams, „als möchte man Ian Beale aus Eastenders (der englischen Soap-Opera, Anm. d. Red.) an die Gurgel. Und dann trifft man seinen Darsteller Adam Woodyatt auf der Straße und sagt ihm:, Du bist ein riesiges Arschloch.‘ Die Leute haben sich schon im Vorfeld auf einen Handlungsablauf festgelegt und projizieren ihn nun auf mich und die Jungs.“ Er grinst das berühmte Robbie-Williams-Grinsen. „Und es ist ja auch ein bisschen wie eine Soap-Opera. Oder nicht?“