Popkolumne, Folge 250

Paulas Popwoche: Pickel, Popkomm und Pimmel


Paula Irmschler über Echt, Robbie Williams, Laufey, Apsilon und André 3000.

Doku der Woche: „Echt – unsere Jugend“

Wuhuu, wuhuu. Ihr zieht nervös an euren Zigaretten, ich hab die Echt-Doku nun angefangen … Scherz, ich habe sie natürlich komplett geguckt, und zwar heute Nacht, sobald sie in der ARD-Mediathek zu finden war. „Echt – unsere Jugend“ besteht aus drei einstündigen Folgen, also im Grunde wie die Bandkarriere der fünf Flensburger, die drei Alben lang dauerte. Gemacht hat sie Kim Frank persönlich, der als Erzähler durch die Geschichte führt. Damals, also vor fast 25 Jahren, haben Kim, Kai, Puffie, Flo und Gunnar ständig alles gefilmt, insgesamt 240 Stunden Videomaterial standen Kim Frank somit zur Verfügung. Das gibt natürlich die einmalige Gelegenheit, auf eine Zeit, auf die wahrscheinlich alle einen anderen Blick haben, einen relativ objektiven zu werfen – zumindest einen ungeschönten. Dass die Doku ungeschönt ist, war Kim Frank auch am wichtigsten, er wollte keine Heldenreise erzählen. Und heldenhaft wirkt wirklich niemand dabei. Eher erschrickt man, wie jung und zart die fünf damals waren – ich selbst war, als sie berühmt und ich Fan war, zehn bis zwölf, für mich wirkten die damals schon groß. Schließlich waren sie oft im Fernsehen, es wurde über ihr Sexualleben und ihre Körper geredet, sie wurden nach Drogenkonsum und so weiter gefragt – voll erwachsen halt. Und wie man in der Doku sehen kann, haben sie teilweise ganz schön cool reagiert, waren schlagfertig und reflektiert. Bis man dann wieder eine Aufnahme sieht, wo es ums Wichsen geht … Wobei es da eigentlich am schönsten wird. Also nicht des Wichsens wegen, sondern weil sie sich über Unsicherheiten austauschen, weil sie offen über Körper, Sexualität, Liebe sprechen und sogar mit der Kamera draufhalten, wenn sie das tun. Sie waren wirklich offen, süß und mutig zusammen.

Echt im Interview: „Nach einem Jahr nutzt sich das Popstar-Dasein ab“

Wahrscheinlich war es Kim Frank deshalb wichtig, die Doku mit „unsere Jugend“ zu betiteln, weil es weniger um die glorreiche Karriere, sondern um das Großwerden dieser Jungs gehen soll. Und noch mehr ist das offenbar Kim Franks Weg, sich bei den anderen zu entschuldigen. Immer wieder geht er darauf ein, was er damals hätte sehen müssen, was er übergangen hat, wo er sich falsch verhalten hat, versucht herauszufinden, wo die Gruppe auseinandergedriftet ist. Dabei ist er sehr streng mit sich, ich finde sogar ein bisschen zu streng. Die meisten Sachen passierten, da waren die Jungs noch nichtmal 20. Immer wieder geht es auch um die Depressionen von Kai, im Grunde ist es das Thema, mit dem die Doku startet und endet. Es ist herzzerreißend, wie den Jungs Jahrzehnten später noch leid tut, dass sie ihm nicht helfen konnten – am Schluss appelliert er selbst, dass es mehr Therapieplätze geben sollte.

Wie immer, wenn es um das Spannungsfeld Boygroups, Männerbands geht, geht es auch in der Doku um das Thema Authentizität. Im Grunde waren Echt eine normale, okaye Band, bis ein älterer Freund sie hochgepusht hat, ohne dass sie überhaupt Zeit hatten, sich zu überlegen, was sie sein wollen. Kim merkte schnell, er wollte genau dieser Star sein, zu dem er gemacht wurde, die anderen, „die Jungs“, wie er sie öfter nennt, wollten vor allem ihre eigene Musik machen. Besonders schmerzhaft muss dann natürlich gewesen sein, dass die großen Hits nicht aus der Feder „der Jungs“ stammten, sondern aus anderen – und als sie ihr Album RECORDER endlich vollkommen selbst schrieben, damit floppten. Und es waren auch nicht nur die eigenen, inneren Kämpfe, die gekämpft werden mussten. Wie bei allen Jungsgruppen, die als unauthentisch, zu schwach, zu beliebt bei den Mädchen gelten, sollten auch Echt von den echten Männern verstoßen werden, um das eigene Bild von Männlichkeit aufrechtzuerhalten. Es flogen Eier und Flaschen auf die Band, es hagelte Beleidigungen und Drohungen gegen sie und ihre Familien. Ganz ähnlich, wie es ein paar Jahre später auch Tokio Hotel passierte. Echt brauchten Schutz; an einer Stelle der Doku sagt Kim Frank: „Hinter der Bühne parkte ein Krankenwagen mit meiner Blutgruppe.“ Meine Fresse, und dann soll man nicht ein bisschen abdrehen hier und da? Wenn man die Jungs heute sieht, sind sie da aber doch erstaunlich gut rausgekommen.

Bill und Tom Kaulitz im Interview: „Tokio Hotel wird es immer geben“
Youtube Placeholder

An dieser Stelle findest du Inhalte aus Youtube
Um mit Inhalten aus Sozialen Netzwerken zu interagieren oder diese darzustellen, brauchen wir deine Zustimmung.

Übrigens ist Kim Frank letztens auch nach 20 Jahren mal wieder als Echt-Frontmann aufgetreten – und zwar mit einem Medley beim „ZDF Magazin Royale“:

Youtube Placeholder

An dieser Stelle findest du Inhalte aus Youtube
Um mit Inhalten aus Sozialen Netzwerken zu interagieren oder diese darzustellen, brauchen wir deine Zustimmung.

Netflix-Doku der Woche: „(I am) Robbie Williams“

Okay, ich muss gestehen, die folgende Doku gefiel mir eigentlich noch besser, sorry! Aber diesmal halte ich es kurz, obwohl auch hier der Trend zur Doku-Serie geht (vier Teile). Es handelt sich um die Geschichte von Robbie Williams, die auch er selbst erzählt. Auch hier wird altes Videomaterial gesichtet, teilweise sieht Robbie es zum ersten Mal und wird dabei gefilmt. Ich finde diese einseitige Celebrity-Doku-Sache so viel besser, als wenn noch irgendwelche Talking Heads eingeblendet werden, die erzählen, ab wann sie sich um den Sorgen gemacht haben und wie krass dieser eine Live-Moment damals für sie war.

Robbie Williams: Diese 6 Erkenntnisse liefert die Netflix-Doku

Nee, was es braucht, ist ein Robbie ohne Unterhose auf dem Bett, wie er sich alte Aufnahmen anschaut und reflektiert. Wie ab und zu seine Tochter reinkommt und er sie wegschicken muss, weil er sich schämt. Wie er endlich seine Wahrheit erzählt, weil er sie nicht mehr verdrängt. Wie er nicht nur seine eigene Betroffenheit, sondern auch seine Arschloch-Anteile eingesteht. Wie er damit hoffentlich seinen Anteil daran hat, dass Menschen nicht über ihre Depressionen, Angstzustände und Süchte hinweg von der Musikindustrie, den Medien und auch den Fans unter Druck gesetzt werden, immer zu funktionieren.

Es ist meiner Meinung nach die beste Celebrity-Doku der letzten Jahre. Nur eine Frage bleibt offen: WARUM UM HIMMELS WILLEN HAT ER KEINE HOSE AN?

Youtube Placeholder

An dieser Stelle findest du Inhalte aus Youtube
Um mit Inhalten aus Sozialen Netzwerken zu interagieren oder diese darzustellen, brauchen wir deine Zustimmung.

Weihnachtsmusiken der Woche

Ich habe es beim vorherigen Mal versprochen, heute kommen die guten Weihnachtsreleases.

Paulas Popwoche: Girl, you know it’s Christmas!

1. Samara Joy – „A Joyful Holiday“

Oh, welches Leben man haben könnte, das untermalt wird von Samara Joy … Loft in New York City, große Fensterfassade, … unten liegt die eingeschneite Stadt, von Lichtern gekrönt, … drinnen ist alles indirekt beleuchtet, ein riesiger Baum, … schwere, dunkle Möbel, … ein veganer Braten steht schon bereit, gleich klingeln die Freunde, haben Rotwein dabei, … erzählen von ihren Architektur- und Kunstgalerie-Jobs. Keine Ahnung, ob man so ein Leben haben will, aber vielleicht für die Dauer der EP.

Youtube Placeholder

An dieser Stelle findest du Inhalte aus Youtube
Um mit Inhalten aus Sozialen Netzwerken zu interagieren oder diese darzustellen, brauchen wir deine Zustimmung.

2. Brandy – CHRISTMAS WITH BRANDY

Das beste Weihnachten ist das R’n’B-Weihnachten. Ich war überrascht, denn es ist tatsächlich Brandys erstes Weihnachtsalbum, wo war sie denn in den Nullern? Es erschien passend zum derzeit beliebten Netflix-Film „Best. Christmas. Ever“ (mit Heather Graham und Jason Biggs), in dem natürlich auch gesungen wird. Coolerweise gibt es auf CHRISTMAS WITH BRANDY nicht nur Coverversionen, sondern auch sechs nigelnagelneue Songs.

Youtube Placeholder

An dieser Stelle findest du Inhalte aus Youtube
Um mit Inhalten aus Sozialen Netzwerken zu interagieren oder diese darzustellen, brauchen wir deine Zustimmung.

3. Laufey – „A Very Laufey Holiday!“

Was soll man dazu noch sagen? Laufey wurde offensichtlich geboren, um Weihnachtssongs zu singen. Auf dieser Mini-EP gibt es drei.

Youtube Placeholder

An dieser Stelle findest du Inhalte aus Youtube
Um mit Inhalten aus Sozialen Netzwerken zu interagieren oder diese darzustellen, brauchen wir deine Zustimmung.

Lied der Woche: „Baba“ von Apsilon

Von diesem Lied hab ich auch erst über die Musikausgabe des ZDF-Magazins (der mit Kim Frank) erfahren – und direkt geheult. „Baba“ vom Berliner Rapper Apsilon. Es geht um Väter, um Männlichkeit, um Reue.

Rapper Apsilon im Gespräch: „Man muss nicht immer Akzeptanz haben“
Youtube Placeholder

An dieser Stelle findest du Inhalte aus Youtube
Um mit Inhalten aus Sozialen Netzwerken zu interagieren oder diese darzustellen, brauchen wir deine Zustimmung.

Männer-News der Woche

  • Snoop Dogg hört auf zu rauchen, das war ja DIE große Popschlagzeile zuletzt. Naja, nun kam raus, es war nur ein (sehr guter) Promo-Stunt für eine rauchfreie Feuerstelle.
Instagram Placeholder
An dieser Stelle findest du Inhalte aus Instagram
Um mit Inhalten aus Sozialen Netzwerken zu interagieren oder diese darzustellen, brauchen wir deine Zustimmung.
  • Diddy, Puff Daddy, Sean Combs, you name it, wurde von seiner Ex-Partnerin Cassie, die Mitte der Nuller als R’nB’-Sängern erfolgreich war, wegen Missbrauch und Vergewaltigung verklagt. Schon einen Tag später wurde sich auf einen Vergleich geeinigt. Cassie sagte, sie wolle nun zumindest Kontrolle zurückerlagen. Dass man sich auf einen vermutlich lange andauernden, von der Öffentlichkeit stark beobachteten, Prozess nicht einlassen will, kann man spätestens, nachdem was mit Amber Heard passiert ist, gut verstehen.
  • André 3000, Rapper und 50 Prozent von Outkast, hat sein erstes Soloalbum veröffentlicht. Und darauf flötet er! Er erklärt allein durch den Titel des ersten Tracks, wieso: „I swear, I Really Wanted To Make A ‘Rap’ Album But This Is Literally The Way The Wind Blew Me This Time“. In einem Interview hat er auch erklärt, er habe einfach keine Ahnung, worüber er in seinem Alter noch rappen soll. Ja, manchmal ist eben alles gesagt, aber noch nicht geflötet.
Youtube Placeholder

An dieser Stelle findest du Inhalte aus Youtube
Um mit Inhalten aus Sozialen Netzwerken zu interagieren oder diese darzustellen, brauchen wir deine Zustimmung.

Tanz den Antisemitismus: Die aktuelle Erbärmlichkeit des Pops

Was bisher geschah? Hier alle Popkolumnentexte im Überblick.

ME