Blumfeld, Ich-Maschine


Aufgenommen: Oktober 1991, Soundgarden Studio, Hamburg Produzent: Chris v. Rautenkranz, Blumfeld Bester Song: "Ghettowelt". "Viel zu früh und immerwieder, Liebeslieder" Höchste Chartsposition Deutschland: keine

Als Blumfeld mit ihrem so kantigen wie melodieverrückten Debüt 1992 für Kopfkratzen/ -nicken im poplinken Lager sorgte, hatte den klugen Kopf des Trios, Jochen Distelmeyer, bereits der zweite Frühling ereilt. Diese Platte, die in aufklärerischen Texten die Grenzen zwischen privatem und politischem Leben verschob und trotz in sich verzahntem Spiel von Schrammelgitarren und Groove mit eigenem Willen schnell Eingang in Indie-Ohren fand, stellte formal sein Comeback als Musikant dar. Mit seiner alten Band Die Bienenjäger, gegründet einst in der alten Heimat Bad Salzuflen, mit Thomas Wenzel (bald-Sterne) am Baß, war er in die Sackgasse geraten: alles nur doofe Strophe. Distelmeyer textete abseits der Musik weiter, bis ihn – HipHop, Degenhardt, Dylan sei Dank – die Erkenntnis ereilte: Man kann Lieder auch singen, ohne sie mit Musik zu überwuchern. Distelmeyer warf sich an der Seite von Andre Rattay und Eike Bohlken, Ex-Mitgliedern der Noisecorer Der schwarze Kanal, in komplexe Formen und kreierte einen Stil, der zwischen fordernder Rede und melancholischem Evergreening die ICH-MASCHINE zu einer unerhörten Folge von Klage und Anklage machte – und zu einer Abbildung der eigenen Identität. Binnen eines Jahres ließen diese mit Zitaten von Paul Celan über „Terminator“ bis hin zu Patti Smith versetzten Texten und diese am Hörer zupfende Musik rund 10.000 Plattenkäufern keine Ruhe mehr. Das war dem Label L’Age D’0r schon mit den Demos so ergangen: Es wollte diese Band. Stattdessen erhielt Untergrund-Eminenz Alfred Hilsberg den Zuschlag, künftig Spiegel-Interview-Anfragen in den Wind zu schlagen, ansonsten aber viel Wind um Blumfeld zu machen. Als er allerdings auch noch frischen Wind ins Studio tragen und Distelmeyer „Keyboards!“ einzureden versuchte, machte die Band dicht: Das Bekenntnis zum Pop der Konventionen sollte erst mit OLD NOBODY [1999], dem Schocker der umgekehrten Vorzeichen, folgen.