Depeche Mode


Schon bei der nachmittäglichen Pressekonferenz im Hotel Four Seasons wurde das Ausmaß der Mode-Mania deutlich, die in diesem Jahr die USA ergriffen hat. Der Bürgermeister schickte eigens eine Urkunde, mit der er „Depeche Mode Days“ in seiner Stadt ausrief; die Radiostationen hatten extra T-Shirts drucken lassen. Auf die Frage eines Moderators, ob die Band jetzt Amerika erobert habe, antwortete Sänger Dave Gahan mit bewährtem britischem Understatement: „Ich denke schon“. Zwei mit je 15.000 Zuschauem ausverkaufte Konzerte im Cynthia Woods Midland Pavilion, einem etwa 25 Meilen stadtauswärts gelegenen Open-Air-Areal, waren der Beweis.

Die drei Sound-Magiere Andrew Fletcher, Alan Wilder und Martin Gore thronen auf erhöhten Positionen hinter ihren Synthesizer-Altären und zelebrieren unter den computergesteuerten Lichtkaskaden von 26 Varilights ihre elektronische Messe. Einzig David Gahan bricht aus der fast schon als Stilmittel eingesetzten Bewegungslosigkeit aus, mimt den Rockstar, schwankt wie eine Ente im Landeanflug und schwitzt sich durch die treibenden Tanzrhythmen von „Master And Servant“ und „Strangelove“. So reißt er die Jungtexaner zu immer neuen Begeisterungsstürmen hin.

Die Highlights des Abends sind die Songs der VIOLATOR-LP. Martin Gore nimmt die Nöte der Teenager ernst: er schreibt ihnen sensible Hymnen auf den jungfräulichen Leib. Das stürmisch gefeierte Stück „The Policy Of Truth“ idealisiert beispielsweise die besonders in der Pubertät populäre Praxis der Notlüge, ohne die sich der notwendige Trennungsstreß von den Eltern nur schwer vollziehen ließe. So gibt es kein Halten, wenn Gore die Gitarre nimmt und nach vorne an den Bühnenrand tritt, um Songs seiner Solo-LP anzustimmen, bevor er in eine überzeugende Version von „Personal Jesus“ einsteigt.

Die Projektionen von Depeche-Freund Andy Corbijn machen das Konzert zum Gesamtkunstwerk: In den Mond auf dem Bühnenhintergrund schiebt sich die Silhouette eines Mannes, in dessen Brust eine Wunderkerze brennt. Zunächst zeitlupenlangsam, dann im Zeitraffer immer schneller werdend, verwelkt eine Rose. Später flimmert ein surrealistischer Photoroman über die Leinwand, der abwechselnd Gore und eine blonde Frau zeigt, während aus dem Namen „Clea“ der Songtitel „Clean“ wird. Diese Bilder entwickeln eine vollkommen zur Musik passende Suggestionskraft, der sich niemand entziehen kann. Als schließlich 15.000 Kehlen mit Dave Gahan im Chor „Route 66“ singen, während Bilder amerikanischer Autos und Highways über die Leinwand flitzen, geht einer der großen Abende unter der inzwischen untergegangenen texanischen Sonne zuende: 40 Grad im Schatten, 90 Prozent Luftfeuchtigkeit, schimmernder Glanz in weit aufgerissenen Augen – Depeche Mode rules!