Review

Depeche Mode live in Berlin: „Die unerträgliche Vergänglichkeit des Seins“


Am 7. Juli spielten DM im Berliner Olympiastadion. Hier kommt unsere Review mitsamt Foto-Highlights.

Die Luft im Berliner Olympiastadion flackert vor Hitze an diesem Hochsommertag in der Hauptstadt. Um kurz vor 21 Uhr zeigt das Thermometer noch 28 Grad, als die zwei noch verbliebenen Mitglieder der Sehnsuchtsgruppe Depeche Mode, Mastermind Martin Gore und Sänger Dave Gahan, vor ihre knapp 75.000 Fans treten. Ausverkauft. Wehmut schwingt von der Bühne ins Publikum und wieder zurück, so ist es doch das erste Mal für die Band in dieser Venue, dass einer fehlt: Der überraschende Tod von Keyboarder Andy Fletcher im Mai vergangenen Jahres ist allgegenwärtig, die Wunden noch frisch. MEMENTO MORI, heißt demnach auch das sinnstiftende neue Album der Synthie-Pop-Legenden, das im März erschienen ist.

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Strangelove

Nun war es bislang immer Fletcher, der die beiden Persönlichkeiten Gahan und Gore in ihrem gegenseitigen Abrieb und am Ende auch die Band Depeche Mode zusammengehalten hat. Ob die verbliebenen Mitglieder eine ausufernde Welttournee ohne den ruhigen, bedachten Vermittler überstehen können? In Berlin machen sie zumindest einen versöhnten Eindruck, wenn auch noch immer die Distanz zwischen ihnen greifbar scheint. Nur einmal finden sie sich, nähern sich zaghaft an, als sie bei der ersten Zugabe „Waiting For The Night“ zusammen auf dem Bühnensteg performen. Der Show tut dies allerdings keinen Abbruch, denn Depeche Mode wissen nach 40 Jahren Business, wie man Music for the Masses macht. Mit einem schlichten Bühnenbild, das von einem großen „M“ und einer Videoleinwand dominiert wird, setzt die Band klar ein Zeichen gegen den Maximalismus anderer Künstler, die schier zwischen aufwändigen Dekoartikeln zu verschwinden drohen.

Black celebration

Taghell ist es noch, als das düstere Intro des „Speak To Me“-Outros (sic!) das Konzert einläutet und direkt von den zwei neuen Songs „My Comsos Is Mine“ und „Wagging Tongue“ gefolgt wird. Für die Black Celebration sorgt ja das Publikum, das größtenteils dem unausgesprochenen Depeche-Mode-Dresscode – in Schwarz – gefolgt ist und ab der ersten Minute dem Charisma der Musiker ausgeliefert ist. Nach dem noch etwas zurückhaltendem „Walking In My Shoes“ vom 1993er Album SONGS OF FAITH AND DEVOTION entlädt sich Gahans unnachahmliche Stimme erstmals beim Ultra-Klassiker „It‘s No Good“ und die Fans skandieren begeistert: „Don’t say you’re happy // out there without me// I know you can’t be// cause it’s no good”.

In alter Tradition macht das unaufgeregte „Sister of Night“ den gerade auf Temperatur gekommenen Berliner:innen einen Strich durch die Feier-Rechnung, doch schon bald folgt „Everything Counts“ und abermals ist spürbar, was diese Band so besonders macht. Wer sonst kann sich erlauben, die Spannung des Sets in einer Stadiontour niemals stringent zu steigern, sondern immer wieder das Tempo – und die Show – zu reduzieren, um das Publikum auf eine andere Art herauszufordern und zur Aufmerksamkeit zu zwingen. Dies gelingt mal mehr, mal weniger und so verpufft der ein oder andere große Moment in sonorer Gleichgültigkeit. Hier lenken auch die Videoleinwände ab, die oftmals nicht die Musiker, sondern Videoclips zeigen. Was beim Fletcher-Tribute „World In My Eyes“, zu dem passend das Konterfei des verstorbenen Keyboarders gezeigt wird, durchaus einen Effekt hat, muss bei Songs wie „Ghosts Again“ nicht sein.

Lieber konzentrierte man sich auf die noch immer agilen und lasziven Tanzeinlagen des Sängers, dem man sein Alter nur von Nahem und anhand seiner Lachfalten ansieht. Gore hingegen scheint die Sonne in seiner Wahlheimat Kalifornien ausgiebig zu genießen und präsentiert sich gleichwohl gebräunt als auch gealtert, jedoch noch immer in seinem individuellen und exzentrischen Kleidungsstil.

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Sweetest Perfection

Gore bekommt standesgemäß auch seine zehn Minuten Ruhm und performt, weitestgehend alleine, „A Question Of Lust“ und „Soul With Me“. Gebettet in ein Handy-Lichtermeer, das heller als die noch nicht zu sehenden Sterne strahlt, beweist das Mastermind abermals, dass seine Stimme der von Gahan in nichts nachsteht. Zumal Gahan, der Frontmann, es an diesem Abend mit der Intonation nicht immer allzu genau nimmt. Der Sound ist stadiontypisch ambivalent, auch wenn das Zusammenspiel der Musiker tadellos ist. Wobei, eine Rumpelkapelle waren Depeche Mode noch nie, das Olympiastadion als Soundschlucker aber bekannt.

Music for the Masses

Den meisten Zuspruch ernten am Ende dann doch die Klassiker wie „I Feel You“, das live noch intensiver daherkommt, das bittersüße „Never Let Me Down Again“ und das egozentrische „Personal Jesus“ aus dem Zugabenblock, die 80er-Hymne „Just Can’t Get Enough“ und natürlich das epische Signature Stück „Enjoy The Silence“. Schmerzlich vermisst wird Gores Paradestück „Home“, das man 2017 noch zu hören bekam, „Shake The Disease“ und „A Question Of Time“. Aber diese Band muss es niemandem Recht machen. Die Fans sind, ob der immer gleichen Setlist auf der Tour, vorbereitet und auch versöhnt, ans Aufhören will keiner denken. Gahan und Gore gefallen sich auch in ihrer neuen Zweierkonstellation, live unterstützt von Schlagzeuger Christian Eigner und Peter Gordeno am Keyboard.

Just can’t get enough

So bleiben an diesem Abend, wie nicht anders zu erwarten, die großen Überraschungsmomente aus, was das Konzerterlebnis allerdings nicht schmälert. Depeche Mode sind auch als Duo eine sichere Burg und wenn die knapp 80 Konzerte der Memento Mori Tour sie nicht endgültig entzweien, darf man sicherlich auf weitere Musik und Konzerte hoffen. Dennoch, das Damoklesschwert der Vergänglichkeit schwebt bedrohlich über den verbliebenen Mitgliedern. Nicht umsonst zeigt das Cover des neuen Albums Engelsflügel und bei „Soul With Me“ singt Gore „I see the beauty// As the leaves start falling // Follow the light // Towards the voices calling // I’m going where the angels fly“. Vielleicht lassen sie sich auch noch etwas Zeit mit ihrer Sterblichkeit, denn zumindest für den Moment machen sie den Anschein, als wären sie noch lange nicht am Ende angekommen.

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Die Setlist es Abends:

Intro: Speak to me (Outro)
My Cosmos Is Mine
Wagging Tongue
Walking In My Shoes
It’s No Good
Sister Of Night
In Your Room
Everything Counts
Precious
Speak To Me
A Question Of Lust
Soul With Me
Ghosts Again
I Feel You
A Pain That I’m Used To
World In My Eyes
Wrong
Stripped
John The Revelator
Enjoy The Silence

Encore:

Waiting For The Night
Just Can’t Get Enough
Never Let Me Down Again
Personal Jesus

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