Jahresrückblick

Die 50 besten Platten des Jahres 2018


Wir haben abgestimmt und die (subjektiv) einzig wahre Liste erstellt: Das sind die 50 Favoriten der ME-Redaktion und somit die besten Alben des Jahres 2018. Ha!

Platz 2: Tocotronic – DIE UNENDLICHKEIT

Vertigo/Universal (VÖ: 26.1.)

Tocotronic haben nie einfach nur Alben veröffentlicht. Stets haben sie die Musik mit einer Geschichte eingezäunt, haben einen roten Faden gelegt, der meist so gut erkennbar war wie ein Strick. DIE UNENDLICHKEIT ist die erste Platte seit sehr langer Zeit, die den 2002 postulierten Schlachtruf „Eins zu eins ist jetzt vorbei“ („Neues vom Trickser“) – nun, nicht zurücknimmt, wohl aber mit einem Zusatz versieht, der da lautet: Wir erzählen euch trotzdem ein paar Geschichten von uns. DIE UNENDLICHKEIT ist eine Art musikalische Biografie und, auch das ist neu, ein Album, das sich dezidiert auf die Persona Dirk von Lowtzow bezieht. In diesem Liederbogen berichtet er aus seinem Leben, angefangen beim Aufwachsen in der Reihenhaus-Einliegerwohnung im Südwesten Deutschlands, über die ersten Jahre mit der Band, bis zur Gegenwart in Berlin. Das führt zu direkten Jugenderinnerungen wie in „Electric Guitar“ („Ich drücke Pickel vorm Spiegel aus. Manic Depression im Elternhaus“ heißt es da) oder in „Hey Du“, wo zu sägender Rockmusik der negative Kleinstadtvibe geschildert wird all denen gegenüber, die nicht den soziologischen Mustern der damaligen Zeit entsprechen. „1993“ erzählt von dem „Jahr, in dem ich mich blutig schlug, weil ich vom Tresen flog“ und „Unwiederbringlich“ vom Tod eines Freundes, zu Zeiten, in denen Kommunikation noch schwierig war, wenn man im Zug saß: „Es gab noch keine Handys, nur an Bord ein Telefon. Als ich endlich ankam, wussten’s alle schon.“

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Der Song stellt auf dem Album ein Scharnier dar zwischen den ersten, recht unmittelbaren Stücken und jenen, die sich auf eine Zeit beziehen, die näher an der Gegenwart liegt. Hier mag man die Botschaften erahnen, man erkennt, wo es um Liebe geht, wo um den Tod und wo um die Sucht, aber all das wird nur noch hinter der Milchglasscheibe gezeigt, als Schattenspiel, bei dem lediglich Konturen erkennbar sind. Ab und zu wird sie geöffnet für eine kleine Szene, das wirkt dann wie ein Trailer zu einem Mittwochsfilm in der ARD, den man am Ende aber doch nicht sehen kann. Der Sound geht da mit, er ist ein variabel ausgestattetes Schaufenster, das neben Erwartbarem auch Kammermusik und sogar eine Akustikballade inkludiert. So passiert auf diesem Album etwas Herrliches: Die Songs enthalten sich genauer Greifbarkeit, besitzen aber auch nicht diese nach Fichte riechende Märchenwaldkante, diese Autorenfilmhaftigkeit, diesen Selbstzwang zum Manifest, die auf den Tocotronic-Alben der letzten Jahre die Musik bisweilen zu überlagern drohten. Jochen Overbeck

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