Die Fesseln der Vergangenheit


Wenn ich gesehen hätte, was sie über uns schrieben „, stößt Carl Barät durch seine permanent verstopfte Nase hindurch aus, „wäre ich eine Woche lang kaputt gewesen.“ Selbstverständlich habe er die Stories nicht gelesen, die im Zuge der ersten Provinzkonzerte der Dirty Pretty Things durch die Presse gingen. Aber Manager Alan McGee habe ihm eine Vorstellung von deren Stoßrichtung gegeben. „Die wußten alle im voraus chreiben werden. „Verrisse natürlich. Kritiken undTJencrTteT; te der Libertines das Recht absprachen, ohne „Genie“ Dohertv an seiner Seite weiter Musik zu machen.

„Es war eine unglückliche Situation, diese Bürde der Vergangenheit tragen zu müssen „, sagt Barät mit einem Schulterzucken und Do-we-have-to-talk-aboutthis?-Miene. „Dabei können wir nur versuchen, das Beste aus unseren Fähigkeiten herauszuholen. Es ging uns um eines zu zeigen, daß wir eine gute Band sind, die aus dem Schatten der Vergangenheit heraustreten kann.“ Seit den zaghaften Konzerten Anfang März hat sich manches geändert. Vor allem liegen endlich Hörproben vom DebÜtWATERLOOTO ANYWHERE (der Titel wurde gewählt, weil in einem Proberaum unter den Arkaden des Bahnhofs Waterloo die Anfänge der Band liegen) vor. Und darüber geriet sogar der sonst oft sehr zynische NME ins Schwärmen: „Smart, clever, unglaublich elastisch -genau richtig“.

Zweitens sind die „Things“ nach einigen Tournee-Wochen zu einer hauteng punkrockenden Live-Band herangereift. Auch heute an der Uni Oxford sprühen die Funken. Höhepunkte gibt es viele. „Bang Bang“ et wa, die frohe Hymne an den Abschied (der Text „bang bang you’re dead“ – sei kein Kommentar zur Ex-Freundschaft mit Dohertv, sondern seine Abrechnung mit den eigenen depressiven Tendenzen, sagt Barät). Oder“I Get Along“, derLibertines-Evergreen, der zeigt, daß die neue Band mit der Vergangenheit leben kann. „Mann, hat das Spaß gemacht“ sagt Drummer Gary Powell in der Garderobe und grinst. „Verdammt viel Spaß sogar!“

Am Mittwoch, 8. März, hatte noch alles ganz anders ausgesehen. Die Band sollte im King’s College ihren bisher wichtigsten – zweiten – Londoner Gig spielen. Die Vorband war längst von der Bühne getreten, als Barät sich noch immer in die dunkelste Ecke der Garderobe drückte, den Kopf inemladetuch gehüllt. „Migräneanfälle. Alle20 Minuten wiederTZuerst kurzblind, dann ein Moment lang nichts, dann ein krdcitender Schmerz.“ Die Nerven seien es gewesen, todsicher.

Als er Sich doch dazu Zwang, einen Energieanfall zu inszenieren und auf die Bühne zu stürmen, war der Knoten gelöst. Ein Knoten, mit dem sich Barät schon Monate vor dem letzten Auftritt der Libertines abgequält hatte. „Die letzte Tour ohne Pete warschwieagter und glänzt dabei einmal mehr mit Unter-

.derBandkeineSchandean. Es hat geholfen, einpaarCDs mehr zu verkaufen, dagegen wird auch Pete nichts einzuwenden gehabt haben. Andererseits machte ich mir Sorgen um Pete. Es war komisch, ohne ihn unterwegs zu sein.“

Nach einem Auftritt in Paris im Dezember 2004 habe er gewußt, daß es unter dem Namen The Libertines nicht mehr weiter geht. Andererseits, sagt er, hatte er keine Ahnung, was nun passieren sollte. Die Flucht vor den Papparazzi in ein anderes Land zog er nie in Betracht: „Ich würde das englische Fernsehen vermissen. Und überhaupt ist es mir ziemlich gut gelungen, den Boulevardreportern auszuweichen. Ich wollte in London bleiben und den Kampf weiter führen.“ Vorerst kam eine monatelange Motivationskrise. Barät redete von Depressionen, regem Alkoholgenuß und einer Schreibblockade. Das Songschreiben ohne Doherty sei für ihn unmöglich, hieß es. Und dann mußte er sich einer nicht ungefährlichen Operation unterziehen: Hinter dem Ohr war ein Tumor geortet worden – heute ist Barat auf diesem Ohr fast taub.

Sein bester neuer Kumpel Didz Hammond, Bassist bzw. Ex-Bassist von CooperTemple Clause, habe ihm geholfen, einen Ausweg zu finden, indem er seinem alten Job den Rücken kehrte: „EinesTages sagte er: ,lch bin jetzt in deiner Band‘; und so war’s denn auch.“

Gemäß Gary Powell hingegen hatten Barat, Powell und Gitarrist Anthony Rossomando (am Ende zu den Libertines gestoßen) schon im Herbst 2004 beschlossen, weiterzumachen: „Noch während der Amerikatournee verabredeten wir, nach einer Pause gemeinsam weiter zu machen. Nurjohn Hasseil wollte nicht. Erhieltden Druck, den dieBarät/Doherty-Geschichte auslöste, nicht aus und befürchtete, das werde sich bei der neuen Band nicht ändern.“

Powell habe während des letzten Libertines-Jahres als Botschafter zwischen Doherty und Barät gewirkt und für Disziplin gesorgt. „Carl und ich haben „oftüber die Situation gesprochen „, sagt er. „Ich konnteihm riicriminer wieder den gleichen Ratgeben:Sei ein Mann und nimrrr’s-hin^mach dir keine Illusionen, Pete denkt nicht an dich und aie~Barui^er denkt nur an sich.“Der Split sei eine Befreiung gewesenT^Deai?esten Freund zu verlieren ist fast so schwer, wie eine Liebe zu verlieren“, sagt Powell. „Am schwierigsten war für Carl das Wissen, daß sie seit zwei Jahren eben nicht mehr die besten Freunde gewesen waren. Nur die Band gehalten. Carl hatte schwere Gewissensbisse. Für ihn war es, als foJtteeRRRäESlfetr mit dem Teufel abgeschlossen, damit die Band weiter besteht. Dabei war Ehrlichkeit und Integrität immer zuoberst auf der Libertines-Agenda gestanden.Dazu kamen Fragen wie: Habe ich selbst unfair Druck auf Pete ausgeübt? Bin ich ehrlich mit mir selber im Umgang mit Pete? Werde ich von Pete verarscht?“

Barat Will nicht Weiter Über diese Dinge reden. „Früher habe ich mit Pete Songs geschrieben „, sagt er. „Jetzt schreibe ich siemit anderen Freunden.“ Nur in einem Punkt habe man sich von der „Situation“ beeinflussen lassen: „Wir haben unsfucking Mühe gegeben, keine Texte zu schreiben, die offensichtliche Kon notationen auslösen könnten. Und dann kommen trotzdem wieder alle und erklären, ,Bang Bang‘ handle von… du weißt schon von wem. Fuckinghell!“

„Gin And Milk wirkt auf den ersten Blick wie ein Themensong für die Band. Den meisten Menschen seien die Ideale egal, für die er sterben würde, ist Baräts ungefähre Aussage. „Liebe, Loyalität und Freiheit das sind die ersten Worte, die mir dabei einfallen „, sagt er: „Aber es ist nicht wirklich unser Themensong. Unsere Gefühlspalette ist breiter. Am anderen Ende des Spektrums steht das Story telling von .Gentry Cove‘ und,Burma‘. Da geht es nicht mehr um Selbstausdruck, sondern ums Sinnieren und Romantisieren.“

Für die Aufnahmen begab sich die Band zuerst einen Monat ins Sunset Sound Studio in LA, um mit Produzent Dave Sardy zu arbeiten, der schon mit Oasis und Jet im Studio war. Dann ging’s nach Glasgow. wo Mogwai-Produzent Tony Dougan als Geburtshelferfür den Rest des Albums wirkte. LA, weil man Ruhe brauchte (Powell: „In London werden wir ständig abgelenkt. Es ist sehr leicht, uns abzulenken „).

Auch Nigel Godrich gehörte zu den Leuten, die als Produzent in Frage kamen. „Nach ausführlichen Diskussionen mit Alan McGee“, erzählt Powell, „beschlossen wir, ein Element englischer Exzentrizität beizubehalten, zugleich aber eine international verständliche musikalische Sprache anzustreben. Viele Anspielungen auf den Libertines-Alben waren für Nicht- Engländer unverständlich. Wir beschlossen, einen Mittelwegzu suchen. Dafür schien Sardy perfekt geeignet zu sein.“ „Unsinn! „, ruft Barät und lacht, als er die Erklärung hört: „Typischer Alan McGee-Talk. Gary hat einen direkten Draht zu Alan. Wir arbeiteten mit Sardy und Dougan, weil uns gefiel, was sie früher gemacht hatten. Wir haben nieunseren Stil diskutiert.Wir haben nur die Musik gespielt, die ganz natürlich aus uns heraus gekommen ist. Wer weiß-vielleicht haben wir damit direkt in die HändederBankiersgespielt.Es war nicht unsere Absicht.“ »>

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