Dire Straits


Aus dem Zauderer, der Erfolg als Belastung empfand, hat sich ein Bandboss entwickelt, der die Dire Straits mit fester Hand steuert. Steve Lake hat die Wandlung des Mark Knopfler über die Jahre verfolgt.

Zum ersten Mal traf ich Mark Knopfler vor einigen Jahren am heiligen Weihnachtsfest. Er lehnte am Tresen der „Dingwalls Dance Hall“, einem schäbigen, kleinen Rock-Club an Londons Camden Lock, zusammen mit einem alten Saufkumpan, Michael Oldfield, dem Herausgeber des „Melody Maker“. Das war 1979, wenn ich mich recht erinnere, und COMMUNIQUE war noch in den Charts. Knopfler schien todmüde von allem, was der Erfolg ihm gebracht hatte.

Er trug eine andeutungsweise „punkige“ Lederjacke, sein Haar war frisch gefönt, trotzdem sah er immer noch völlig fehl am Platze aus. Vielleicht sei er zu alt für all das, sinnierte er, rauchte Benson & Hedges Kette und bestellte sich den nächsten „Screwdriver“. Für die folgenden Monate war eine gigantische Dire-Straits-Tour angesagt – und er konnte sich absolut nicht dafür begeistern, konnte die Aussicht kaum ertragen.

Ein paar Drinks später verkündete er, er würde alles absagen, würde die Dire Straits für unbestimmte Zeit auf Eis legen und mit Kumpeln wie Phil Lynott wieder in Pubs und Clubs spielen… kleine „jamming gigs“, Chuck Berry-Songs spielen, das mache wirklich Spaß. Und Aufnahme-Sessions: ja, er würde seine Gitarre jedem zur Verfügung stellen, der ihn brauchte – zumindest so lange, daß er erst mal eine Weile an keine Welt-Tour mehr denken müsse.

Ich fragte, wie wohl die Plattenfirma auf diese Kehrtwendung reagieren werde.

„Also bitte, was können die schon sagen?“ höhnte er. „Was können die mir vorschreiben?“

Erfolg, deutete er an, habe seine eigenen Regeln.

Dreieinhalb Jahre später sind die Dire Straits auf ihrer bislang größten Welt-Tour, haben ihr bestverkaufetes Album, das Vielfach-Platin-Nummer-eins-rund-um-die-Welt LOVE OVER GOLD, und Knopfler ist entspannt, im Einklang mit dem Schicksal, aber trotzdem als Interview-Partner kein bißchen weniger schwierig.

Erinnert an seine frühere Unzufriedenheit, tastet er nach den Worten, die seine damaligen Gefühle auf den Punkt bringen könnten. Er spricht stockend und scheint sich für jede Antwort den Kopf zu zerbrechen…

„Yeah… das war so eine Penode, damals, richtig… rund ums zweite Album… wir waren alle grau vor Müdigkeit. Ich mochte das Album nicht besonders. Einige Songs waren o.k., aber ich wußte zu der Zeit nicht genug übers Schallplatten-Machen, alles klang sehr angestrengt. .. aber ich bin froh, daß wir so alt waren, wie wir damals nun waren. Ich denke, wenn wir Teenager gewesen wären, hätten uns der Erfolg und der Druck vollkommen fertig gemacht. Ich bin ziemlich sicher, daß ich’s nicht überlebt hätte, wenn ich sagen wir – 18 gewesen wäre statt 28.“

Der Rock ’n‘ Roll war Knopflers dritte Karriere. Der Sohn eines Architekten ungarischer Abstammung hatte ursprünglich ein Leben als Journalist angesteuert und arbeitete, nachdem er an der Leeds University Englisch studiert hatte, zwei Jahre lang als Reporter für die YORKSHIRE EVENING POST, wobei er die meiste Zeit mit dem Stenoblock in örtlichen Gerichtssälen verbrachte.

Als ihm das zu öde wurde, fuhr er nach London und nahm einen Lehrer-Job im Vorort Deptford an. Dort gründete er mit seinem Lehrer-Kollegen Dave Pascall eine Band namens Cafe Racer, die nirgendwohin ,race‘-te, professionell gesprochen, aber darauf legt er Wert – eine „richtig gute kleine Gruppe“ war, die R&B-Klassiker der späten 50er/ frühen 60er fest im Blick: „Good Morning Lütle Schoolgirl“, „Claudette“, „Move It“ und so weiter. (Man erinnere sich an die letzte Dire-Straits-LP „Twisting By The Pool“.) Seine frühesten Gitarren-Einflüsse waren Amerikaner wie James Burton, der auf Ricky Nelsons Platten spielte, und Presleys Gitarrist Scotty Moore. Und dann natürlich die Blues-Leute: Lonnie Johnson, Muddy Waters, B.B. King…

„Ich erinnere mich noch an das erste Mal, daß ich B. B. hörte, als ich 16 war, noch in der Schule. Es war das LIVE AT THE REGAL-Album… das machte Eindruck auf mich. Die Reaktion des Publikums und das Gefühl im Gitarren-Spiel, weißt du? Das war nie akademisch für mich. Ich habe mich nie für die Demonstration technischer Virtuosität interessiert. „

Die Dire-Straits-Legende ist oft genug erzählt worden, doch um sie – selbst auf die Gefahr hin zu langweilen – noch mal kurz zusammenzufassen: Mark hatte die Band 1977 gegründet – zusammen mit seinem Wohnungsgenossen, dem Soziologie-Studenten John Illsley, am Baß, seinem jüngeren Bruder Dave Knopfler an der Rhythmus-Gitarre und dem in die Jahre gekommenen Pub-Rocker Pick Withers am Schlagzeug.

Das Material fürs erste Demo, das meiste davon erschien auf dem Debüt-Album, bestand aus Songs, die Knopfler über mehrere Jahre gesammelt hatte. Er nahm eine Abkürzung in Richtung Plattenvertrag, indem er sein Band zu Charlie Gülett brachte, Discjockey bei Radio London, der es in seiner „Honky Tonk“-Show spielte. Danach hielten die Talentscouts der Plattenfirmen hektisch Ausschau nach dieser Band, die eine treue Fangemeinde hinter sich wußte, die ihr in Londoner Pubs vom Schlage des „Albany“ und des „Hope & Anchor“ folgte.

Die Dire Straits dieser Periode waren eine andere Band. Viele sahen in Knopfler den letzten in einer langen Reihe von Gitarren-Heroen à la Albert King oder Clapton. Wie sie spielte er lange, improvisierte Soli mit bittersüßem Einschlag, schnell und flüssig, aber reichlich melancholisch.

Sein Publikum bestand damals aus rundum unzufriedenen Studenten-Typen seiner eigenen Generation; Menschen, die den Veränderungen, die die Punk-Rebellion auf dem britischen Musikmarkt eingeläutet hatte, ablehnend gegenüberstanden und natürlich nicht die Sorte Publikum, die Geld in der Tasche hatte.

Nein, der Erfolg in England mußte erst durch den Erfolg in anderen Ländern ans Laufen kommen. Australien fiel zuerst, dann Holland, dann die Staaten, wo „Sultans Of Swing“ fast ein Jahr lang den Äther beherrschte, und schließlich drückte auch Großbritannien die Dire Straits an seine Brust. Wer zum Teufel war dieser Knopfler, mit dem Dylan zusammenspielen wollte?

Wie so oft im modebewußten England hatte die Musik-Presse die Dire Straits bereits satt, als das breite Publikum die Band entdeckte. Zuerst war Knopfler tief betroffen von den negativen Reaktionen der Medien, so tief, daß er versuchte, sich von der Verantwortung für seine eigenen Songs freizusprechen, für Songs wie „In The Gallery“, den viele Kritiker als reaktionären Angrifl auf die Avantgarde-Kunst werteten:

„Das ist kein Angriff auf die Avantgarde“, erklärte Knopfler dem Schreiber Richard Williams, „das ist nicht als Aussage gedacht, die sich irgendeine Be wegung zu eigen machen könnte. Ich will nicht, daß sich eine Bewegung an das anhängt, was ich beiläufig sage. Ich hatte ein bestimmtes Gefühl, als ich den Song schrieb… zehn Minuten später hatte ich ein anderes Gefühl. ..

Eine Menge Leute wollen alles, was in den Songs steckt, mir zuschreiben, als wäre das die Art und Weise, wie ich über die Dinge denke. Wenn du mich anschaust und sagst, daß schließlich ich, Mark, der Kerl bin, der all diese Songs singt, dann machst du einen großen Fehler.

Knopfler hat diese Einstellung, die jedes Selbstvertrauen vermissen läßt, im Lauf der Jahre perfektioniert, er ist heute ein Meister des Nicht-Interviews und frustriert einen jeden mit seinen meist einsilbigen Antworten (Ja… nein… weiß ich nicht …

vielleicht) so lange, bis man sich danach sehnt, die aufgesetzte Pose des „Mann aus dem Volke“ vom Tisch zu fegen. Schließlich ist Knopfler ein Akademiker, ein Intellektueller, auch wenn man’s seinen Interviews nicht anmerkt. Selbst Michael Oldfield, seit einem Jahrzehnt mit Knopfler befreundet (sie waren zusammen auf der Journalistenschule) und Autor einer demnächst erscheinenden Straits-Biographie, stimmt da zu:

„Du hast den Eindruck, daß er dir helfen will, daß er versucht, dir die Informationen zu geben, die du haben willst. Später, wenn du die anderen Musik-Zeitschriften aufschlägst, merkst du, daß er allen anderen Wort für Wort dasselbe Nicht-Interview gegeben hat.“

Also wird der übervorsichtige Knopfler ein Bier mit dir trinken und auf seine zurückhaltende oberflächlich betrachtet fast verschlafene – Art mit dir plaudern, aber keinen echten Einblick in seinen Charakter gewähren. Da er selbst Journalist ist, muß er sich vollkommen im klaren darüber sein, was für ein Spiel er da spielt.

Ich wurde an einen alten Ausspruch erinnert, den er nach dem ersten Durchbruch getan hatte, als er mit seinen Äußerungen noch ein bißchen weiterging:

„In verschiedener Hinsicht berührt mich die ganze Sache überhaupt nicht. Was mir an meiner guten Position gefällt, ist, daß es mich glücklich macht, mir mit ein paar Freunden die Gitarre zu schnappen Meine Vorstellung von Glück ist em Haus mit einem Studio, ein Haufen Kinder und ein ruhiges Leben. Und nicht, vor einer Fernsehkamera oder einem Riesenhaufen Menschen zu stehen und die Leute mit meiner Botschaft zu quälen…

Du kannst dich des Gefühls nicht erwehren, daß das alles ein Riesen-Blödsinn ist. Du hast das Gefühl, daß du dir deine Zeit mit anderen Dingen – ins Kmo gehen oder em Buch lesen – viel besser vertreiben könntest.“

Ein verstärkender Faktor für Knopflers frühe Desillusionierung in Sachen Erfolg muß die wachsende Spannung innerhalb der Band gewesen sein, besonders zwischen Mark und seinem Bruder Dave, der schließlich noch vor den Sessions zu MA-KING MOVIES darum gebeten wurde, die Gruppe zu verlassen. Seither haben die zwei kaum noch Kontakt.

Und dann, als LOVE OVER GOLD in der Arbeit war, ging auch Pick Withers, zog sich nach Wales zurück, um bei Frau und Baby zu sein und Vibraphon zu lernen. Er hatte sich musikalisch zurückgedrängt gefühlt, seit die Band mehr und mehr zur Mark Knopfler-Show wurde.

Knopfler führt die neuen Dire Straits mit eiserner Hand und scheint das Line-up von Bruce Springsteens E-Street Band als Vorbild zu nehmen. Tatsächlich verdankt LOVE OVER GOLD sowohl musikalisch wie auch hinsichtlich der Sprach-Büder -Ashbury Parks Lieblingssohn eine ganze Menge. Der Unterschied zwischen „Thunder Road“ und „Telegraph Road“ ist – so könnte man’s ausdrücken – kein allzu großer. Beide Songs beschreiben eine Gestalt, die sich durch eine städtische Umgebung bewegt, und beide heben unbedeutende, alltägliche Kleinigkeiten auf die Ebene der Legende. Epos, oft schon an Pomp grenzend – das ist der Stil.

Sogar Knopfler hat da seine Bedenken: „Ich stehe nicht so ungeheuer auf, Telegraph Road‘. Ich mag Epen selbst nicht so sehr. Diese Nummern sind wie schreckliche Monster… sie werden einfach immer größer „

Bei den neuen Straits spielen die beiden Keyboarder Tommy Mandel und Alan Clark dieselbe Rolle wie Danny Fedenci und Roy Bittan bei Springsteen, während der neue zweite Gitarrist, Hai Lindes, für Knopfler einen Begleiter nach dem Muster Miami Steve van Zandts darstellt. Schlagzeuger Terry Williams, früher bei Rockpile, hält dagegen die Fahne des guten alten britischen Vierviertel-Rocks hoch. Viel erdiger als Terry kann man als Drummer kaum spielen, er ist aus demselben Holz geschnitzt, das der Welt schon Charlie Watts und Mick Avory (Kinks) bescherte. Inwieweit seine Persönlichkeit bei Knopflers übersorgfältig arrangierten Kompositionen noch durchkommt, muß sich erst zeigen.

Viel von der Spontaneität und Rauhheit der Dire Straits ist unterwegs auf der Strecke geblieben. Sogar Knopfler tendiert dazu, Abend für Abend dieselben Soli zu spielen. Die Show ist eindrucksvoll, in der Tat, aber dasselbe könnte man von Gruppen wie Journey oder Foreigner sagen. Ich nehme an, das ist die Liga, in der die Dire Straits jetzt mitmischen.

Em Weg aus der Sackgasse könnte, falls Knopfler wirklich noch engagiert genug ist, darin bestehen, in der durch die „Twisting By The Pool“-EP vorgegebenen Richtung weiterzumachen. Das ist weiß Gott nichts „Neues“, sogar die Songs sind alt – die Dire Straits spielten „Twisting“ bereits bei ihren Auftritten vor drei Jahren – aber ihr Spiel hat eine Begeisterung und eine Kraft, die den letzten beiden Alben abgingen.

Natürlich ist der durchschnittliche Dire-Straits-Anhänger, falls diese statistische Größe existiert, wahrscheinlich mehr an den „süßlicheren“ Klängen der Band interessiert, insbesondere an Knopflers Markenzeichen, seinem Gitarren-Sound: ….. der aufsteigt bis zu einer hohen ,Blue Note‘ und dann fortflattert wie ein Schwarm erschreckter Vögel“, so die Worte eines Möchtegern-Dichters beim „Rolling Stone“.

Tja, es muß hart sein, sich mit der Bewunderung der Massen herumzuschlagen, auch wenn man sich anfangs noch so großartig vorgenommen hat, sich selbst treu zu bleiben“.

Trotzdem bleibt zu hoffen, daß Knopfler im Grunde Musiker genug ist, um sich den Beschränkungen derer zu widersetzen, die ihn gern als Kronprinz der Easy-listening-Musik abhaken würden.

Trotz allem ist er immer noch ein Fan – und das, denke ich, ist Grund genug, optimistisch zu sein. Er kann sich tatsächlich richtig begeistern, wenn er beispielsweise nach seiner jüngsten Session mit Kindheits-Idol Phil Everley gefragt wird.

„Mir liefen richtige Schauer runter, als er ,Setting Me Up‘ sang. Ich kann mich noch erinnern, wie ich zu diesem Plattenladen fuhr… ich hörte im Radio, daß er Alben signierte. Ich fuhr von Essex mit der U-Bahn rein, nur um ihn zu sehen.“

Knopflers Begeisterung für die Musik anderer erschiene allenfalls nostalgisch, würde sie sich auf seine frühen Einflüsse beschränken. Aber er ist auch interessiert daran, unkonventionelle neue Musik aufzustöbern. Nachdem wir mit unserem letzten Interview fertig waren, erzählte er ungezwungen von seinen Hör-Gewohnheiten. Einige haben mich überrascht…

„Hast du Lydia Lunch gehört? Ich mag nicht alles von ihr, aber dieses eine, ,Queen Of Siam’… das ist phantastisch, ein Klassiker. .. Oh, und dann dieser tolle, tolle Reggae-Song… hier, ich schreib‘ ihn dir ins Notizbuch…“

Und mit unbeholfener, zittriger Hand schrieb er in Druckbuchstaben „Are We A Warrior by I Jah Man“ (ich könnte diese Schriftprobe noch von einem Graphologen analysieren lassen, zur weitergehenden Betrachtung von Knopflers Psyche).

„Yeah, das ist wirklich ein Song“, schwärmte er. „Herrlich, fließend, hypnotisch … Weißt du, nach der nächsten Welt-Tour…“ (er rollt mit den Augen) „…werde ich mich sechs Monate einschließen und nur Platten hören …“