Gutes Gebeck


Obwohl Ben Becker in erster Linie Schauspieler ist, hat er mehr Rock 'n' Roll im Blut als mancher Musiker. Darum gibt es jetzt auch wieder ein Album von ihm.

Der Drummer hatte sich alles ganz genau überlegt: Er wollte mit einem Rollstuhl auf die Bühne fahren, und dann sollte ein großes Punkrock-Spektakel losgehen. In seinem Kopf funktionierte die Inszenierung bereits hervorragend. Vor lauter Fantasieren vergaß der junge Mann allerdings das Üben. Seine Band The Clean ist niemals aufgetreten, sie hat keinen einzigen Song hinterlassen, und die Graffitti mit ihrem Namen sind längst übermalt worden. Lachend erzählt Ben Becker von diesem kleinen Möchtegern-Schlagzeuger, der er einmal war. Auch Gitarrespielen wollte er in seiner Jugend lernen. „Doch als ich gemerkt habe, dass man da dauernd üben muss, habe ich mich davon wieder verabschiedet. Leider. Heute bedauere ich das sehr“, sagt er. Ein Instrument beherrscht Ben Becker allerdings: seine Stimme. Auch mit ihrer Hilfe hat er inzwischen als Schauspieler die Bühnen und die Leinwände erobert. Und dank ihr ist es dann doch noch was geworden mit der Musik: Vor vier Jahren hat Ben Becker gemeinsam mit der Zero Tolerance Band sein erstes Album („Und lautlos fliegt der Kopf weg“) herausgebracht. Jetzt haben sie „Wir heben ab“ veröffentlicht. Sein Gesang ist nie sehr weit vom Sprechen entfernt und erinnert ein wenig an Herbert Grönemeyer. Das Verlebte in seiner Stimme ähnelt stellenweise Tom Waits. Was immer zu spüren ist: Becker hat wahnsinnig viel Kraft. Wenn er etwa im Titelstück fordert „nehmt die Rollbahn weg“ oder befiehlt „Ab jetzt!“, möchte man sofort machen, was er anordnet. Diese Stimme duldet keinen Widerspruch. Im Gespräch ist sie wesentlich sanfter – wie ein warmes Brummen. Sie sagt, dass sich ihr Besitzer als Geschichtenerzähler sieht. Dass er aufmerksam und neugierig durch die Welt geht und so auf Sachen trifft, die er verarbeiten will. Manchmal entsteht so ein Songtext, manchmal eine Kurzgeschichte.

Für die musikalisch« Untermalung seiner Texte sind lacki Engelke (Gitarre) und Ulrik Spies (Schlagzeug) zuständig. „Die Musik der beiden kickt mich total. Ich höre ein Versatzstück, und mir fällt ein Bild dazu ein. Daran stricken wir dann zusammen weiter.“ Manchmal passiert aber auch gar nichts. Zu Beginn der Arbeit an ihrem zweiten Album hatte Ben Becker „eine Schaffenskrise“ Er rauft sich jetzt noch die rotblonden Haare, wenn er davon erzählt: „Mit großem Aufwand hatten wir alles aufgebaut. Die beiden legten los, und dann sagte ich: Sony, es geht nicht. Also haben wir wieder zusammengepackt.“ Immer wieder verzögert wurden die Aufnahmen auch durch andere Projekte und die Suche nach einem Produzenten. Irgendwann schloss sich das Trio für einen Monat im Studio ein und erarbeitete die Gerüste der Songs. Verglichen mit dem Debüt ist „Wir heben ab“ weniger rockig geworden. Engelke und Spies liefern einen unaufgeregten, leicht triphoppigen Sound, der eine schwermütige Stimmung, mit kleinen Ausflügen ins Zornige erzeugt. Beckers assoziative Texte kreisen vor allem um zwei Themen: ums Fliegen und um die Großstadt. Beim Abheben geht es ihm allerdings weniger um den großen Rausch oder um Freiheitsträume: „Ich habe beobachtet, wie die Gesellschaft abhebt – immer dekadenter wird. Auf der einen Seite verhungern täglich Tausende von Kindern, aber bei uns stehen 15 Sorten Waschmittel im Regal.“ Becker schaut dabei mit seinen wässrig-blauen Augen so scharf und gerade in die Augen seines Gegenübers, dass man fast glaubt, etwas Neues gehört zu haben. Beinahe vergisst man sogar, dass der 36-lährige nicht gerade für einen asketischen Lebenstil bekannt ist, sondern eher als Stammgast in Berliner Promibars. Zum Gesellschaftskritiker will er sich denn auch nicht stilisieren: „Natürlich bin ich auch selbst ein Teil davon. Ich weiß, wie die so genannte High Society Partys feiert, wie sie sich zelebriert. Aber ich gehe da auch immer wieder raus und mache mir meine Gedanken.“ Ein Stück Selbstironie nennt Becker das. Doch gerade Ironie ist etwas, das nicht recht zu ihm passt. Etwas, das man auch kaum in seinen Texten findet.

So wünscht er sich zum Beispiel in „Hell’s Angels“, wild und gefährlich zu sein. Oder er singt, er fühle sich wie die USA im Krieg oder wie Gott im Himmel. Große Sätze und keine Spur von Ironie. Becker ist einer, der auf den bombastischen Effekt setzt – ohne Angst vor dem Pathos. Das Cover des neuen Albums zeigt ihn in einer Buffalo-Bill-Verkleidung aus Verbandmaterial. Das Gesicht ist blass, die Hand verbunden und am Oberarm eine blutende Wunde. Was hat ihn bloß so ramponiert? Die Antwort kommt mit einem tiefen Seufzer: „Ach, das Leben. Ich bin ja nicht nur ein Sonnenkind. Ich finde Melancholie und Traurigkeit gehören auch dazu. Um künstlerisch tätig zu sein, muss ich diese dunklen Seiten ansehen und angreifen. Aber davon werde ich auch selbst angegriffen.“ Vielleicht trägt er deshalb immer einen Toten kopfring: um das Dunkle stets in Erinnerung zu behalten. Andererseits macht sich das Schmuckstück auch als Rockstar-Accessoire ziemlich gut. In Sachen Rock ’n‘ Roll-Style ist Ben Becker sowieso Profi: Immer wieder legt er poltrige Auftritte hin, die ihn in die Klatschspalten bringen. Sei es, dass er Guido Westerwelle in einer Talkshow ein Stück Haschisch schenkt, seiner hoch schwangeren Freundin Anne Seidel „Made in Berlin“ auf den Bauch schreibt oder bei der Eröffnung seines Clubs „Trompete“ Nackttänzerinnen auftreten lässt. Gut ins Bild passt auch, dass Becker mit TV-Rollen von Fieslingen und Verbrechern bekannt wurde. Auch in seinen ersten Kinoerfolgen stand er auf der Seite des Finsteren: In „Schlafes Bruder“ war er der zerstörerisch eifersüchtige Peter und bei den „Comedian Harmonists“ ein wenig solidarischer Sangesbruder. Seine nächste Hauptrolle Für Feinschmecker

wird wieder ein zwielichtiger Charakter sein: In „Sass“ (Start: Ende September) verkörpern er und Jürgen Vogel die Brüder Sass – Berlins berühmteste Safeknacker in den zwanziger lahren. Leisere Töne kennt man bei Becker kaum. Deshalb betont er immer wieder, dass er auch „zart und sensibel“ sei. Und selbstverständlich wechselt er seiner einjährigen Tocher Dörte auch mal die Windeln.

Er sagt: „Ich bin gar nicht $0 ein Pistengänger, wie das immer dargestellt wird. Viel lieber sitze ich mit diesen Herren hier zusammen und probiere etwas aus.“ Dabei zeigt er auf seine beiden Musiker, die über diesen Satz freundlich schmunzeln. Kennen gelernt haben sich die drei vor rund sieben Jahren. Damals wohnte Jacki Engelke neben Ben Becker und kam eines Tages vorbei, um sich einen Gitarrenverstärker auszuleihen. Als er den wieder zurückbrachte, blieb er ein bisschen länger. Beim nächsten Besuch hatte er Ulrik Spies dabei. „Wir saßen in meinem Wohnzimmer, haben ‚Flipper‘ im Fernsehen geguckt und irgendwann angefangen, kleine Sachen aufzunehmen. Aus dem Feierabendspaß wurde eine Zusammenarbeit: Das Trio ging auf eine kleine Tournee, bei der Becker seine Kurzgeschichten vortrug, die Engelke und Spies untermalten. Wenn die beiden Musiker über die Arbeit mit Becker sprechen, benutzen sie gern das Wort Höllenspaß. Auch sonst lassen sie nichts auf ihren Sänger kommen. Hoch konzentriert sei er und unglaublich energiegeladen. „Schlimm ist nur, wenn ihm mal etwas nicht gelingt. Dann wird er total ungeduldig“, erzählt Weggefährte lacki Engelke. Wir sagen dann immer: Geh‘ mal kurz raus ein Loch graben“. www.benbecker.de