Heldensagen


Schön: Popmusik und deutsche Sprache gehen wieder zusammen. Weniger schön: komische Politkampagnen, But WM will save us all.

Musik mit deutschen Texten. Zu Anfang des Jahrzehnts reicht das von Fanta Vier bis Rammstein, von Grönemeyer bis Tocotronic. Und die Restausläufer teutonischer Schlager-Witzigkeit sind ebenfalls noch spürbar. Nur: Wo ist er, der klassische Pop? Jener, der musikalisch auf der Höhe der Zeit ist, dessen Texte mehr als nur Minderheiten bewegen, der Mainstream-Potenzial hat, ohne dabei nur den kleinsten gemeinsamen Nenner zu bedienen? Die Antwort auf all diese Fragen wird 2003 gegeben, sie heißt DIE REKLAMATION, spielt viermal Platin ein und kommt von der Band Wir sind Helden. Im Schlepptau: Virginia Jetzt!, Angelika Express, die Sportfreunde Stiller, Mia, Tomte und andere mehr. Erfreulich: Tocotronic, Blumfeld und Die Sterne, quasi die Veteranen der Szene, erleben einen goldenen Herbst. Englische Popbands singen Englisch, französische singen Französisch, deutsche singen Deutsch. Ja geht denn das gut? Schon, solange der nationale Aspekt nicht allzu hoch gehängt wird. Was dann aber leider doch passiert. Da textet die Band Mia allzu unbedarft, fordern Musikschaffende mal wieder die Radio-Quote für einheimische Produktionen und die Politik, das Naschen immer fein im Abwind, faselt was von „Leitkultur“ und initiiert eine beinahe rührend sinnfreie Image-Kampagne namens „Du bist Deutschland“. Ein bisschen viel Krampf also, ein bisschen viel Trara, was natürlich sofort die nötigen Reflexe provoziert. „Seit Ende der Nazizeit scheint es so eine komische Sehnsucht zu geben 1 ‚, erläutert Blumfelds Jochen Distelmeyer anno 2003 im MUSIKEXPRESS, „alles, egal ob Rattles, Lindenberg, Ton Steine Scherben oder deutschen HipHop, in so eine deutsche Traditionslinie zu stellen. Ich sehe meine Texte und meine Musik nicht in dieser Kulturtradition. “ Da ist natürlich was dran: Pop ist Weltkultur, hat mit Nationalstaatlichkeit nichts zu tun. Dass fürdie Generation Helden der hehre Pop-Diskurs der 80er und 90er nur Geschichte ist, bedeutet nicht, dass sie komplett unpolitisch rockt – nur ihr Ansatz ist ein anderer: mehr Praxis, weniger Theorie, mehr Naivität im besten Sinne, mehr Mut zum Pop und all seinen Banalitäten. Was nicht immer funktioniert, aber manchmal eben doch. Und bisweilen sogar richtig gut. „Wir sind jetzt“ betitelte der MUSIKEXPRESS 2003 sein Dossier zur Pop-Lage der Nation und kürte auch gleich die 25 besten Alben deutscher Sprache. Dass drei Jahre später das halbe Land deutsche Fähnchen spazieren fahren wird, ahnte damals natürlich noch niemand. Dasses n ichts mit nationalem Getöse oder anderem Horror zu tun haben wird, erst recht nicht. Ob man Schwarzrotgold am Stiel nun wirklich zwingend auf Golf und Astra klemmen musste, nur weil zuhause gerade Fußball gespielt wurde, bleibt Geschmackssache. Dass Deutschland im erfreulich sonnigen Sommer 2006 überraschend entspannt und freundlich agierte, ist jedoch eine Tatsache. „Fußball ist unser Leben“ hatte 1974 die deutsche Nationalelf geschmettert. Der Text: Stimmungsschlager. Der Sound: Marschmusik. 2006 war der Beat ein anderer, dafür sorgten die Sportfreunde Stiller. Ein Fortschritt, oder?