„Ich will keine Titelblätter haben!“


Zwischen zwei Tourneen mit Die Ärzte hat Farin Urlaub mal eben ein weiteres Album aufgenommen - wieder mit Band. Und das, obwohl er sich doch selbst genug ist.

Farin Urlaub ist wirklich so. Der bald 44- Jährige ist der lebensbejahende Strahlemann, den ihm so manch einer nicht abkaufen mag. Ein solches Auftreten ließe sich sonst nur mit einem Abschluss „summa cum laude“ an der Otto-Falckenberg-Schule erklären: Zwei Wochen nach Verklingen der allerletzten Zugabe des allerletzten 2008er Konzerts seiner Stammband Die Ärzte sitzt er entspannt in einem Cafe am ebenso entspannten Teil des Hamburger Schulterblatts und redet über seine dritte Soloplane die Wahrheit übers lügen. Ein Doppel-, bzw. Anderthalb-Album: unterteilt in die rocklastige, teils wieder recht ernste „große“ Seite „Büffelherde“ mit elf Songs und in die vier Ska- und Reggae-Songs der „kleinen“ Seite „Ponyhof“. Urlaub: „So kann man sich halt überlegen, in welcher Laune man ist: Two-Tone oder Four-To-The-Floor.“

Das Etikett „Soloplatte“ greift hier aber nur bedingt. Denn das Plattencover weist eindeutig Farin Urlaub und sein elfköpfiges, mehrheitlich weibliches Racing Team als Urheber aus. Erstaunlich, dass der Mann, der „wirklich sehr gern allein“ und sich „selbst genug“ ist, nach einem intensiven Jahr mit Die Ärzte nun auch seine Solokarriere einer Band unterwirft. Urlaub: „Das ist eine andere Band. Es herrschen aufgrund des Testosteronmangels ganz andere Gesetze, im Tourbus zum Beispiel.“

Und das mit der Unterwerfung muss man sich auch anders vorstellen. „Das ist schon ’ne feste Band. Aber ich bin der Chef. Das entspricht meinem Naturell (lacht). Aber das ist für die anderen auch ok. Es gab bisher noch keine Palastrevolution“

Auch auf die Wahrheit übers lügen entstammen wieder alle Stücke Urlaubs Kreativität. Der „Diktator de Luxe“ (Presseinfo) kann sich aber durchaus „vorstellen, dass wir das in Zukunft ausbauen“. Etwa die Diktatur aufheben? „Aufweichen/“ sagt er und lacht. Immerhin müsse ja „keiner was aufnehmen, was er scheiße findet. Eine meiner Musikerinnen ist richtig gläubige Christin, die findet das dann nicht lustig, wenn ich mich subtil über den Papst lustig mache (wie in „I.F.D.G.“ auf dem neuen Album – Anm. d. Red.) oder wenn ich so satanische Anspielungen in meinen Texten mache. Die hat natürlich Dir gutes Recht, an was zu glauben… was es gar nicht gibt, ha!“

Interessanter Seitenhieb. Zumal Urlaub in „Seltsam“, einem seiner neuen Stücke, singt: „Ist das vielleicht so was Religiöses:‘ Gar nichts Böses?“ Erklärungsbedarf! „Wenn die Leute endlich zugeben würden, dass es keinen Gott gibt, hätten wir drei Viertel weniger Gewalt auf der Welt. Trotzdem habe ich auf meinen Reisen unheimlich viele Leute kennengelernt, die tief religiös empfinden und dabei aber ganz harmlos sind. Für die ist Religion eben ein Halt in einem turbulenten, harten Leben. Jedem das Seine. Ich glaube halt nicht und habe auch meine Gründe dafür (zeigt dem Herrn all seine Mittelfinger). Nicht, dass er mich schlecht behandelt hätte, eher im Gegenteil, aber..:‘ Bisher meinte es Gott/das

Schicksal/der pure Zufall tatsächlich gut mit dem gebürtigen Berliner. Auch nach 25 (Brutto-) Jahren im Geschäft wächst sein Erfolg mit jeder Platte, mit jeder Tournee. Eine Übersättigung ist dabei nirgends auszumachen. Und das hat System. Urlaub: „Wir versuchen echt, den Leuten nicht auf den Sack zugehen. Das klingt jetzt wieder super-selbstüberschätzerisch: Ich will keine Titelblätter haben! Weil dann MÜSSEN die Leute mich ja sehen.“

Ein Alleinstellungsmerkmal in Urlaubs Karriere stellt die Begeisterung dar, die ihm seit einem Vierteljahrhundert immer wieder gerade die Insassen fünfter und sechster Schulklassen entgegenbringen. „Wir versuchen gar nicht erst, das zu verstehen“, sagt er – und imitiert Marketingsprech:“Die spielen heute gar nicht mehr mit Nintendo, die bewegen sich auf Social Networks! Wie kann man die als Target Group erreichen?‘ So könnte ich überhaupt nicht denken! Ab dem Zeitpunkt, wo du die Erklärung hast, beginnst du, nach Strickmuster zu arbeiten,“ Songwriting ist für ihn also keine Serviceleistung, weder für Schüler noch für Studenten: „Tocotronic haben immer super Slogans, um die ich sie beneide. Aber um die Songs beneide ich sie nickt. Ich habe den Eindruck, dass dort ganz viel über Konzepte nachgedacht wird. Und das schreckt mich total ab. Vielleicht tue ich denen Unrecht, aber das will ich auch gar nicht herausfinden. Interessiert mich nicht genug. Aber ich bin riesengroßer Olli-Schulz-Fan. Der fällt für mich da aber auch total raus, der ist was anderes.“

Nur einmal, dann aber für fünf Jahre, musste Urlaub seinen Siegeszug unterbrechen: Seine Band King Kong, mit der er sich die Zeit zwischen den beiden Ärzte-Ären vertrieb, war alles andere als vom Erfolg umarmt: „Ein sensationeller Flop! Wir haben uns das damals immer schön geredet. Aber irgendwann mussten wir zugeben: .Vielleicht ist das ja nicht so toll, was wir da machen.‘ Das fühlt sich total blöd an.“ Was einen nicht umbringt, macht einen stärker, sagt man. Farm Urlaub sagt das nicht: ,Man härtet da nicht ab. Bei den ersten Anzeichen, wo ich merke, dass es bergab geht, würde ich sofort zurückziehen, um das nicht mehr so drastisch erleben zu müssen.“

Doch die Wahrheit übers lügen wird nicht floppen. Die ersten Dates der im November startenden „Krachgarten“-Tournee sind längst ausverkauft. Von einer Tour in die andere, von einem Studio ins nächste und dazwischen immer wieder ausgedehnte Reisen. Wie Urlaubs Leben zwischen all diesen Terminen aussieht, bleibt weiter ein Mysterium. Nicht aber, weil der Herr so viel zu verbergen hätte: „Klingt vielleicht furchtbar, aber ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass das irgendjemanden interessiert, was ich mir morgens aufs Brot schmiere. Mein Leben neben der Musik und den Reisen ist total langweilig.“