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Kopfzerbrechen mit „Black Mirror“: Verwirrende Episoden erklärt


In fünf Staffeln ließ uns „Black Mirror“ in kuriose bis verstörende Kapitel einer hochtechnologisierten Zukunft blicken und sorgte mitunter für nachdenkliches Stirnrunzeln. Wir erklären einige der verwirrendsten Episoden.

Seit 2011 analysiert Charlie Brookers Anthologie-Serie „Black Mirror“ aktuelle technologische und gesellschaftliche Entwicklungen und extrapoliert sie in eine dystopische Zukunft. Die daraus konstruierten Plots sind mitunter so komplex, vieldeutig und verschlungen, dass Fragen offen bleiben: Was ist denn das nun für eine Dating-App in „Hang the DJ“? Welche Cookies werden in „Weiße Weihnacht“ serviert und worauf will der Krimi-Plot von „Smithereens“ hinaus? Ein Versuch, das Gedankenkarussel zu stoppen – selbstverständlich mit Spoilern.

 Hang the DJ (Staffel 4, Episode 4, 2017)

„Hang the DJ“ gilt als eine der beliebtesten „Black Mirror“-Episoden. Dies ist zum einen thematisch bedingt, widmet sich diese Episode doch der etwas leidigen Partner*innen-Suche per Dating-App. Zum anderen ist es aber auch eine der wenigen positiv gestimmten und ausklingenden „Black Mirror“-Episoden, die einen frischen Blick aufs Dating-Dilemma wirft.

Worum geht’s?

Im Mittelpunkt von „Hang the DJ“ stehen die beiden jungen Singles Frank (Joe Cole) und Amy (Georgina Campbell), die an einem neuartigen Dating-Programm teilnehmen, das sich schlicht „System“ nennt. Das „System“ verspricht, die Teilnehmenden zu ihren jeweiligen „ultimativ kompatiblen“ Partner*innen zu führen. An einem abgeschotteten Ort bringt das dafür programmierte Gadget Frank und Amy zu ihrem ersten Date zusammen.

Erschrocken müssen Amy und Frank aber feststellen, dass die genau errechnete Halbwertszeit ihrer Beziehung gerade mal zwölf Stunden beträgt. Und obwohl es zwischen ihnen funkt, trennen sich ihre Wege nach dieser kurzen Zeit, wie es das System vorschreibt. Die beiden gehen daraufhin andere kurze und längerfristige Beziehungen ein, deren Daten das System angeblich für die Suche nach dem/der „ultimativen Kompatiblen“ nutzt. Nichtsdestotrotz treffen Amy und Frank irgendwann wieder aufeinander und beschließen, sich nicht länger vorschreiben zu lassen, wie lang ihre Beziehung zu dauern hat.

Was hat es zu bedeuten?

„Hang the DJ“ läuft schließlich auf ein Finale hinaus, das vorab schon in Unterhaltungen zwischen Amy und Frank angedeutet wurde: Der abgeschottete Ort, an dem die beiden unentwegt Menschen auf kurz oder lang daten, ist nicht echt – und sie selbst sind Teil von insgesamt 1000 Simulationen einer Dating-App, die prüft, ob die ‚echten‘ Amy und Frank füreinander gemacht sind.

Der Clou an dieser Dating-App, die so wünschenswert wie unprogrammierbar erscheint: Je häufiger die Simulation darauf hinausläuft, dass sich die beiden verliebten Projektionen gegen das System auflehnen und sich entgegen aller Vorhersagen und Vorschriften füreinander entscheiden, desto kompatibler sind die realen App-Nutzer*innen füreinander. In 998 von 1000 Fällen rennen Simulanten-Frank und -Amy trotz einer drohenden Bestrafung gemeinsam davon.

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In die reale Welt übersetzt sich das mit einem Match-Wert von 99,8 %, der auf den Handys von Amy und Frank aufblinkt, als diese sich in einer Kneipe treffen. Währenddessen erklingt „Hang the DJ“ von The Smiths – eine Hymne der Auflehnung, die wiederum die spezielle Deutung von Liebe in dieser „Black Mirror“-Episode untermalt: Sie ist als Akt der Rebellion zu verstehen, der Ungewissheit und allen Regeln zum Trotz. Allerdings wagen diesen Akt der Rebellion in dieser Episode nicht etwa die echten Frank und Amy, sondern lediglich ihre programmierten Simulanten, was schon fast wieder Zweifel an dieser Kompatibilitätsformel weckt…

Weiße Weihnacht (Special, 2014)

Zur Entstehungszeit der zweiten Staffel von „Black Mirror“ war die Zukunft der Serie ungewiss: Der britische TV-Sender Channel 4 hatte keine weiteren Staffeln beauftragt und die Übernahme durch Netflix stand noch aus. Aus diesem Grund schoben die „Black Mirror“-Macher*innen ein längeres Weihnachtsspecial hinterher, das als eventuelle Abschiedsepisode diverse Referenzen zu vorangegangen Episoden enthielt, aber darüber hinaus noch einen sehr komplexen Plot zu bieten hatte.

Worum geht’s?

Dieser gliedert sich in vier Teile: In der Rahmenhandlung erwacht Joe (Rafe Spall) an Heiligabend in einem abgelegenen Cottage. Seit fünf Jahren harrt er hier gemeinsam mit seinem Kollegen Matthew (Jon Hamm) aus, dem plötzlich nach Plaudern ist. Um den verschlossenen Joe aus der Reserve zu locken, erzählt Matthew in zwei Parts von seinen ehemaligen Jobs, wobei uns zwei ethisch äußerst bedenkliche Technologien präsentiert werden: Im ersten Teil sind es die sogenannten „Z-Augen“, ein Implantat, mit dessen Hilfe man unter anderem die eigene Sicht und das eigene Gehör für andere streamen kann. Als selbsternannter Dating-„Guru“ verwendete Matthew diese Technologie, um vor Publikum junge Männer beim Aufreißen von Frauen zu coachen – ein illegales Unterfangen, das in Matthews Anekdote auch noch Leben kostet. Als Matthews Frau von seinem Verbrechen erfährt, nutzt sie wiederum eine andere Funktion der Z-Augen: Sie blockt Matthew, was dazu führt, dass sie sich gegenseitig nur noch als undefinierte graue Gebilde sehen und auch nicht mehr kommunizieren können.

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Im zweiten Teil erzählt Matthew von seinem ‚richtigen‘ Job: die Einweisung sogenannter „Cookies“. Cookies sind Programme, die sich Kund*innen temporär ins Gehirn implantieren lassen, und die dort alle Vorlieben, Erinnerungen, Charakterzüge der Implantatträger*innen aufnehmen. Danach wird der Cookie wieder entfernt und soll den Kund*innen als eine Art digitaler Sekretär (man denke an Siri) dienen, der alle Termine und Vorhaben bedürfnisoptimiert steuert. Das Bedenkliche an dieser Technologie ist aber, dass der Cookie während der Implantatsphase ein Bewusstsein entwickelt und sich anschließend nicht als körperlose künstliche Intelligenz, sondern als Mensch betrachtet. Und da kommt Matthew ins Spiel: Im virtuellen Raum, den der Cookie bewohnt, kann Matthew die Zeit steuern, Monate und Jahre in wenigen Minuten vergehen lassen und so den (Wider)Willen des Cookies brechen und ihn zur gefügigen Arbeitskraft machen.

Nach diesem zweiten Teil kehren wir in die Rahmenhandlung zurück, in der Joe Matthew erzählt, weshalb es ihn in dieses Cottage verschlagen hat: Auch er wurde vor Jahren mittels der Z-Augen geblockt – und zwar von seiner schwangeren Verlobten Beth. Anschließend versuchte Joe vergeblich, Beth dazu zu bewegen, die Blocking-Funktion aufzuheben, die sich zudem noch auf das neugeborene Kind übertrug. Dieses nahm Joe nur als grauen Umriss wahr, wenn er sich jährlich zu Weihnachten zum Cottage von Beths Vater schlich und die Familie heimlich aus der Entfernung beobachtete. Als Beth schließlich bei einem Zugunglück ums Leben kann, wurde die Blocking-Funktion aufgehoben, so dass Joe schließlich zum ersten Mal seine Tochter erblicken und feststellen konnte, dass er keinesfalls ihr Vater sein kann. Im Affekt tötete er daraufhin Beths Vater.

Was hat es zu bedeuten?

Schon zum Ende dieses dritten Teils ist Joe zunehmend verwirrt über seinen gegenwärtigen Zustand – zu Recht: In der Rahmenhandlung stellt sich heraus, dass er sich als Cookie in einem virtuellen, dem Cottage von Beths Vater nachempfundenen Raum befindet. Cookie-Joe wurde dem echten, in einer Gefängniszelle sitzenden Joe entnommen. Diesem sollte Matthew ein Mord-Geständnis entlocken. Seinem strafmildernden Deal entsprechend kommt Matthew zwar frei, ist aber durch die Z-Augen für immer und von allen Menschen geblockt. Währenddessen harrt Cookie-Joe durch einen Spaß der Polizist*innen über Heiligabend gefühlte Jahrzehnte allein im virtuellen Cottage aus.

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„Weiße Weihnacht“ entpuppt sich damit als so gar nicht besinnliche Geschichte über ewige Verdammnis, die durch die Erfindung zweier ethisch äußerst fragwürdiger Technologien bedingt ist. Die Z-Augen und Cookies sollten eigentlich dem Komfort in alltäglichen und zwischenmenschlichen Belangen dienen, sind aber offen für Missbrauch und werden schließlich mit noch desaströseren Folgen in der Strafverfolgung eingesetzt, was wir an Joe und Matthew demonstriert bekommen.

Smithereens (Staffel 5, Episode 2, 2019)

Die Kritiken zur „Black Mirror“-Episode „Smithereens“ waren verhalten: Weder neue Technologien, noch erstaunliche Twists hatte diese Folge zu bieten, dafür aber ein im Jahr 2018 angesiedeltes Erzähluniversum, das unserer realen Welt recht ähnlich ist. Bei näherem Hinsehen wirft diese Episode aber wichtige Fragen auf, um die unsere Gegenwart unentwegt kreist.

Worum geht’s?

Über weite Strecken ist „Smithereens“ als spannender Krimi über ein Geiseldrama inszeniert: Christopher (Andrew Scott) arbeitet für einen an Uber angelehnten Fahrdienst, wenn er nicht gerade allein im Café hockt oder an einer Hinterbliebenen-Selbsthilfegruppe teilnimmt. Eines Tages hat er einen Mitarbeiter der mächtigen Social-Media-Plattform „Smithereen“ (eine Art Twitter) als Fahrgast und es stellt sich heraus, dass es Christopher von Anfang an darauf angelegt hat: Er entführt den unbescholtenen Jaden (Damson Idris), der entgegen seiner Aufmachung kein hohes Tier, sondern lediglich ein Praktikant bei Smithereen ist. Nichtsdestotrotz will der bewaffnete Christopher ihn dazu bringen, den quasi unerreichbaren Smithereen-Gründer und -CEO Billy Bauer (Topher Grace) an die Strippe zu holen. Während die beiden sich mühsam zur obersten Riege von Smithereen durchtelefonieren, sind sie wegen Christophers stümperhaftem Vorgehen schon von der Polizei samt Scharfschütz*innen umzingelt. Bald schon ist auch das FBI involviert, die britische Presse und live-streamende Jugendliche sind zugegen; ranghohe Smithereen-Mitarbeiter*innen belauschen Christopher über sein Smartphone und geben der britischen Polizei Daten zu seiner Identität und Vergangenheit durch.

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Und dann endlich wird Billy Bauer aus seiner Schweigemeditation fernab in Utah geweckt: eine Männerdutt-tragende Mischung aus Twitter-CEO Jack Dorsey und Jared Leto. Entgegen der Empfehlungen des FBIs und seiner Kolleg*innen zeigt sich Billy weitsichtig und ist bereit, mit Christopher zu sprechen. Bei diesem Telefonat erfahren wir schließlich, was den keineswegs kaltblütigen Christopher zu seiner Tat bewogen hat: Vor drei Jahren verlor er seine beifahrende Verlobte bei einem Autounfall, der nur bedingt von einem betrunkenen anderen Fahrer verursacht wurde. Als damaliger Smithereen-Dauernutzer hatte Christopher während der Fahrt der jüngsten Benachrichtigung auf seinem Handy nicht widerstehen können und in dem Moment den Blick abgewendet, als das andere Auto auf sie zuraste.

Was hat es zu bedeuten?

Diese Erklärung für das Geiseldrama fanden viele Kritiker*innen banal, aber „Smithereens“ dringt in seinem spannenden Plot zu einer aufschlussreichen Analyse der Social-Media-geprägten Gegenwart vor: Während die Mitarbeiter*innen von Smithereen Christopher jederzeit vollends durchleuchten und belauschen können, muss er große Hürden überspringen und sich illegaler Mittel bedienen, um mit den Konzernrepräsentanten ein aufrichtiges Gespräch über Verantwortung zu führen. Dieses umfasst sein eigenes Empfinden, Schuld am Tod seiner Verlobten zu sein, aber auch die Frage, inwiefern ein Technologiekonzern für das Suchtpotenzial seiner Plattformen verantwortlich zu machen ist.

Das Ende von „Smithereens“ hat darüber hinaus zwar keinen der üblichen „Black Mirror“-Twists, dafür aber eine vielsagende Pointe zu bieten: Nach dem Telefonat beschließt Christopher, Jaden freizulassen und anschließend Selbstmord zu begehen. Jaden will Letzteres aber nicht zulassen und ringt mit Christopher um dessen Pistole, bis schließlich eine Scharfschützin einen Schuss abgibt. Wie dies ausgeht, erfahren wir nicht, wir sehen nur die Gesichtsausdrücke der Umstehenden und dann immer mehr Menschen, kurz auf ihre Handys starren und sich dann wieder ihren Leben zuwenden. Wie das Geiseldrama ausgeht, so suggeriert dieses Finale, scheint schließlich egal in einer Welt, in der die Aufmerksamkeitsspanne der meisten gerade mal so weit reicht wie die ersten Takte von Frankie Vallis Song „Can’t Take My Eyes off You“, der die Episode beschließt.

Alle fünf Staffeln von „Black Mirror“ sind auf Netflix streambar.

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