Laurie Anderson


Das Befremdliche im Alltäglichen ist das Thema der New Yorker Allround-Künstlerin. Scheinbar Banales reißt sie aus dem Zusammenhang, um es in unorthodoxen Puzzles wieder zusammenzufügen. Anläßlich der Premiere ihres ersten FILMES "HOMES OF THE BRAVE" sprach Gabriele Meierding mit LAURIE ANDERSON.

„Paß auf“, sagt der alte Mann zu der zierlichen Frau mit den Grübchen. „Beim Tango faßt man sich nicht an. „

„Aber Bill“, lacht sie, „beim Tango geht’s um nichts anderes!“

„Nee, nee!“ meint er kategorisch. „Wir tanzen ihn so!“

„Okay“, sagt Laurie Anderson, „dann tanzen wir ihn eben so. „

So stolpert der hochgewachsene Greis William S. Burroughs, in einer rührenden Mischung aus Hilflosigkeit und würdevoller Distanz über die Bühne. Laurie Anderson tanzt den Tango mit der unantastbaren Legende ohne Körperkontakt. Ein tragischer Höhepunkt ihres Filmes „Home Of The Brave“.

„Das war vielleicht merkwürdig, mit ihm zu tanzen“, sagt Laune Anderson. „Er ist so zerbrechlich, nur ein Anzug! Geistig ist er dagegen überhaupt nicht angeschlagen und nach wie vor unglaublich scharfsinnig. „

Für Laurie Anderson ist William S. Burroughs, kultisch verehrtes enfant terrible unter den amerikanischen Literaten, Idol und Inspiration. Einen verrückten 20er Jahre Mark Twain nennt sie ihn liebevoll. „In den konservativen Fünfzigern hat er die Amerikaner mit seinen schockierenden Ansichten über Drogen und Sex verschreckt. Als Gesellschaftskritiker hat er mich immer interessiert, weil er eben alles in einem anderen Licht sah. Obwohl mir da einiges gegen den Strich geht — wie zum Beispiel seine Einstellung zu Frauen und Waffen: Waffen mag er, Frauen nicht. Was ich an ihm schätze“, erklärt Laurie Anderson, „ist sein Mißtrauen gegenüber der Sprache. Er traut ihr nicht, trotzdem liebt er sie.“

„Language is a virus from outer space“ — Worte des großen Mannes. Die Sprache als Virus; Laurie Anderson, die Sprachgewohnheiten als Verständigungsbremse entlarvt, hatte sich sofort in diesen Ausspruch verliebt. Durchs Telefon erzählte sie ihrem alten Freund Burroughs, wie toll sie diese Zeile fand, und er meinte: „Du kannst sie haben. „

„Sowas“, sagt sie, „erlebst du bei Schriftstellern weiß Gott nicht alle Tage.“

YOU’RE THE GUY I WANT TO SHARE MY MONEY WITH hieß das Album, auf dem Anderson & Burroughs Mitte der 70er erstmals gemeinsame Sache gemacht hatten. Sie ist die Frau, der er großzügig einen seiner Geistesblitze überläßt —- wenn auch nicht den Arm zum Tango. „Language ls A Virus“ ist Laurie Andersons aktuelle Single. Auf Platte tauchte das Stück erstmals in der fünf LPs umfassenden Live-Cassette UNITED STATES auf, einer im Februar 1983 in der New Yorker Brooklyn Academy Of Music ausgezeichneten Dokumentation des Laurie Anderson-Zentralwerkes. Von UNITED STATES leiteten sich bislang alle LPs der vielseitigen Künstlerin ab. von BIG SCIENCE über MR. HEART-BREAK bis hin zu HOME OF THE BRAVE, dem Album zum Film.

Für HOME OF THE BRAVE hat der New Yorker Starproduzent Nile Rodgers den Virus noch einmal tüchtig aufgemöbelt, auf daß er alle Discos und Radiosender infiziere.

Laurie Anderson hat es aus der exklusiven Avantgarde-Station ihres klang-Laboratoriums in einen Technicolor-Leinwandtraum getrieben. Als Star auf der Bühne durfte sie die Träumerin sein. Als Regisseurin mußte sie anschließend diese Träume begutachten. Laurie Anderson in einer Projektion von Laurie Anderson: ein künstlerisch ebenso logischer wie schizophrener Akt. „Wie in allen Filmen gab es einen Machtkampf zwischen dem Star und dem Regisseur“, sagt sie. “ Und wie in jedem Film hat auch hier der Regisseur gewonnen.“

Genauso hatte sie es übrigens schon einmal in der New York Times in einem Beitrag über ihren Film geschrieben.

Laurie Anderson hatte Martin Scorsese die Regie angeboten, weil ihr „The Last Waltz“ als Musikfilm so imponiert hatte. Doch er meinte: „Such dir einen guten Aufnahmeleiter und mach es selbst.“ Dasselbe riet ihr Jonathan Demme, Regisseur des Talking Heads-Filmes „Stop Making Sense“, der im vergangenen Jahr hier in die Kinos kam und einen neuen Standard für Musikfilme einführte.

Laurie Andersons „Home Of The Brave“ fliegt sogar noch höher, der Streifen ist ebenso unterhaltsam wie anstrengend, intelligent und bizarr und gelegentlich auf hohem Niveau erfrischend lächerlich. Bei diesem multimedialen Spektakel verschwimmen die Grenzen zwischen Experiment und Spielerei. Getratscht wurde ja schon reichlich über den Mini-Synthesizer, der aussieht wie ein Schlips (oder umgekehrt: den Schlips, der sich anhört wie ein Synthi). Die einen fanden den Gimmick geradezu köstlich, die anderen unter Lauries Würde. Die Botschaft ist jedoch keineswegs Klamauk, sondern Humor. Und zwar der Humor, den man aufbringen muß, um der Technologie Paroli zu bieten, die sich um uns herum zusammenrottet.

„Technik ist etwas, mit dem man sich jeden Tag auseinanderzusetzen hat“, erklärt sie beim Interview. „Aber ich integriere sie in meine Auftritte, weil man inzwischen kaum noch im Stande ist, zwischen Mensch und Maschine zu unterscheiden.“

Intro „Home Of The Brave“: Ein tanzender Drumcomputer im weißen Anzug erscheint uns in Menschengestalt. Laurie Anderson, verdrahtet und verkabelt, tritt als lebende Rhythmusmaschine auf. Wir denken vielleicht immer noch, daß sie die Technik liebt. Dabei dient ihr die klangtechnische Trickkiste einzig und allein dazu, den Feind in den Griff zu kriegen.

„Man sieht, wie die Maschinen uns tyrannisieren, und man versucht zu verstehen, welche Auswirkungen die Technologie auf das menschliche Lehen hat. Für die meisten wird es immer beängstigender, weil dies etwas ist, was sie weder verstehen noch kontrollieren können. „

Während des Interviews spricht sie leise, sanft und eindringlich und hockt zierlich zusammengesunken an einem kleinen Tisch in der Bar des Berliner Hotels. Die Zeit ist viel zu knapp, um jede der endlos aufgelisteten Fragen der Journalisten zu beantworten. Sie wirkt ein wenig erschöpft, aber nicht die Spur genervt und antwortet sehr persönlich. Und wieder wird ein Gespräch jählings unterbrochen — und wieder äußert sie ehrliches Bedauern. Der Terminplan platzt aus allen Nähten.

„Ursprünglich wollte ich ja nur herkommen, um den Film vorzustellen“, sagt Laurie Anderson. „So nach dem Motto: ‚Hier ist der Film, ich bin die Regisseurin, ich hoffe, er gefallt euch. Und wo ich schonmal hier bin, kann ich ja auch noch den einen oder anderen Song bringen.‘ Aber am Ende war daraus doch eine ganze Kollektion von Stücken geworden, die ich für die Bühne neu bearbeitet habe, so eine Art Retrospektive. „

War ihre Entscheidung, die acht Auftritte in der Bundesrepublik in der Zeit vom 15. Mai bis 1. Juni ausschließlich auf Theater- oder Konzertbühnen zu gestalten, ein Statement zur künstlerischen Standortbestimmung?

„Ich finde, daß ich da am besten aufgehoben bin“, meint sie. „Ich will, daß möglichst viele Leute gut sehen können, außerdem ist die Akustik in diesen Theatern großartig. Für mich hat es wenig Sinn, in Clubs aufzutreten. Ich brauche eine richtige Bühne und gute Sichtverhältnisse, damit das Publikum auch die Projektionen mitbekommt. „

In Clubs wären wir hierzulande mit Laurie Anderson auch heftig ins Gedränge gekommen. Der Ansturm war enorm, zumal die Tour vor Filmstart über die Bühne ging. Das Eröffnungskonzert im Hamburger Schauspielhaus war gleich ein Triumph für die Künstlerin und ihre drei Begleiter, die zunächst nur eine einzige Zugabe dabei hatten; ein urkomisches Music Hall-Couplet, welches sie auf dem Bühnenrand sitzend inszenierten.

Im ersten Drittel der Show hatte Laurie etwas Streß im Gesicht, weil sie mit ihren deutschen Spickzetteln noch nicht ganz warm geworden war. Für die Songs, die sie im Original belassen hatte, wurden die Übersetzungen gleich mitprojiziert.

„Es ist ein Kompromiß“, sagt sie. „ein Versuch, die Geschichten zu erhalten. Ich weiß aber, daß es oft schwierig ist, zuzuhören und gleichzeitig mitzulesen. Das funktioniert nicht immer, aber für mich war es besser als gar nichts.“

Funktioniert hat es zumindest gut genug, um die Atmosphäre zu bewahren, die Laurie Anderson zusammen mit dem Keyboarder Dave Lebolt und dem göttlichen schwarzen Soul-Duo Philip Bellow und Bennie Diggs aus den vergleichsweise bescheidenen Zutaten hervorzauberte. Die Besetzung war erheblich kleiner als im Film, dafür war die Show aber um vieles magischer. Für das Kino hatte Laurie Anderson mit dem Gitarristen Adrian Belew, dem Schlagzeuger David van Teighem, dem Saxophonisten

Richard Landry, Joy Askew an den Keyboards und den Chordamen Dolette McDonald und Janice Pendravis ein Staraufgebot zusammen, dazu noch den koreanischen Meister San Won Park als Repräsentanten des musikalischen Purismus.

Der Film ist ein mit Witz zusammengewürfelter Kessel Buntes, die Shows dagegen waren die Essenz: Vaudeville im Atomzeitalter. Dank Diggs & Bellow lösten sich hier sogar die Widersprüche zwischen experimenteller Elektronik und Soul in akustisches Wohlgefallen auf.

Daß Laurie Anderson die Technik sinnlich macht, ist seit ihrem ersten und größten Hit „O Superman“ allerdings kein Geheimnis. Sie hatte es fertiggebracht, das Sensitive vom Synthesizer-Kitsch zu trennen. Seitdem sie sich von der exklusiven Performance-Kunst immer weiter in Richtung Entertainment bewegt, furchten ihre besorgten Fans, sie werde nun ihr Genie verschwenden und sich in allzuvielen wohlfeilen Mätzchen verzetteln.

«Also zunächst einmal hat der Begriff Entertainment für mich absolut nichts abschreckendes“, meint sie darauf. „Entertainment bezieht das Publikum mit ein, es ist sehr direkt. Mir war noch nie daran gelegen, irgendwelche Theorien zu entwickeln, bevor ich etwas in Angriff nehme. Ich arbeite auf eine sinnliche Art mit dem, wus man hart und was man sieht. Außerdem hat Entertainment etwas mit Humor zu tun, und darauf baue ich — und das sogar ganz entschieden, weil das nämlich etwas ist, was der New Yorker Kunstszene völlig abgeht.“

Außerdem ist ihr daran gelegen, ihre Kunst zu erschwinglichen Preisen möglichst vielen zugänglich zu machen. Und dafür sind Schallplatten und Konzerte geradezu ideal.

„Die Eintrittspreise waren für diese Konzerte hier zugegeben ziemlich hoch. Aber sie hielten sich immer noch im Bereich des Greifbaren — im Gegensatz zu dem, was man füir ein Gemälde zu bezahlen hat. Für mich war dies ein willkommener Weg, als Künstler Zugang zu einer anderen Welt zu bekommen. Denn wenn du teure Einzelstücke produzierst, ¿ dann landen die in den Häusern von Geldleuten, die ideologisch für gewöhnlich auf einer völlig anderen Wellenlinie sind als du. Außerdem“, sagt sie. „macht es mir auch Spaß, mich des Fernsehens und des Radios zu bedienen. Die meisten fürchten diese Medien, weil sie ebenso mächtig wie rüde sind, was bedeutet, daß du als Künstler ganz schön pfiffig sein mußt, weil sie eben auch viel kaputt machen. „

Als Clown kann man einiges leichter an den Mann bringen.

„Mir macht es nichts aus, den harren zu spielen“, sagt Laune, die es auch versteht, die Grenzen zwischen Poesie und Comic Strip auszuradieren. „Ich liebe Comic Strips“, sagt sie. „Aber inzwischen ist ja kaum einer mehr in der Lage, zwischen Comic Strip und Wirklichkeit zu unterscheiden. Das liegt an den Bildern, die das Fernsehen ständig produziert, deswegen habe ich ja auch solche Ressentiments gegen unser amerikanisches 71-System, denn es kreiert diese Comic Strip-Welt. Die Jugendlichen schauen sich Rambo an und bilden sich ein, das hätte etwas mit der Realität zu tun. Mir wäre es lieber, wenn die Grenzen da offensichtlicher wären.“

Dazu schwirrt ihr so eine Filmidee durch den Kopf. Nicht daß sie vorhätte, ihn zu drehen, es ist eher ein geistiger Torpedo: „Also der Plot sieht so aus: Rambo kehrt aus Vietnam zurück, völlig am Boden zerstört. Rocky hat sich in der Zwischenzeit aus dem Boxgeschäft zurückgezogen, aber Rambo schafft es, ihn zu einem letzten Kampf herauszufordern. Dann zeigt man die beiden auf so einer geteilten Leinwand wie seinerzeit Rock Hudson und Doris Day in ‚Bettgeflüster‘, wie sie aufeinander losgehen. Die Kampfszenen stammen natürlich uns alten Stallone-Filmen.

Das wäre ein gutes Finale für diese endlose Serie von Rocky-Filmen. Sylvester Stallone findet von allein nämlich nie den Absprung, und irgendwie muß diesem Mann ja geholfen werden. „

Möglicherweise wird sich das Problem von alleine lösen, denn allzulange wird Rocky nicht mehr in vollständigen Sätzen sprechen können.

„Meinst du wirklich, daß dieser Tag kommen wird?“ meint Laune Anderson skeptisch. „Das erscheint mir reichlich optimistisch. „

Einer ihrer brillantesten Einfälle ist die Lektion über die Null und die Nummer Eins. Sie liegen tatsächlich nur einen Schritt auseinander.

Und was will uns die Künstlerin damit sagen?