Neil Young & Crazy Horse


Die Kulisse paßt wie die Faust aufs Auge. Zwar ist es kein Fluß, sondern ein See, genauer ein Badesee, auf dem die erste Sound-Kostprobe von Neil Young & Crazy Horse, Jahrgang 1996, widerhallt: ‚Down By The River‘ geht den knapp 10.000 Zuschauern am Badesee bei Düren sofort unter die Haut. Das ist auch bitter nötig. Bei eher herbstlichen Temperaturen und bei zwei Supporting-Acts, die so lau waren, wie die Luft eigentlich hätte sein sollen: Die Levellers halten sich passabel, ZZ Top enttäuschen auf ganzer Linie. Bei ihrer Mischung aus Schunkel-Rock und schlafwandlerisch dargebotenem Boogie kommen bestenfalls die wenigen Fans auf ihre Kosten, die es trotz ihres jugendlichen Alters schon geschafft haben, ihre Barte bis zum Knie wachsen zu lassen.

Bei Neil Young & Crazy Horse ist das natürlich anders, da will die Musik nach all den Jahren immer noch keinen langen Bart haben. Und sofort steckt der Zuhörer im explosiven Soundgeflecht der Gitarren von Neil Young und Frank „Poncho“ Sampedro, vibriert mit dem satten Bass von Billy Talbot und stampft zu den schweren Drums Ralph Molinas.

Immer wieder in den vergangenen Jahren trafen die vier kongenialen Musiker zusammen, wenn Neil Young seine Solo-Exkursionen satt hatte. Nach dem Bob Dylan-Jubiläum in New York und den darauf folgenden Tourneen mit Booker T. & The MGs und mit Pearl Jam zieht es den „Loner“ wieder mit Crazy Horse auf die Bühne. Seit ihrem ersten Zusammenspiel auf dem Album ‚Everybody Knows This Is Nowhere‘ (1969) ist über zweieinhalb Jahrzehnte eine kompakte Gruppe gewachsen, die in ihrer unnachahmlichen Mischung aus Präzision, Virtuosität, Experimentierfreudigkeit und Authentizität einzigartig bleibt. Und wenn man bei jedem Konzert von Neil Young & Crazy Horse denkt, daß damit eigentlich der ultimative Höhepunkt erreicht sein dürfte, setzen die Musiker bei jedem neuen Auftritt wieder mindestens einen Höhepunkt drauf. So auch in Düren: Neben einigen Werken aus dem neuen Album ‚Broken Arrow‘, die sich problemlos in das alte Material einfügen, über die Ironie von ‚Pocahontas‘, die Tragik von ‚The Needle And The Damage Done‘, der populistischen Hymne ‚Rockin‘ In The Free World‘ zu dem gigantischen Standard ‚Cortez The Killer‘: Da gehen treibende Dynamik und unendliche Langsamkeit eine Verbindung ein, bei der die Zeit stillzustehen scheint. Oder sogar rückwärts läuft, so daß es scheint, als ob der Conquistador Hernando Cortez dabei vielleicht gerade über den kaum gekräuselten Wasserspiegel des Dürener Sees herangeschwebt kommt. Übertroffen wird das alles natürlich von ‚Like A Hurricane‘. Ich weiß nicht mehr, wieviele Versionen ich von diesem Song mittlerweile auf den offiziellen Platten, den unzähligen Bootlegs oder live vor einer Bühne erlebt habe. Diese in Düren war jedenfalls wieder einmal die beste. Im Stakkato-Gewitter der Gitarren, dem erdigen, wuchtigen Klängen von Billy Talbot und Ralph Molina, im brodelnden Universum der Feedback-Kaskaden und der Wah-Wah-Eskapaden und der nötigen Stimme Neil Youngs findet sich immer wieder ein neuer Weg, um diesen Song durch mit dem aufgetürmten Sound zu neuen Gitarren-Figuren üppig zu verzieren.

Da werden im Publikum die Biker und Althippies, die intellektuellen Genießer, die Grunge-Kids und blutjungen Seventies-Fans, die gerade mal in den 70ern geboren wurden, in einen Rausch gezogen. Und als sich dann schließlich der ‚Hurricane‘ über dem See verzogen hatte, starteten Neil Young & Crazy Horse sofort noch eine Kurzfassung, quasi die Live-Single-Fassung von ‚Like A Hurricane‘, hintendran. Das ist Rock’n’Roll für alle Sinne, für Bauch, Gefühl, die Nerven und nicht zuletzt auch für den Kopf. Hätten diese knapp zwei Stunden geborgter Ewigkeit nicht wirklich ewig dauern können? Neil & Crazy Horse, auch in Düren waren sie wieder wie vier Bildhauer, die sich am schweren Material abmühten, es abtrugen. Schwerstarbeiter an einem Stoff, der Rock ’n‘ Roll heißt.