Paulas Popwoche: Scheiße am Set


Morgen kommt das neue Beyoncé-Album, am Sonntag wird die Zeit umgestellt und am Tag danach, dem 1. April, gibt es legal Kiffe und weitere Scherze von Freunden und Familie. Das herrliche Leben liegt noch in der Zukunft.

Schauen wir also zurück. Auf vergangene Scheiße, die wir noch abschütteln müssen, bis wir in Glückseligkeit zu Queen Bs “ACT II” in dichten Nebelschwaden auf der Wiese rumkugeln. Ja, das Thema dieser Woche ist good old #Metoo. Das scheint mittlerweile ein regelrechtes Genre geworden zu sein. Die Dokus, Podcasts und Artikel prasseln nur so auf uns ein. Ist es hip geworden? Ja, vielleicht. Ist der Missbrauch aller Orten besser zu ertragen oder wird er gar relativiert, wenn man die Erzählungen über ihn zu Kulturprodukten verwurschtelt? Bestimmt. Aber die Menge an Erzeugnissen hilft auch dabei, die Diskussionen zu verschieben – weg vom Fokus auf einzelne Monster, weg von ausschließlich juristischen Betrachtungen hin zu gesellschaftlichen Debatten. Wo lassen Strukturen Missbrauch zu, wo gibt es Netzwerke, die Täter schützen und bekräftigen? Wie sieht das Klima aus, indem Missbrauch normalisiert bis belächelt wird? Soll überhaupt irgendjemand so viel Macht haben, dass er sie missbrauchen kann? Wie soll Konsens aussehen, wen begehren wir, wie wollen wir begehrt werden und so weiter und so fort.

Paulas Popwoche: Ewiger Sonnenschein

Ich glaube, in diesem Zwischenstadium befinden wir uns gerade. Die zuletzt erschienen Dokus zu Metoo-Fällen in der Popkultur glänzen nicht immer mit juristisch relevanten Beweisen, aber mit Menschen, die von gefährlichen Verhältnissen erzählen, die gegen sie gekämpft haben und sich zusammenschließen – und sogar mit Tätern, die Verantwortung übernehmen wollen.

Doku 1: “Rammstein – Die Reihe Null”

Für diese Doku wird sich das Missbrauchsystem um Till Lindemann und Rammstein nochmal angeguckt. Da es immer noch unfassbar ist, wie die Band sich da raushauen lassen konnte, kann man nicht oft genug nachhaken. Das Traurige daran ist, dass immer wieder Superheldin Shelby Lynn, die das ganze letztes Jahr ins Rollen brachte, vor die Kamera muss, weil kaum eine andere sich traut. Verständlicherweise. Die Betroffenen haben schließlich gesehen, wie der Hass über die Irin gekippt wurde. Diese Doku ist eher ein Update, eine Erinnerung, das Ganze weiter gesellschaftlich zu diskutieren. Viel Neues gibt es nicht. Das Bekannte ist ja auch schlimm genug.

Doku 2: “Gegen das Schweigen – Machtmissbrauch bei Theater und Film”

Die zweite Doku beschäftigt sich mit Missbrauch und Aggressionen bei Theater und Film in Deutschland und Österreich. Ich sag’s wie es ist: Diese Doku ist ernüchternd. Kaum einer der hier genannten Fälle hat irgendwelche großen Konsequenzen, kaum jemand der Betroffenen kann offen sprechen, viele sind sogar geblurrt. Die Dreistigkeit, mit der die genannten Täter vorgegangen sind, ist erschreckend. Opfer sind viel zu oft gesichtslos, hier auch wortwörtlich.

Paulas Popwoche: Neid auf J. Lo!

Doku 3: “Quiet on Set: The Dark Side of Kids TV”

Amerikanisches Fernsehen, der Neunziger und Nuller steht unserem Wahnsinn natürlich in nichts nach. Bei “Quiet on Set” geht es um die Beschissenheiten, die sich bei Nickelodeon zugetragen haben, natürlich wie immer um junge Menschen und die vielfältige Gewalt, die ihnen angetan wurde. Unter anderem erzählt Drake Bell (“Drake & Josh”) von Vergewaltigungen, die er dort erlebt hat. Außerdem geht es um Sexualisierung junger Mädchen, die der Produzent und Autor Dan Schneider zu verantworten hat. Ich finde diese Doku unangenehm sensationsgeil und wünschte, man hätte das ganze System um die Kinderschauspielerei breiter beleuchtet, vor allem eben die Ausbeutung. Durch den Fokus auf Einzelne verkommen solche Sachen schnell zum Gossip-Wahnsinn (im Nachgang äußern sich jetzt sämtliche Promis auf all möglichen Plattformen, beschuldigen sich gegenseitig oder nehmen sich in Schutz), aber one step after another.

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Wenn man ohne diese aufgebauschte True-Crime-Ästhetik in die Welt von Nickelodeon reinschauen, was über die Strukturen, aber auch über Herkunft und Psyche und persönliche Konsequenzen für Kinderstars wissen will, kann lieber Jennette McCurdy Buch “I’m Glad My Mom Died” lesen.

Podcast 1: “Die Akte Kasia Lenhardt”

Dieser Fall ist so furchtbar, dass ich sehr froh bin, dass sich das jemand noch mal genauer angesehen hat. Maike Backhaus und Nora Gantenbrink haben das getan und dabei herausgekommen ist diese Podcastserie. Kasia Lenhardt, Exfreundin von Jérôme Boateng, hat sich 2021 umgebracht – nachdem Boateng und die Bild-Zeitung sie öffentlich gedemütigt haben. Die Auswertung von Sprachnachrichten und Berichte ihrer Angehörigen legen jedoch nahe, dass sie Gewalt in dieser Beziehung erlebt hat und sie mittels Lügen fertig gemacht wurde. Der Podcast ist schwer zu ertragen, aber so wichtig. Vor allem weil dieser Fall ein Beispiel für die “NDA”-Methode ist, also dafür, dass insbesondere Frauen durch das Unterzeichnen von Verschwiegenheitserklärungen zum Stillsein gezwungen werden, beziehungsweise ihnen Angst gemacht wird.

Podcast 2: “Who Trolled Amber Heard?”

Für diesen Podcast braucht man etwas Geduld, mir persönlich ist er etwas zu langsam, weshalb ich bisher erst drei Folgen geschafft habe. Manchmal denkt man ja als Feministin, man übertreibt vielleicht hier und da, man will ja auch keine Verschwörungstheoretikerin sein. Aber dann kommt raus, dass es einfach stimmt. Leider! Im Fall von Amber Heard, die den Hass der halben Welt abbekam, als sie mit Exmann Johnny Depp vor Gericht saß und als Beispiel für die misogyne Erzählung, dass Frauen eigentlich lügen und bessere Opfer sein müssen, herhalten musste und das von – nicht nur – Rechten zum riesigen Backlash benutzt wurde, jedenfalls in diesem Fall ist das so. Hier geht es darum, dass gezielt Trolle eingesetzt wurden, um die (Online-)Debatte dahingehend zu lenken – und warum ausgerechnet dieser Fall so gut eignete.

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Podcast 3: Mischa Barton bei “Call Her Daddy”

Frühsexualisierung, Ausbeutung junger Menschen, wir hatten es oben schon mal. Hier kommt noch eine Betroffene zu Wort. Mischa Barton war gerade mal 17, als sie Marissa Cooper in “The O.C.” spielte. Ihre Kolleg*innen waren allesamt älter, auch ihr love interest Ryan (und ja, sie waren tatsächlich auch in echt zusammen). Was das für sie bedeutete, wie sie danach darunter litt, kaum noch Rollen zu bekommen, wie Boulevardmedien sie beschämten und verfolgten, darüber spricht sie im Podcast “Call Her Daddy” mit Alex Cooper.

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Noch ein paar schöne Dinge zum Schluss:

  • Guckt euch bitte die Serie “Chicken Nugget” (Netflix) Es geht einfach um eine Frau, die in ein Chicken Nugget verwandelt wird. Man denkt die ersten Folgen lang nur: WAS? Und dann wird’s etwas langweilig, aber bis dahin ist es herrlich überdreht und lustig.
  • Kürzlich bekam ich etwas von einem Shitstorm gegen Olivia Rodrigo Sie habe auf ihren Konzerten die Pille danach verteilt. Ich war mir sicher, das ist ein rechter Fake, auch wenn ich es natürlich super gefunden hätte. Doch sie ist tatsächlich so super. Dahinter steckt eigentlich der Abortion Fund, eine Organisation, die sich zur Aufgabe gemacht hat, Menschen bei Schwangerschaftsabbrüchen zu unterstützen, vor allem dort, wo sie verboten sind. Sie verteilten nach Einladung Rodrigos (die selbst die “Fund 4 Good” – Initiative ins Leben gerufen hat) auf ihren Konzerten Kondome und eben die Pillen. Leider musste die Ausgabe der Verhütungsmittel nach dem Druck der Rechten wieder eingestellt werden. Aber die Aufmerksamkeit ist den Funds trotzdem sicher. Und Rodrigo ist schon länger eine stabile Kämpferin für reproduktive Rechte von Frauen. 2022 sang sie mit Lily Allen “Fuck you” beim Glastonburry und widmete den Song den Richtern des Supreme Court, die damals die bundesweite Regelung für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch kippten, deren Namen sie einzeln outcallte: “We hate you”.
  • Kelly Clarkson haut einen sowieso jedesmal mit ihren Coverversionen (“Kellyoke”) vom Hocker und dann nochmal aus den Latschen. Jetzt hat sie “Wide Awake” von Katy Perry gecovert, die sich folgendermaßen dazu äußerte:

Haha. Aber zu Recht:

https://www.youtube.com/watch?v=yfmSu5xWKN8