Peter Maffay


Da steht er nun. Deutschlands Parade-Rauhbein Nr. 1 kehrt nach zwei Maffay-losen Jahren wieder auf die Bühne zurück. Keine Frage: Die Fronten bleiben nach wie vor verhärtet: Für die einen ist er noch immer der sensible Mann mit dem aufrechten Gang, für die anderen der triviale Tränendrüsen-Drücker. Daß verkrustete Klischees aber schnell zerbröckeln, wenn man sie an der Wirklichkeit mißt, konnte Andreas Hub feststellen, als er den Start von Maffays Bestseller-Tour beobachtete.

Noch keine Verkehrsstaus in der Bremer Innenstadt, noch keine Parkplatzprobleme vor der Stadthalle, einem eher erschlagenden Gemisch aus Beton und Übertreibung, noch keine Warteschlangen vor den Eingängen. Ein Blick zur Uhr: Noch drei Stunden zum Konzertbeginn, noch drei Stunden zum Startschuß für die Peter-Maffay-Tournee. Die Ruhe vor dem Sturm.

Nur in der Nähe der Bühneneingänge kommt langsam etwas Nervosität ins Bild: Sie ziehen ihre Kreise immer enger, die beinharten Fans, die mal einen Blick ins Allerheiligste werfen wollen oder auch nur hoffen, sich doch noch irgendwie in das seit Monaten ausverkaufte Konzert zu schmuggeln. Aber ohne entsprechende Ausweise geht natürlich nichts.

Da heißt es, Erfindungsgabe zu beweisen. Die beiden Mädchen zögern einen Augenblick, bevor sie auf mich zusteuern:

„Hör mal, wir können dir doch deinen Kamerakoffer in die Halle tragen.“ Mein zaghafter Hinweis, daß besagter Koffer nur einen Griff habe und demzufolge schlecht zu zweit zu tragen sei – das alles ist nichts gegen das erklärte Ziel, Peter Maffay beim Soundcheck über die Schulter zu sehen.

Hinter verschlossenen Türen herrschte in der gähnend leeren Bremer Stadthalle schon Tage vor dem ersten Konzert Hochbetrieb. Als ich eintreffe, kommt mir ein übernächtigter Peter Maffay entgegen, dem man eher einen 30tägigen Erholungsurlaub gönnen möchte als eine ebenso lange Tournee: „Wir haben gestern zehn Stunden lang geprobt.“ Jeden Tag das gesamte Zweieinhalb-Stunden-Programm zwei bis dreimal – so sah das Basis-Pensum für die Probentage in Bremen aus.

Bevor sich die Tourneekarawane dorthin auf den Weg machte, hatte sich die Band bereits in Maffays Tutzinger Studio versammelt, um sich einzuspielen.

Die Proben zogen sich aus gutem Grund diesmal besonders lange hin: Neben der Stammbesetzung Frank Diez (g), Steffi Stefan (b), Bertram Engel (dr), Eddie Taylor (sax), Jean-Jacques Kravetz und Thomas Glanz (beide Keyboards) ist seit der letzten LP Johan Daansen zweiter Gitarrist: und für die Tournee holte sich die Band eine dreiköpfige Horn-Section zur Verstärkung.

Außerdem hatte sich überraschend ein unerwarteter Gast angesagt, der bei jedem Konzert auf besondere Ovationen rechnen kann: Johnny Tarne. In einer Spontan-Aktion hatte er noch vor Tour-Start mit Maffay eine Mini-LP eingespielt, die auch zum Tournee-Repertoire gehört, das ansonsten einen weitgefaßten Querschnitt durch die letzten 14 Jahre bietet – bis hin zur Millionen-Schnulze „Du“.

Lohn der intensiven Arbeit: Schon beim ersten Konzert eine Power, die jeden Gedanken daran wegfegt, daß die Band seit zwei Jahren nicht mehr live zusammen gespielt hat.

Und im gleichen Atemzug gehen Vorurteile über Bord: Die vom profilneurotischen Schlagersänger, der sich seit Jahren der Rockgemeinde anzubiedern versucht, indem er eine Garde verdienter Alt-Mucker um sich schart, die sich mit sicherem Ein- und Auskommen der Rock-Rente entgegenspielen.

Die Maffay-Konzerte sind ein schöner – oder auch trauriger – Beweis dafür, wie sich Meinungen verselbständigen, ohne daß sich noch jemand die Mühe macht, sie an der Realität zu messen. Und Tatsache ist, daß sich die elfköpfige Band mit ihrem Frontmann den Arsch aufreißt: Ausruhen ist nicht angesagt, und die 20minütige Pause ist eine der eher überflüssigen Konzessionen ans Publikum.

Unangenehmer fallen da auf: Ein Film vor dem Konzert, der Maffay durch den Wald rennen sieht, durch Bäche waten läßt, kurzum die gängigen Klischees vom rauhen Naturburschen zementiert – und bei der Zugabe der Ritte in die Arena auf dem Sattel seiner Harley Davidson. Das Motordröhnen kommt vom Band, und die Band spielt dabei „Born To Be Wild“.

Im Nu steht eine dichte Menschentraube vor der Bühne, und der Rest der Halle steigt auf die Stühle. Ein spürbarer Ruck läuft durch die Musiker, jetzt geht es ab. Die Folge: Zugabe um Zugabe, insgesamt eine halbe Stunde lang, bis mit „Nessaja“ und Tausenden von Wunderkerzen das Konzert zu Ende geht.

Trotzdem herrscht hinter der Bühne erstmal dicke Luft. Maffay ist für seinen Arbeitseifer, seinen Perfektionismus ebenso bekannt wie für seine Art, die Dinge hin und wieder deftig beim Namen zu nennen.

Gegen Ende war der Sound immer lauter geworden, zum Schluß zu laut, und dafür gibt’s einen Anschiß. Wenn man sich dann gegenseitig die Meinung gesagt hat, geht’s Schulter an Schulter ab in die Hotelbar – die Sache ist okay.

Offenbar trägt man in dieser Band Konflikte lieber aus als mit sich herum. „Wenn irgendwas nicht läuft, muß ich das sofort klären. Kann schon sein, daß ich zu weit gehe, wenn ich mal ausraste, aber dann ist das wenigstens erledigt.“

Wer hier der Chef ist, daran gibt es keinen Zweifel – aber auch nicht daran, daß dieses System funktioniert. Es gibt keine künstliche oder sinnlose Hierarchie, keiner ist wertvoller und wichtiger als der andere. Für Außenstehende vielleicht schwer zu begreifen, aber irgendwie geht es hier unverkrampfter und lockerer zu als bei vielen Bands, die Demokratie sagen und Intrigen praktizieren.

Am nächsten Tag steht das zweite Konzert in Bremen an, wieder ausverkauft. Die Sache mit den Wiederholungskonzerten ist natürlich ein taktischer Schachzug. In der Erwartung, daß die Tournee ungefähr 300000 Menschen ziehen wird, wurde fast in jeder Stadt die Halle gleich für zwei oder drei Tage gemietet.

So schlägt man zwei Fliegen mit einer Klappe: Läuft’s nach Plan, kann man die Attraktivität des Künstlers noch effektiver demonstrieren; läuft’s nicht, verschwinden die anderen Daten in der Versenkung, ohne daß jemand davon erfährt.

Aber bei dieser Tour klappt alles wie am Schnürchen – und auch das zweite Konzert in Bremen ist kein Abklatsch des Premierenabends. Am Nachmittag haben die Musiker noch ein paar neue Stücke eingeübt, weil sich das Repertoire als zu kurz erwiesen hatte.

Es war mal wieder so, daß man glaubte, an alles gedacht zu haben – aber dann hatte sich keiner die Mühe gemacht, bei den Proben die Spieldauer zu stoppen. „Denselben Fehler machen wir nicht zweimal“, lacht Veranstalter Fritz Rau hinterher, „wir erfinden neue!“

Um die zu vermeiden, sitzt Peter eine halbe Stunde vor Konzertbeginn in der Garderobe und vertieft sich in die Texte der zusätzlichen Stücke: „Passiert mir immer wieder, daß ich auf der Bühne mitten in einem Text hängenbleibe.“

Diesmal landen erste Geschenke auf der Bühne – die Fans wissen: In dieser Nacht wird Maffay 35. Gegen Ende des Konzertes ziehen sie ihn von der Bühne. Die Ordner werden blaß, befürchten Schlimmes, aber er hat seinen Spaß und ist sogar ein bißchen sauer, als man ihn packt und wieder auf die Bühne holt.

Die anderen fahren hinterher schon zum Feiern vor – von der Crew abgesehen, die die Nacht damit verbringt, fünf 38-Tonner mit der Anlage zu beladen. Maffay aber gibt geduldig Hunderte von Autogrammen. Keine Flucht durch die Hintertür, kein Abwimmeln von „lästigen“ Fans.

Als dann schließlich alle im Restaurant sitzen, läßt Fritz Rau es sich nicht nehmen, als Kellner zu fungieren und die Suppe aufzutragen. Ein Spaß vielleicht, aber keine Koketterie, sondern ein Schlaglicht auf Raus Philosophie von der „Familie“, mit der und für die er arbeitet.

Während Peter damit beschäftigt ist, zahlreiche Geschenke entgegenzunehmen vom Gartengrill bis zum selbstverfaßten Gedicht ist alles vertreten – verdrücke ich mit Betram Engel und Steffi Stefan die ebenfalls von Fritz Rau servierten Bratkartoffeln. Steffi erzählt von seinem Club in Münster, in dem er gerade ein Studio eingerichtet hat, in dem auch Udo Lindenberg seine LPs aufnimmt.

Bertram hat ebenfalls neue Pläne. Für ihn ist diese Tournee der Abschied von Leuten, mit denen er gut sieben Jahre zusammengespielt hat. Aber statt seinen guten Namen durch lukrative Studiojobs zu versilbern, fängt er wieder da an, wo es schon einmal losgegangen ist ganz unten, in kleinen Clubs mit einer neuen, noch unbekannten Gruppe, die sich „Raiders Of The Last Corvette“ nennt. Ein Teil der Musiker kommt aus Holland, hat früher bei Vitesse gespielt, während der Sänger die letzten Jahre wegen Bankraub im Knast verbrachte. Interessante Kombination.

Während ich mich mit Peter Maffay und Fritz Rau in eine Diskussion vertiefe, ob es denn nicht auch ohne besagte Film und Motorrad-Einlage gehe, ruinieren sich die anderen ihre Knochen auf der Bowlingbahn; Johan Daansen meint noch zwei Tage später, er könne vor Muskelkater kaum laufen.

Peter nutzt die Gelegenheit, die Strecke von Bremen nach Bad Segeberg mit seiner Frau Chris auf der Harley zurückzulegen – sehr zum Leidwesen von Fritz Rau, der sich mit Schrecken seiner Zeit als Gerichtsreferendar erinnert, als er die Akten mit den Motorradunfällen zu bearbeiten hatte.

Ich ziehe es vor, die Band im Bus zu begleiten. Im hinteren Teil läuft gerade ein wenig niveauvoller Zombie-Videofilm, vorne reden wir über – na was schon? – Musik: Die letzte „Rockpop“-Nacht, Nik Kershaw, Yes, Johan Daansens erstes Solo-Projekt.

Nur Frank Diez läßt sich hin und wieder vom Gespräch ablenken, wenn man’s von hinten stöhnen und kreischen hört. „Ein Mord! Ein Mord!“ schreit er mit genüßlichem Blick und rennt zum Fernseher.

Der nach dem Horror-Streifen gezeigte Porno hätte im amerikanischen „Hustler“-Magazin wahrscheinlich höchstens die Quahtätsstufe „Half Erect“ bekommen, aber dann sind wir auch schon in Bad Segeberg, wo die Freilichtbühne der Karl-May-Festspiele eine wildromantische Kulisse für drei Maffay-Konzerte mit insgesamt 45000 Zuschauem abgeben wird. Die Crew braucht den ganzen Tag, um die riesige Anlage über einen steilen Abhang zur Bühne des Amphitheaters zu schaffen. Die Musiker haben es besser: Sie entspannen sich in der Hotelsauna oder sitzen auf der Terrasse.

Bestimmt wird das Bild im Hotel allerdings von dem Saarbrücker Motorradclub mit dem martialischen Namen „Dead Angels“. Peter Maffay ist Ehrenmitglied, und in Bad Segeberg ist immer großes Meeting. Sie kommen jedesmal mit 20, 30 Leuten, haben ungehinderten Zugang zu allen Bereichen auch hinter der Bühne. Und wenn Maffay mit ihnen sein Bier trinkt oder die halbe Nacht Tischtennis spielt, dann passiert das nicht für irgendwelche Fotografen, die ein paar reißerische Bilder haben wollen, sondern weil es ihm Spaß macht.

In Bad Segeberg hat jede Maffay-Tour traditionsgemäß ihren „Tag der offenen Tür“. Da sitzen die Fans mit den Musikern im Hotel am selben Tisch, tauchen hinter der Bühne auf, fragen schon morgens beim Frühstück, ob sie mal ein Bild machen dürfen, oder lassen sich von der Band Billard beibringen.

Gern gesehen ist jeder, der sich normal verhält und dem manchmal etwas rauhen Tonfall in der Band entsprechende Schlagfertigkeit entgegenzusetzen hat; wer vor Ehrfurcht erstarrt und keinen Ton rausbringt, kann sich darauf gefaßt machen, mitunter ziemlich auf den Arm genommen zu werden. Der einzige, der mit einer Engelsgeduld auch noch auf die dümmsten Fragen eine nette Antwort parat hat, ist Maffay selbst: „Das stört mich nicht, die Leute wollen ja nichts Böses. Klar, manchmal sage ich auch: ‚Kommt, laßt mich erst mal meinen Kaffee trinken‘, aber auf Tour macht es mir nichts aus, oft von Fans umgeben zu sein. Im Gegenteil, vor drei Wochen hätte ich mich noch beobachtet, verunsichert gefühlt, aber durch die vielen Kontakte während einer Tournee werde ich viel lockerer.

Ich finde das gut. weil es mich davor schützt, eine Außenseiterposition zu beziehen und isoliert von meiner Umwelt zu sein. Für mich als Mensch ganz wichtig!“

Nicht ganz so leicht nimmt es seine Frau Chris, die ihn – für Musikerfrauen ungewöhnlich auf jeder Tournee begleitet: „Mit den Fans habe ich manchmal Probleme, wenn die mich anquatschen, als wenn sie mich seit 100 Jahren kennen. Ich finde das toll, wie der Peter mit denen umgehen kann, aber ich habe immer das Gefühl, ich müßte zu viel von mir abgeben. Am liebsten wäre ich ganz unauffällig dabei.“ Darum läßt sie sich auch so gut wie nie fotografieren.

Mit dabei zu sein, möchte sie trotzdem nicht missen: „Ich finde, wenn man zusammenlebt, gibt es keinen Grund, das nicht auch auf einer Tournee zu tun. Außerdem kann ich dem Peter eine ganze Menge Arbeit abnehmen. Ich glaube, daß es ihm hilft, jemanden zu haben, der ihn auch mal auffängt, wo er mal was ablassen kann.“

Noch während ich mich mit Chris auf der Hotelterrasse unterhalte, taucht Peter auf, murmelt etwas von „Standesamt“ und ist wieder verschwunden. Am Abend kommt es dann heraus: Renate, die Freundin von Keyboarder Thomas Glanz, ist nicht nur zum Spaß aus Berlin gekommen – in aller Heimlichkeit haben die beiden auf dem Standesamt geheiratet. Spätestens als ein Trauzeuge namens Maffay vor der Tür stand, dämmerte es dem Beamten, warum Thomas vorher so hartnäckig den wahren Grund seines Aufenthalts in Bad Segeberg verschwiegen hatte. Man wollte schließlich keinen Menschenauflauf.

Den gibt es schon jeden Abend, wenn der Verkehr in der kleinen Stadt völlig zusammenbricht, wenn trotz Aufhebung aller Park- und Halte-Verbote kein freies Plätzchen mehr fürs Auto zu finden ist. Die Band hat nur die Möglichkeit, schon nachmittags zum Freilichttheater zu fahren und nach dem Konzert zwei Stunden zu warten, bis wieder freie Fahrt auf den Straßen herrscht. Aber Blockhütten und Indianerzelte lassen weniger Langeweile aufkommen als die kahlen Wände einer normalen Garderobe.

Hier ist es dann auch, wo Fritz Rau sich ehrenhalber das T-Shirt mit dem Totenkopf-Emblem der „Dead Angels“ anzieht – unter deutlicher Betonung der Parole „Gewaltfrei und basisdemokratisch!“ Schließlich ist er engagiertes Parteimitglied der Grünen.

Den lieben Gott scheint das nicht weiter zu stören, er verordnet unmittelbar vor Konzertbeginn einen Regenstop; Rau hat sich vorher mit ihm „von altem Mann zu altem Mann“ darauf geeinigt. So brauchen die 15000 Geburtstagsgäste nicht um ihre Wunderkerzen zu bangen, als sie mitten im Konzert ihr „Happy Birthday“-Ständchen bringen. Das ist wohl ein Moment, in dem Maffay nicht böse gewesen wäre, wenn die Leute ihren Text vergessen hätten. Von 15000 Leuten sooo euphorisch gefeiert zu werden, das haut selbst den härtesten Motorradfahrer aus dem Sattel…