Ray’s Guesthouse


Die MTV-Legende hopst im Berliner Postbahnhof auf alten Ideen herum.

Mitte der Neunziger war „MTV’s Most Wanted“ nicht nur eine der erfolgreichsten Fernsehsendungen Europas, sondern auch die sympathischste. Europa bemühte sich, eins zu werden und Moderator Ray Cokes half dabei. Zuschauer aus den unterschiedlichsten Ländern nahmen per Telefon an der Show teil und wurden mit bekloppten Partyspielen zusammengeführt. Das zog Heranwachsende an und die sahen, dass Costa aus Griechenland an den Albernheiten ebensolchen Spaß wie Anna aus Österreich hatte. Frühzeitiger Abbau von kulturellen Vorurteilen auf denkbar charmanteste Weise. Die angesagtesten Bands der Zeit wie Oasis und Take That waren gern gesehene Gäste. Alle liebten Raymond. 1996 überwarf Cokes sich mit seinem Sender. Egal, wo er seitdem arbeitete – als Radio-DJ in Berlin oder als Moderator im französischen Fernsehen – der Zusatz „MTV-Legende“ wurde Namensbestandteil. Und damit hatte Cokes auch kein Problem – die erste Sendung, die er nach „Most Wanted“ fürs britische TV präsentierte, hieß ungeniert „Wanted“. Im Mai tourte er nun mit seinem Programm „Ray’s Guesthouse“, einer an „Most Wanted“ angelehnten „Rock ’n Talkshow“ durch Deutschland. Nach einer Parodie auf den „Star Wars“-Vorspann, „A long time ago in a galaxy far, far away …“ und einer Videocollage aus Höhepunkten von „Most Wanted“ hampelt Cokes auf die Bühne, zieht seine klassischen Grimassen, recycelt Gags von damals. Das rührt. Aber man fragt sich, welche Zukunft einem 54-Jährigen offensteht, dessen Gegenwart ein Abklatsch seiner Vergangenheit ist. Als erste musikalische Gäste begrüßt er das Berliner Duo Me & My Drummer – und wirft sie nach deren Kurzkonzert fast von der Bühne. Cokes beschreibt, wie er sich in ihre Musik verliebt habe und danach online mehr über die Band herausfinden wollte, aber nur auf wenige Ergebnisse gestoßen sei. Warum sich die Band im Netz denn so rar mache, fragt er. Sängerin Charlotte Brandi zickt mit einer Gegenfrage: Warum sie denn auch nichts über Ray Cokes finde, wenn sie online nach ihm suche. Das ist Quatsch, unbeholfen und unnötig. Das Publikum buht. Cokes ist sauer, allerdings Profi genug, das Gespräch fortzuführen. Immer wieder kommen Bands, spielen Akustiknummern und Cokes unterhält sich mit ihnen: Fiva, Admiral Black, Two Trick Pony – nur wenige sind dem Publikum bekannt. Einzig das Comeback der Berliner Waveband Plan B und die belgischen Bluesrocker Triggerfinger erregen mehr als Anstandsapplaus. Die angekündigte Nina Hagen fällt ebenso aus wie die Erklärung dafür. Zum Schluss ein Karaoke-Wettbewerb. Zwei Besucher singen Robbie Williams‚ „Angels“ um die Wette. Danach lädt Cokes zum kollektiven Mitsingen von „Always Look On The Bright Side Of Life“. Bierzeltstimmung. Neben einem abgeschmackten Filmzitat als Intro nun also auch eins als Outro. In einem Interview im Vorfeld der Show sagte Cokes, er empfinde sein Guesthouse als „positiven Mosaikstein auf dem Weg zu seiner Neuerfindung“. Mosaiksteine können eben auch sehr klein sein.