Dinosaur Jr

Puke + Cry (The Sire Years 1990 – 1997)

Cherry Red/Edel (VÖ: 27.1.)

Eine 4-CD-Box gibt Auskunft, was die Alternative-Rock-Helden um den Gitarristen J Mascis in den Neunzigern so alles gemacht haben.

Die Neunzigerjahre schon in den Achtzigern erfunden zu haben, das ist das größte musikhistorische Verdienst, das sich Dinosaur Jr ans Revers heften können. Die Band aus Amherst, Massachusetts, domestizierte den Hardcore, diesen entwicklungsresistenten Abkömmling des Punks, der die maßgebliche Untergrund-Musik in der ersten Hälfte der Achtzigerjahre war. Der Sound von Dinosaur Jr betäubte zwar auch die Ohren, verschmolz aber den Noise mit poppigen Melodien und larmoyantem Gesang.

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Band-Kopf J Mascis brachte das Gitarrensolo, das Wah-Wah-Pedal und den Einsatz von Feedback in die Indie-Musik – bis dahin als Insignien des „alten“ Testosteron-Rock verpönt. Dass die Band einen fetten Kontrapunkt zum Mainstream jener Ära setzte, zu der Musik, die damals von den Bundfaltenhosen- und Stachelfrisurenträgern gehört wurde, sei nur am Rande erwähnt. Mit den ersten drei Alben DINOSAUR (1985), YOU’RE LIVING ALL OVER ME (1987) und BUG (1988) schuf Mascis (Gitarre, Gesang) mit Lou Barlow (Bass) und Patrick „Murph“ Murphy (Schlagzeug) die Blaupause für Alternative Rock und Grunge, die die erste Hälfte der Neunziger dominieren sollten. Aber Dinosaur Jr schafften es selbst nie in die erste Reihe, in der Bands wie Nirvana, Pearl Jam und Soundgarden die Plätze besetzten.

Mit den ersten drei Alben schuf Mascis mit Lou Barlow und Patrick „Murph“ Murphy die Blaupause für Alternative Rock und Grunge

Auf der Bühne entfachte das Trio eine infernalische Energie, die im Gegensatz zum Slacker-Habitus der Beteiligten stand. Der Gitarrist verbarg seine Schüchternheit vor der Welt mit einem Vorhang aus langen Haaren. Der Bassist mit seinem Lockenkopf und der Hornbrille sah aus wie ein Erstsemester, der Schlagzeuger zwar auch, aber er spielte sein Instrument mit der Kraft eines Superhelden. Mit der Urbesetzung von Dinosaur Jr war allerdings bald Schluss. Das Verhältnis zwischen dem Kontrollfreak Mascis und Lou Barlow wurde immer schwieriger. Zum Album BUG, dem bis dahin letzten in Originalbesetzung, durfte der Bassist keine Songs mehr beisteuern und nur bei einem den Gesang übernehmen, was 1989 zu seinem Ausstieg führte.

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Barlow konzentrierte sich ab da auf sein Soloprojekt Sebadoh und gründete später die Band The Folk Implosion. Trotz der unsicheren Personalsituation wurden Dinosaur Jr Anfang der Neunziger von Blanco Y Negro, einem Sublabel des Warner-Sublabels Sire Records, unter Vertrag genommen. In der Konzernzentrale in New York hatte sich offenbar herumgesprochen, dass Alternative Rock das nächste große Ding werden würde. 1991 wurde GREEN MIND, das erste ihrer vier Major-Label-Alben veröffentlicht. Es war im Grunde ein Solowerk von Mascis, Schlagzeuger Murph war nur bei drei Songs präsent.

Das Album überraschte durch melancholische Untertöne und eine Reihe von ruhigen Songs

Das Album folgte musikalisch dem Pop-Noise-Konzept der frühen Tage, überraschte aber durch melancholische Untertöne und eine Reihe von ruhigen Songs. Für WHERE YOU BEEN stieß 1993 der Multiinstrumentalist Mike Johnson dazu und sorgte ein paar Jahre lang für eine relativ stabile Besetzung. Das Album klang rauer als der Vorgänger, hatte aber auch die konventionelleren Songs. Bei WITHOUT A SOUND kam es 1994 zum nächsten Wechsel. Mascis und Johnson spielten das Album zu zweit ein, Murph war vor den Aufnahmen gefeuert worden. Der gelernte Schlagzeuger Mascis übernahm seinen Job. Mit dem Album, das den Band-typischen Noise-Pop in eine etwas sanftere Richtung schob, gelang Dinosaur Jr ein moderater Mainstream-Erfolg.

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Es erreichte Platz 44 in den US-Charts. HAND IT OVER beschloss 1997 die erste Phase von Dinosaur Jr. Das Album wurde co-produziert von Kevin Shields, dem Sänger und Gitarristen von My Bloody Valentine, deren dichter Gitarrensound durchaus verwandt war mit der Musik von Dinosaur Jr. HAND IT OVER verkaufte sich schlecht, der Hype um den Alternative Rock hatte sich zum Ende des Jahrzehnts hin abgekühlt. J Mascis löste anschließend die Band auf, bis sie acht Jahre später in Originalbesetzung wieder zusammenfand.

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Die 4-CD-Box PUKE + CRY – THE SIRE YEARS 1990–1997 enthält die vier Alben, die Dinosaur Jr in den Neunzigern auf Blanco Y Negro/Sire veröffentlicht haben. Die Original-Tracklisten werden ergänzt um 28 Bonus-Tracks, Singles, B-Seiten, Akustik- und Instrumentalversionen von Album-Tracks sowie alternativen Mixen. Bei retrospektiven Veröffentlichungen sind solche Bonusgaben oft kaufanreizendes Füllmaterial ohne Wert. Im Falle von Dinosaur Jr aber ergeben sie durchaus Sinn, weil sie ein tieferes Verständnis für die Musik der Band bilden und das Gesamtbild abrunden. Dazu gibt es ein 14-seitiges Booklet mit einem Essay des „Mojo“-Autors Keith Cameron mit Zitaten aus Interviews mit J Mascis.