Neil Young :: Le Noise

Reprise/Warner

Der Folkrock-Gott im Labortest. Aufnahmeleitung: Daniel Lanois. Thema: Aufrüstung und Reduktion.

Es ist selbstverständlich richtig, dass man keine neue Neil-Young-Platte mehr braucht, weil Young sich seit den großen 70er-Alben AFTER THE GOLDRUSH, HARVEST und ZUMA als Songwriter nicht mehr zu überbieten in der Lage war. Es ist aber wie mit allen Dingen, die man nicht wirklich braucht, man sucht in ihnen das fehlende Stück des Puzzles, die vollkommene Selbstaufgabe oder die „Neuerfindung“ des Künstlers oder die Hoffnung auf ein Donnergrollen der letzten moralischen Instanz. Und man weiß, dass Young alles, nur das nicht im Programm haben wird, glich sein Œuvre der letzten Jahre doch einem wilden Wechselbad voll Kuriositäten: ein Album, das sich Konzepten für ein umweltverträgliches Auto widmete, eins, auf dem er sich von seinem Engagement für den Irak-Krieg distanzierte, dem er als „guter Amerikaner“ einst sein Einverständnis erteilte, eins, das in der Phase des Lärms plötzlich die HARVEST-Trilogie abschloss – nebenan die Devotionalien der eigenen Denkmalsetzung, die Archiv- und Live-Platten. Im Jahr 2010 des Herrn ist Neil Young nun auch noch von Daniel Lanois „neu erfunden“ worden. LE NOISE wird in der Reihe der Spätwerke Youngs auch deshalb einen Sonderplatz einnehmen. Knapp 40 Minuten, in denen alle Aufmerksamkeit dem Sänger und seiner Stromgitarre gilt. Oder doch eher dem Produzenten? Lanois hat dem Gott des Folkrock eine Gitarre auf den Altar gestellt, dass er spiele und seine Seele im Sound finde. Und Young peitscht seine Gretsch bis zum Anschlag, er verliert sich in den Loops, die Daniel Lanois aus den verzerrten und am Schnittpult manipulierten Basslinien hervorholt und gibt im besten Nasalton ein paar Endgültigkeiten zur „Angry World“, die sich später im Echo kunstvoll versenden. LE NOISE ist eher ein elektro-akustisches Laborexperiment als eine weitere Platte des Liedautoren Neil Young geworden. Am besten klingt das alles, wenn Young selbstvergessen in das Folk-Rock-Idiom zurückfällt, wenn er über die Strecke von fast sieben Minuten über Gottes Schöpfung meditiert. Und würde er nicht im Abenteuerpark von Lanois Gitarre spielen, dann hätte „Peaceful Valley Blvd.“ auch auf HARVEST MOON (1992) gepasst. Zwischen den elektrifizierten Träumereien und schroffen Arbeiten findet Neil Young auch seinen Platz als Beobachter einer Gesellschaft, die in sich gegangen ist, die zweifelt und an der Wunde des Irak-Krieges leidet. Es gibt Momente voll Anrührung, in denen Young den Aufbau des Experiments einfach verlässt und sich freispielt, um erst im nächsten Song wieder am Steinbruch des Rock vorstellig zu werden, damit der Produzent dem herrlichen Gebröckel eine neue, raffiniertere Form gebe.

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