Perfume Genius

No Shape

Matador/Beggars/Indigo (VÖ: 05.05.)

Dass sich der große Schmerzensmann Mike ­Hadreas mit dem Erwachsenwerden herumschlägt, tut seinem Kammerpop gut.

Popmusik, die allergrößte vor allem, handelt am allerliebsten vom Sturm und Drang, von den Irrungen und Wirrungen der Jugend, von Liebe und Leiden, von Sex, Euphorie, Drogen und Selbstfindung. Irgendwann aber wird jeder Mensch zwangsläufig erwachsen, er entsagt der Selbstzerstörung und versucht, sich nicht mehr nur Hals über Kopf zu verlieben, sondern diese Liebe auch im Alltag zu leben. Irgendwann war auch Mike Hadreas an diesem Punkt. Mittlerweile ist der Musiker aus Seattle, der sich als Perfume Genius auf drei Alben bislang so ausführlich wie schmerzhaft und immer streng autobiografisch mit seiner Sucht, dem erlittenen Missbrauch, der Diskriminierung, die er als Homosexueller tagtäglich erfährt, und seiner Morbus-Crohn-Erkrankung auseinandersetzte, 35 Jahre alt, hat vor acht Jahren aufgehört „alles außer Heroin“ einzuwerfen und lebt in einer festen Beziehung. Es war also Zeit, erwachsen zu werden. Es war Zeit für NO SHAPE. Aber Hadreas gelingt es, die vergleichsweise nüchternen Themen (als da wären: die frustrierenden Versuche, sich von Gott retten zu lassen; die noch frustrierenderen Versuche, das eigene Selbst­bewusstsein zu stabilisieren; die ganz besonders frustrierenden Versuche, auch in einer langen Beziehung weiterhin großartigen Sex zu haben) nahezu ebenso leidenschaftlich umzusetzen wie den selbstbewusst selbstzerstörerischen Tanz zuvor.

Das war sicher kein großer Spaß für Hadreas, wer hat den schon, wenn er sich zwangsweise mit seiner eigenen Vergänglichkeit anfreunden soll? Dabei entstanden sind allerdings großartige melancholische Hymnen wie „Just Like Love“, durch das ein paar Streicher schleichen, als wollten sie nicht dabei entdeckt werden, dass sie nicht wie üblich bloß Süßholz raspeln. Es gibt aber auch wundervoll verhuschte Folksongs wie „Valley General“, das immer langsamer wird, bis es still zu stehen scheint und sich aufzulösen droht in sphärischem, lustvollem Schmerz. Am eindrücklichsten aber sind wohl die fragilen Albträume in Moll, die Perfume Genius wieder einmal aus seinen dunkelsten Tiefen hervorkramt. Das Schönste dieser Nachtmahre ist „Die 4 You“. Es besteht lange Zeit nur aus Hadreas’ Stimme, die fleht und bettelt und beschwört, während irgend­etwas, das einmal ein Klavier oder vielleicht auch eine Gitarre gewesen sein könnte, sich im Hintergrund sogar noch mehr quält als die Stimme. Dann füllt sich der Klang­raum mit pelzigen Tönen und einem Beischlaf-Beat, Hadreas singt „take your time“, die Hoffnung weigert sich dann doch noch zu sterben, und es reift die Erkenntnis: Das Erwachsenwerden mag lange nicht so aufregend sein wie das Jung­sein, aber ein wenig sexy vielleicht doch. Und schlecht klingen muss es noch lange nicht.

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