Rock-Spezialitäten

Kennt noch jemand die rührselige Schicksalsballade „In The Ghetto“? Ende der 60er feierte der rundlich gewordene Elvis Presley damit seine Rückkehr in die Hitparaden. Heute kommt der spindeldürre Ex-Brithday Party-Sänger Nick Cave mit einer Cover-Version (Mute/Intercord), die gar nicht mal so weit vom Original entfernt ist, doch in seiner Interpretation weniger zu christlichen Tränen rührt als an die Tatsache erinnert, daß mit jedem Tag die Ghettos wachsen. Eine eindringliche, zeitgemäße Schnulze. (5)

The Fall haben zum wiederholten Male das Label gewechselt und sind in GB jetzt bei Beggars Banquet. „Oh Brother/We are in a mess/Don ‚t look at me that way“ bittet Mark E. Smith zu Steve Hanleys hinreißendem Baß-Lauf, jubilierenden Gitarren und tanzbarem Beat. Die Smith-’schen Rätselsätze auf dem Cover sprechen von „the group QUEEN Sound!“ und „Motive = Revenge“. „Oh! Brother“, ich wünsch ihnen den Hit (5).

Vor einigen Wochen war auf hiesigen Bühnen die Rückkehr der Furry Freak-Matten zu erleben: The Sisters Of Mercy präsentierten sich optisch in Frühsiebziger-Nostalgie und musikalisch als potente Spät-Psychedeliker mit Hang zu ausufernden Gitarrenschlachten. Die gelegentlich etwas eintönige Sprechstimme des Bandleaders Andrew Eldritch kommt auf der neuen 4-Track-Maxi: „Body & Soul“ (WEA) besser zum Zuge, als dies live möglich war. Wer die bisherigen Singles/Maxis der Sisters nicht kennt, findet hier einen guten Einstieg (4).

Die britischen S-Haters sind musikalisch zwischen den Sisters und den bereits legendären Jazzateers anzusiedeln. Nach der sehr guten Maxi „Solitary Habit“ gibt es jetzt die mid-price LP COME (UK-Import), deren A-Seite bei mir z.Zt. ständig läuft. Schneller Beat, rostige Gitarren und Sänger Keiron O’Neill mit der verletzlichen Arroganz des frühen Lou Reed (5).

Von allen Geschehnissen in der Pop-Welt unbeeindruckt zeigt sich Pete Wylie: sein Projekt WAH! garantiert nach wie vor prachtvollen Soul-Pop im Stile seines 82er Hits „Story Of The Blues“. Mit einer Stimme aus tiefster Seele führt Wylie sein Plädoyer „Come Back“ (Beggers Banquet) und meint damit wohl auch sein eigenes (4).

Auch von den Associates war lange nichts zu hören gewesen. Alan Rankine ist auf der neuen Maxi hörbar abwesend, Billy MacKenzies Stimme bleibt jedoch unverkennbar. Als New York-Hymne klingt „Those First Impressions“ (WEA) erstaunlich europäisch (4).

Neuer Geheimtip aus England sind die Red Guitars: mit „Good Technology“ landeten sie einen Achtungserfolg, die neue Single/ Maxi „Steeltown“ (Rough Trade Vertr.) schließt nahtlos an ihr Konzept aus verhaltenen, spannungsgeladenen Gitarren-Riffs und engagierten Texten an (4).

Selbst auf einer wilden Tirade wie „The Last Pop Song“ (herbst 83) war das Talent des britischen Trios 1000 Mexicans aufgefallen. Die neue Maxi „Under Construction“ (RT-Vertr.) zeigt, daß hier noch Größeres zu erwarten sein wird. Von der klagenden Melodica bis zum zuckersüßen Chor eine runde Produktion im soft-Stil, als Song klar überm Durchschnitt (5).

Neues aus den Staaten: Nig Heist, kürzlich im Vorprogramm von Black Flag auf Tournee, entpuppten sich live als die Hauptgruppe mit vertauschten Instrumenten. Ihre gleichnamige LP (Thermidor) bringt cruden Gitarren-Krach und allerhand Obszönitäten, geschmackvoll geschmacklos und mit derbem Punk-Humor (4).

Ex-Pere Ubu-Gitarrist Tom Herman meldet sich mit dem Trio Tripod Jimmie zurück: das Album LONG WALK OFF A SHORT PIER (Do Speak), live am Ufer des Erie-Sees aufgenommen, bietet locker arrangierte Songs mit mächtigem Schlagzeug und einem Cassettenrecorder, der gelegentlich den Gesangspart übernimmt (5).

Lenny Kaye, Ex-Gitarrist von Patti Smith, ist auch wieder da: Als The Lenny Keye Connection gibt’s die LP I’VE GOT A RIGHT (Giorno Poetry Systems) mit ausgeruhtem, traditionellem Rock und einem Familienfoto auf dem Cover, das Lennon/Ono-würdig wäre (4).

Das Düsseldorfer Atatak-Label meldet das Erscheinen der langerwarteten Minus Delta t-LP: Das Bangkok-Projekt ist ein musikalischer Atlas, ein Reisebericht von Europa nach Südasien mit Musik und Aufnahmen, für die man Zeit braucht. Das aufwendige Cover (incl. Single) ist beim Hören unbedingt zu Rate zu ziehen: Ein Objekt der Kultur und Völkerverständigung (5).

Originelle deutsche Musik kommt vom JA!-Label aus Hagen, namentlich sind es Phillip Boa & The Voodoo Club sowie die „legendary“ Clox. Während Letztere bereits über einige Bühnenerfahrung verfügen und eine dementsprechend gut losgehende Mini-LP mit Schrammel-Rock produziert haben, gehört Phillip Boa zu jenen Provokateuren, die schon hartgesottenste Konzertgänger in die Nacht getrieben haben: MOST BORING WORLD (beide Efa-Vertr.) nennt er seine Mini-LP, deren aufreibender Mix aus Afro-Rhythmen, verzerrter Gitarre und ansprechendem Nicht-Gesang nur Spezialisten gefallen dürfte (4).