Rock-Spezialitäten

Die diesjährige Sommerflaute hatte es wirklich in sich: Regen, Olympia und wenig Sensationen. Gemächlichkeit schleicht sich ein und liegt wie Dunst in den Ohren bei der Reise über den Globus im Plattenregal.

Station Haight Ashbury: Pot-Heads und Acidfresser bevölkern die Szene, in den Kopfhörern summt die merkwürdig sanfte, einlullende Musik von The Rain Parade, die ihren psychedelischen 68er-Rock mit Sitar- und Geigenklängen angereichert haben. Ebenso schön sind die Gesangspassagen. Ihre LP EMERGENCY THIRO RAIL POWER TRIP ist als hübsch und informativ aufgemachter UK-Import endlich auch hierzulande erhältlich (4).

Das Cover der Debüt-LP von Plasticland schaut dagegen nach Comedy aus, enthält jedoch ein empfehlenswertes Stück Vinyl ebenso psychedelischer Machart, wobei das Quartett auf COLOR APPRE-CIATION geschickt Seeds-Garagenrock mit Beatles-Drogensongs verbindet (Lolita/Frankreich-Imp.-) (4).

Neo-Westcoast-Movement auch bei den ex-Punks von Hüsker Dü: Ihr Doppelalbum ZEN ARCADE (SVT-Vertr.) gehört unweigerlich in jede Sammlung ausgiebiger Gitarren-Rock-Scheiben. Drei Seiten mit knappen Riff-Songs zwischen Punk- und traditionellem Rock, verstreuten Spielereien und auf der vierten Seite an die 14 Minuten Gitarrenschlacht für die Blubberlicht-Disco (3).

Dead Kennedys-Gitarrist East Bay Ray versucht sich derweil als Cowboy: „Trouble in Town“, eine Single mit Prärie-Romantik und Shadows-Gitarre (Rough Trade Vertr., 5).

Station Berlin: Das Label Aggressive Rock Produktionen macht sich verdient um die Verbreitung des Punk-Kulturguts aus aller Welt: Hart und schnell spielen Government Issue aus Washington D.C. Die LP JOY RIDE bleibt dem Etikett „Ami-Hardcore“ weitgehend treu.

Schwerer, bierseliger Punk, wie er nur in England entstehen kann, kommt von den English Dogs auf INVASION OF THE PORKY MEN, einer LP für gemütliche Stunden, während Ex-Discharge-Gitarhst Bones sich mit einer Hard-Rockinspirierten 7-Track-Maxi zurückmeldet. Seine neue Band heißt knapp Broken Bones, die EP verkündet I.O.U. N0TH1NG (alles SpV-Vertrieb, Osterstr. 34, 3 Hannover 1) Station Kunsthochschule Europa: Matt Johnson, vielen besser bekannt unter dem Namen The The, ist schon vor seinem Erfolgsalbum SOUL MINING aktiv gewesen: Wieder erhältlich ist jetzt sein erstes Solo-Projekt BURNING BLUE SOUL, das 1981 bei der Kritik durchfiel. Johnsons expressionistischer Pop befindet sich hier noch im Experimentierstadium (RT-Vertr., 4). 23 Skidoo konnten mit der Maxi „Coup“ einen Hit in Insider-Discos schaffen. Lang angelegte, perkussive, baßlastige Nummern finden sich auf ihrer LP URBAN GAMALAN. Tanzbar, düster, Voodoo (RT-Vertr., 4).

Die Belgierin Hermine Demoriane kommt zwei Jahre nach ihrer Mini-LP THE WORLD ON MY PLATES mit der neuen Scheibe LONELY AT THE TOP, wo sie mit dem ihr eigenen, herben Charme Cover-Versionen von Yoko Ono bis Neil Sedaka singt, durchweg eigenwillig arrangiert, exotisch instrumentiert und strikt zum Zuhören gedacht (Rough Trade, 4).

Noch eine Wiederveröffentlichung: Alle Songs aus der Quintett-Phase der holländischen Kult-Band Mecano, die 1980 Post-Punk für Intellektuelle und Dissidenten spielten. RETITLED, LP mit free Single (SPV-Vertrieb, 5).

Station Maxiland: Trophäe des Monats geht an die Bollock Brothers mit „The Prince and the Showgirl“: Jock McDonalds Zeitlupen-Rap über VIPs und ihre Gespielinnen, der Sequenzer-Beat natürlich gespickt mit Original-Zitaten (RT-Import, 5).

Wenn Abwärts das Thema „Olympia“ aufgreifen, so kann man sicher sein, daß der Lack von L.A. abgekratzt wird. Motto: Realität goes Pop. Sehr gut die B-Seite „Men Of Poor Beginnings“ mit eindringlich-sparsamer Dub-Technik (Totenkopf, 4).

Auf gleichem Label das Debüt von Shark Vegas (ehemals die Unbekannten), die hierzulande das Vorprogramm von New Order bestritten. „You Hurt Me“ ist tanzbare Melancholie, getragen von Alisdair Grays tiefer, drohender Stimme (4).

Float Up C.P. nennt sich der Rest von Rip Rig & Panic, die neue Maxi „Joy’s Address“ bringt Gehabtes: stürmischer Disco-Jazz und Neneh Cherrys tolle Stimme. Ansonsten: (2) (Rough Trade).

Endstation Carnaby Street: Die Mod-Ecke im Kurzdurchlauf – ALL FOR ART.. AND ART FOR ALL, ein sehr guter Sampler mit TVP, Direct Hits, Gifted Children und guten neuen Gruppen der Mod/Psychedelic-Szene Londons (Whamm!, 5).

Neu von The Times die Single „Boys Brigade“, die sich mit strammen Bläsern zum Szene-Hit entwikkeln wird (Artpop, 5).

Zum Schluß und weil’s einfach gut ist: die 4-Track-EP der Beatitudes aus Berlin namens THE GRACE OF MYSTERY (c/o Korbik, Birkbuschstr. 47, 1 Berlin 41). Dieses Jahr träumen wir alle besonders heftig von Kalifornien (4).