Rock am See: Fast ein Oasis-Konzert


Das "Rock am See"-Festival 2009 in Konstanz hat ein kurzfristiges, großes Problem bekommen: die Headliner Oasis sagten ab. Wie das Wochenende gerettet wurde, weiß unser MEporter.

Es ist nie besonders schlau, wegen einer einzigen Band zu einem Festival zu fahren. Sicherlich nicht. Auch wenn die sogenannten Headliner doch gemeinhin als sicher gelten – gar nicht auszudenken, der Schaden, den Ihr Ruf im Falle einer eventuellen kurzfristigen Absage nehmen würde. Als passionierter Festival-Gänger war man somit einiges gewohnt und überlebte in den letzten Jahren bereits Absagen von (+44) oder den Klaxons. Zwar mit etwas Schmollen aber ohne wirklichen Gram. Einmal sogar, es war auf dem Hurricane Festival, ließ man die großartigen State Radio ihre mit technischen Schwierigkeiten überschattete Eröffnungsshow als Ersatz für einen kurzfristigen Absager technisch fehlerfrei wiederholen. Zwei mal State Radio bei einem Festival – heute wäre das ein Kaufgrund, ein unbedingter. Und auch wenn ich die Klaxons einst wirklich gerne sehen wollte – so richtig schockte die Absage wohl keinen über den Moment hinaus. Zumindest nicht in dem Maße, als wären es Die Ärzte, Nine Inch Nails oder ein x-beliebiger anderer Act gewesen, die sich die ersten drei Reihen auf den Rücken der Festival-Shirts teilen. Headliner sagen nicht ab. Sehen wir’s mal so – „Geil, ich hab Deep Purple gesehen!“. Ich meine, rein faktisch klingt das doch toll. Nur 24 Stunden vorher, ach was, selbst 12 Stunden vorher hätte ich mit einem Blick in die Zukunft mit diesem meinem Gedanken herzlich wenig anfangen können. Gut, okay, es ist nie besonders schlau, wegen einer einzigen Band zu einem Festival zu fahren. Neben Oasis, dem groß umworbenem Headliner des 2009er Rock am See in Konstanz waren ja noch Namen wie The Hives, Kilians und Kasabian gelistet. „Nur“ wegen den Gallagher-Brüdern oder deren Musik zog es mich sicherlich nicht acht lange Stunden auf die Autobahn in Richtung Bodensee. Nicht nur. Aber doch schon hauptsächlich.Oasis, die wohl größte Britpop-Band der Geschichte – und jetzt kommt mir nicht mit Blur, hier schreibt ein Oasis-Fan – ja, sie hatten ihren Ruf. Schon immer. Vor meinem ersten Konzert, wieder war es in Scheeßel am Eichenring, wusste ich ganz genau, auf welche Oasis-Erfahrung ich mich freuen würde. Entweder auf ein großartiges Konzert voller Gänsehautmomente, badend in den Klassikern, „Wonderwall“, „Don’t Look Back in Anger“, „Champaign Supernova“. Ja, in erster Linie „Champaign Supernova“. Oder aber Option B: von Oasis als Fan wie Dreck behandelt zu werden. Teil eines der berühmten Oasis-Desaster zu sein. Bei dem Noel nicht ein Wort an die Fans richtet, oder bei dem die Band auf sämtliche Klassiker verzichtet und das neue Album von Track 1 bis Track 11 in eins runter dudelt. Enttäuscht hätte mich an diesem Abend auf dem Eichenring bloß ein verwirrendes Mittelmaß. Für viele mit denen ich später sprach, war es ein Konzert der Variante B. Sie fanden es Mist. Zu viele alte Lieder, keine wirkliche Stimmung. Doch wenn ich an den Moment denke, als nach rund vierzig Minuten das Intro zu, ja, „Champaign Supernova“, erklang… wohl wissend zweier Tatsachen… „jetzt kommt Champaign Supernova!“ und „ja, sie spielen alte Sachen!“… dann war es für mich ganz eindeutig eines aus der Kategorie der großartigen Konzerte. Mein erstes und auch nach Rock am See 2009 noch einziges Konzert dieser Band.Klar, ich bin kein Hardcore-Fan. Aber ich mag die Band und gerade weil sie so rar und unantastbar wirkten, freute ich mich besonders auf unser Wiedersehen. Verband ich doch so viel mit ihren Songs.Als das Festival-Jahr näher kam und der Planungsstand ganze 5 Festivals vorsah, zeichnete sich ab, dass der Rock-Sommer mit Johnossi beginnen und durch Oasis abgeschlossen werden würde. Das klang berauschend. Der Rausch endete am 29.08.2009 um 12 Uhr 45. Noch immer vollkommen begeistert vom fulminanten Warm-Up-Auftritt der Modern Day Heroes am Vorabend, begann nun tatsächlich Rock am See. Und der Rausch endete. 12 Uhr 45. Der Moment als ich den Eingangsbereich des Bodenseestadions betrat und zum Ticketschalter wanderte, um dort meine Eventim-Karte gegen ein bodenseeförmiges Originalticket einzutauschen. Noch vollkommen verwirrt von der Absurdität dieses erforderlichen Vorhabens erblickte ich dann das Plakat. Oasis haben abgesagt. Bitte? Als Ersatz freuen wir, Deep Purple präsentieren zu dürfen. Oasis haben abgesagt?Musste ein Scherz sein. Hallo? Der Text war handgeschrieben und Oasis war der Headliner! Wobei, so richtig schlau wäre es natürlich nicht, genau diesen Scherz ausgerechnet am Tickethäuschen zu machen. Keine Ahnung, ob es der DFB so komisch fände, wenn ein Witzbold beim Länderspiel an sein Tickethäuschen schreiben würde „Deutschland spielt heut doch nicht.“ Aber, hey, kauft trotzdem Tickets. Okay, die Meldung war echt und so richtig kapiert hatte ich das erst, als vor offiziellem Beginn der Show der Konzertveranstalter auf die Bühne trat. Heute Morgen um 1 Uhr nachts habe er einen Anruf erhalten, der ihn darüber informierte, dass Oasis aufgrund eines Brüderstreits auf einem Pariser Festival dort nicht aufgetreten waren. Daraufhin trennte sich die Band und war daher auch für heute Abend Geschichte. Der Veranstalter war wirklich erbost und rügte die Gallaghers für diese Frechheit – für eine Frechheit der Fangemeinde gegenüber. Diese buhte artig und ging kurz darauf besonnen auf die Kilians ab. Wie viel Jubel ein „Scheiß auf Oasis“ bringen würde, hätte sich Sänger Simon wohl niemals vorstellen können.Ich stand nur wenige Meter vor der Bühne. Mittlerweile verstummte die Betrübtheit über die Absage meines Headliners. Um den abgesperrten Bereich vor der Bühne betreten zu dürfen, machte man mir ein schwarzes Bändchen um. Viel verwirrte mich an diesem Tag. Dieses Bändchen gehörte definitiv dazu. Doch darüber nachzudenken fehlte mir die Zeit und in erster Linie die geistige Kraft. Es war ein Wechselspiel der Gefühle. Irgendwo zwischen „Geil, die Kilians!“ und „Oh, ne, der arme Kerl da mit seinem Oasis-Shirt.“ Doch plötzlich schien sich etwas sehr überraschendes zu zeigen: die Wut vieler Oasis-Fans kippte. Plötzlich verhöhnten sie die ehemaligen Headliner über Oasis-Sprechchöre. Jeder Anti-Spruch der auftretenden Gruppe wurde mit großem Jubel bedacht und Fan-Shirts kurzerhand zu Deep-Purple-Merchandise umgetaped. Kein Fake-Tattoo ging am Airbrush-Tattoo-Stand an diesem Tag besser, als das mit dem Logo der zerstrittenen Brit-Pop-Band. Die Leute sprühten es sich auf Nacken, Arm und Bauch – nur um es anschließend mit Edding durchzustreichen und ein ruckeliges „Deep Purple“ darüber zu kritzeln. Wow. An diesem Tag rockten die Fans. Man huldigte dem Konzertveranstalter für seine Meistertat, einen dicken Fisch wie Deep Purple so kurzfristig an Land gezogen zu haben. Die Stimmung war toll und konnte weder durch die große Ernüchterung zu Beginn, noch durch die wässrigen Auftritte der drei Norén-Brüder getrübt werden. Kasabian brachte die Menge bereits in der knallenden Nachmittagssonne an den Rand der Ekstase und The Hives legten vorbildlich in ihren weißen Overalls mit der gewohnt souverän-arroganten aber herzerwärmend-tanzbaren Show nach. In jeder Pause, bei jeder Band hörte man immer mal wieder einen angetrunkenen Fan „Oasis, Oasis“ brüllen und der Oasis-Fan fand dies ebenso amüsant wie der Blurfan, der Britpop-Hasser, der Deep-Puple-Altrocker oder DSDS-Gewinner Daniel Schumacher (der als Besucher eines Rockfestivals wohl endlich mal wieder inkognito sein konnte). Ob Daniel bis Deep Purple geblieben war, kann ich nicht sagen. Ich sah ihn noch vor Kasabian zum letzten Mal. Ich allerdings bin froh, dass ich mir die Altrocker ohne jedweden Gram von der ersten bis zur letzten Note angesehen und angehört habe. Und wenn ich mich so umsah und all die anderen Menschen mit ihren sinnlosen schwarzen Pogo-Bändchen an den Handgelenken betrachtete, dann wusste ich, dass sich in diesem Moment kein einziger von ihnen auf ein Oasis-Konzert wünschte. Nein, sie waren einfach nur froh über das, was Deep Purple da vorne machte. Deep Purple, die einzige Band an diesem Tag, die sich während des Konzertes keine Spitze gegenüber den Britpoppern leistete. Die, die Wut der Fans nicht in billigen Jubel umwandeln zu versuchte. Sie wurden bejubelt, weil sie rockten. Und am Ende taten mir nicht mal mehr die ganzen Menschen in ihren Oasis-Shirts leid, denn auch sie spielten die Luftgitarre zu „Smoke on the Water“. Leid tat mir nur die junge Frau, die ich beim Herausgehen zu ihrem Freund sagen hörte „Och Mensch, ich hatte bis zum letzten Moment noch daran geglaubt, dass sie noch kommen…“ Deep Purple owns Oasis. Und ich muss meinen einleitenden Satz, das Sprichwort, nun erweitern, denn alleingestellt ist er seit Rock am See 2009 einfach nicht mehr gültig. Es ist nie besonders schlau, wegen einer einzigen Band zu einem Festival zu fahren. Es sei denn, der Veranstalter heißt Dieter Bös – denn dann, Freunde, dann kann Euch nichts passieren.

benmuhs – 08.09.2009