Popkolumne, Folge 243

Popkolumne: So sahen wir doch nie aus! Acts von heute, Fotos von gestern


Wie sahen Lieblings-Acts vor 25 Jahren aus? Und warum wurde Linus Volkmann nie zur Rechenschaft gezogen?

Abdruck honorarfrei, Beleg erbeten

Als ich in den Nuller Jahren in der Redaktion eines der auflagenstärksten deutschen Musikmagazine eine Position angeboten bekam, war der Wandel von analoger zu digitaler Arbeit bereits weit fortgeschritten. Alles drehte sich um E-Mails und die hauseigene Webseite. DVDs lösten VHS-Kassetten ab, man nahm seine Interviews nicht mehr mit einem stabilen Diktiergerät auf, sondern mit der genauso fetischisierten wie fehleranfälligen und kurzlebigen Erfindung des DAT-Recorders und man musste sich entscheiden, welche zehn Lieblings-SMS man in seinem Sony-Ericsson-Handy gespeichert lassen wollte. Verständlicherweise machten in dieser technikbesoffenen Zeit die Praktikant:innen ein eher schiefes Gesicht, wenn der damalige Chef des Ladens sie dazu abkommandieren wollte, sich bitte um das Foto-Archiv zu kümmern.

In den hochfrequentierten Online-Foren tobten Diskussionen um die sozialpolitische Tragweite von Samy Deluxe „Weck mich auf“ und ob Oasis mit STANDING ON THE SHOULDER OF GIANTS nun endgültig zum öden Eisen zu rechnen seien – und ein armer Prakti musste dagegen in einem fensterlosen Raum tausende Promofotos in überquellende Ordner einsortieren, die wiederum aus diversen Regalmetern quollen. Wieso es dermaßen viele solcher Bilder in einer Redaktion gab? In der prä-digitalen Ära schickten Plattenfirmen nicht nur Bemusterungs-CDs zu allen möglichen Medien, von denen sie sich Besprechungen erhofften, sondern legten immer auch aktuelle Pressefotos bei. Auf dass ein möglicher Artikel natürlich auch passend bebildert werden konnte.

Der Zulauf an diesem Material war wirklich enorm. Was man allerdings nicht von der Gegenliebe sagen konnte. Denn nicht nur die Praktis rümpften die Nase ob der Bilderflut. Auch wir Redakteur:innen waren uns natürlich viel zu gut, um dahergelaufene Pressebilder in unserem Premium-Magazin unterzubringen. Das könnten vielleicht die trostlosen Ottos in ihren popeligen Stadtmagazinen machen, aber sicher nicht wir mit unserem Big-Styler-Heftchen! Immerhin leisteten wir uns eine ambitionierte Fotoredaktion und einen extrem gut gekleideten Art-Director. Das lästige „Foto-Archiv“, das war bloß ein Mühlstein um den Hals unserer Geilness.

Habe ich erwähnt, dass Redaktionen von Popmagazinen in jener Zeit ziemlich arrogant waren? Oder konntet ihr es euch ohnehin selbst denken?

Promofotos reifen lassen wie guten Wein

Allerdings muss ich sagen, dass ich immer eine gewisse Schwäche für dieses visuelle Sammelprojekt besaß. Nicht so sehr wegen des vermeintlichen Nutzwerts – ich meine, warum sollte man einen aktuellen Depeche-Mode-Artikel mit den Fotos von vor fünf Jahren bestücken? Die abgehefteten Bilder alterten, ihr Newswert verlor sich allzu rasch. Das war eindeutig ihr Problem – aber eben auch ihr Reiz. Wie eine coole Band vor drei Jahren aussah, das mag eher abgehängt wirken. Aber wie sie vor zehn Jahren aussah, das ist doch schon wieder interessant.

Als ich den Job in jener Redaktion in den Zehner Jahren kündigte, war das Foto-Archiv natürlich mehr lost denn je. Niemand sortierte überhaupt noch irgendwas ein und vor allem hatten auch die Plattenfirmen die Bemusterung mit „echten“ Abzügen lange eingestellt, Bilder stehen digital auf den jeweiligen Servern, ist ja auch viel nachhaltiger als dieses ganze Papier-Gehubere. So fühlte ich mich auch nicht besonders schuldig, als ich mich zu meinem Abschied durch die Ordner wühlte und mir selbst ein paar Stapel besonders schöner Promofotos von früher „schenkte“ – um mal das negativ besetzte Wort „klauen“ zu vermeiden.

In dieser Kolumne teile ich nun ein paar davon mit euch. Seht mich als den Robin Hood der Promos – und nicht als den greedy Gollum einer einstigen Foto-Redaktion.

Die Galerie

Deutscher HipHop der Neunziger. Kinderzimmer Productions (links), die fünf Typen, die aussehen, als wären sie Referendare an der Heinrich-Heine-Gesamtschule sind Blumentopf (Mitte oben), darunter die Typen, die aussehen, als wären sie gerade von Blumentopf zum Nachsitzen verdonnert worden: Die Absoluten Beginner. Links Jan Delay, rechts Denyo, zum Piepen! Rechts oben: Eins, Zwo – der mit dem Anglerhut ist der tatsächlich der 1998er Dendemann. Darunter Dynamite Deluxe, mit der dicksten Daunenjacke: Samy Deluxe.

 

Erkennt man nicht sofort? Kein Wunder, Aphex Twin gilt bis heute als fotoscheu. Eines der raren Bilder – nur hier in dieser Promofoto-Beute-Schau.

 

Sehr unglücklich getroffen alle hier, oder? Lassie Singers (links unten) mit so verkitschten Zirkusdirektorjacken, als wären sie My Chemical Romance, während Mouse On Mars (links oben) als Motiv scheinbar gewählt haben: In die Büsche scheißen. Die Beatsteaks (steht dran) kultivierten dagegen einen den Look, der jedem vernünftigen Menschen die Signale auszusenden scheint: „Finger weg von unserem drögen Typen-Gegniedel“. Rechts unten: Motorpsycho stehen „cool“ um eine Karre rum. Das Knight-Rider-Motiv für kiffende Prog-Indie-Fans.

 

Geil, wie diese Presse-Abzüge gelocht wurden, als bräuchte man Konfetti. Palace Brothers haben vielleicht viele nicht (mehr) im Ohr. Allerdings handelt es sich um die alte Band von Will Oldham aka Bonnie „Prince Billy“ (rechts). Noch weit vor seiner aktuellen Waldschratisierung, wie man sieht.

 

Dieses Foto hält einige Stars versteckt. Oben sieht man Whirlpool Prod. Links ist der ehemalige Chefredakteur der Spex, Hans Nieswandt zu sehen, der heute in Südkorea lebt. Neben ihm Justus Köhncke und Eric D. Clarke. Kölner Minimal-House mit Disco-Glanz. Darunter Kolossale Jugend, eine Band der Hamburger Schule, bevor es jenen Begriff gab. Links ist Christoph Leich, der später langjährige Schlagzeuger von Die Sterne, neben ihm mit dem Anzug der Autor und Musiker Kristof Schreuf, der vor fast einem Jahr überraschend verstarb.

 

Und hier schön mal als Crowd-Pleasure die ewigen Buben von Blur eingebaut. 1998 steht auf dem Abzug.

 

Zum Glück steht es drauf. Denn die Bloodhound Gang von 1997 ist als sie selbst quasi nicht zu erkennen. Sänger Jimmy Pop soll ganz rechts sein, dahinter Evil Jared. Dann glauben wir es mal.

 

Aus irgendeinem Grund dunkler Begierden scheine ich damals vor allem Bernd-Begemann-Fotos eingesammelt zu haben. Hier die drei schönsten.

 

Eine Band, an die sich vermutlich kaum noch jemand erinnert. Schade eigentlich denn die Musik von Bazooka Cain aus Hamburg war wirklich sweet – und dieses offizielle Promofoto sogar unschlagbar.

Dieser Mut zum bescheuerten Look soll belohnt werden. Ich entlasse uns alle aus diesem kleinen Museum der werblichen Pop-Fotografie mit einem der wenigen von der Band überlieferten Songs. Viel Spaß!

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Linus Volkmann
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