The Notwist hätten sich beinahe verlaufen. Doch in London fanden sie den rechten Weg.


Fünfzehn Monate sind eine sehr lange Zeit, wenn man sich nur einem einzigen Gegenstand widmet. Niemals wohl würden Markus und Micha Acher zugeben, dass diese 15 Monate, die es dauerte, „Neon Golden“, das Mitte Januar erscheinende neue Album ihrer Band The Notwist, aufzunehmen, zu lang oder gar vergeudet, zu anstrengend oder existenzbedrohend gewesen seien. „Aber teilweise haben wir den Überblick verloren“, gibt Markus zu:“Wenn man ewigan Details schraubt,verliert ein Song Energie und Leben, das Essenzielle, was ihn eigentlich ausmacht.“ Wie konnte das geschehen? Mit ihrem letzten Album „Shrink“ hatten Notwist, das Quartett aus dem oberbayerischen Weilheim, alles erreicht. Mehr als 20.000 verkaufte Alben sind für eine erklärte Independent-Band immer noch beachtlich, die Wertschätzung für ihre Fusion von Electronica und alternativen Gitarren war allenthalben groß. Während andere mit ähnlichen Ideen den Mainstream eroberten, wollten Notwist „keine Kompromisse“ schließen und „nicht alles mitmachen“, was die kommerzielle Verwertbarkeit dem Künstler so abverlangt. „Die Strukturen, aus denen wir kommen und in denen wir uns immer noch bewegen, die sind uns weiter wichtig“, so Markus über das Wunder von Weilheim mit Bands wie Tied & Tickled Trio, Lali Puna oder Console, funktionierenden Studios wie Uphon und Labels wie Payola oder Hausmusik.

Für die mit den Jahren zur Indie-Rock-Institution gewachsenen Notwist blieben zwei Möglichkeiten: Entweder zurück zu den im Postpunk Liegenden Wurzeln und eine „Krachplatte machen, aber das wäre auch verlogen gewesen“, oder an der Verfeinerung und Vollendung ihres Entwurfs weiterzuarbeiten. So gingen die beiden Brüder Acher ins Studio mit ihren Mitstreitern, namentlich Schlagzeuger Martin Messerschmidt und Soundtüftler Martin Gretschmann, der sonst mit seinem Projekt Console dem Sampler das Analoge austreibt. Die Ausgangslage war einfach: Es gab keine. Man war offen für alles. Ideen sammeln, was aufnehmen, jeder darf mal ran, noch ein paar Kumpels einladen, mal einen Text schreiben, noch mehr aufnehmen, wieder drüber gehen, mal aus dem digitalen Computer auf altmodisches Magnetband überspielen, ein paar komische Geräusche produzieren, das klingt ja auch irgendwie interessant-eine Arbeitsweise, die man von Monsterrock-Bands aus den siebziger Jahren kennt und damals zu überwiegend grässlichen Resultaten führte.

Und tatsächlich: Ehe man sich versa h, war mehr als ein Jahr vergangen und die Platte immer noch nicht fertig. „Bei einem solchen Prozess gibt es die extreme Gefahr“, so Markus, „dass die Musik auseinander fällt“. Es brauchte schon einen Tag am altmodischen analogen Mischpult des legendären Abbey Road Studios mit dem noch legendäreren Tonmeister Chris Blair, um „die Elemente zusammenzubringen und sie zu einem Klang zu machen“. So ist aus „Neon Golden“ eine schlüssige Aufarbeitung dessen geworden, was möglich ist an der Schnittstelle zwischen Gitarrenpop und elektronischer Musik, eine Forschungsarbeit, vielleicht nicht gerade eine Dissertation wie „Pet Sounds“, aber doch zumindest das Diplom in Indietronics.

Ein Album voller Musiker-Musik, wie man sie nach all der Tüftelei wohl erwarten durfte, das trotzdem aber noch offen und eingängig genug ist für eine breitere Zuhörerschaft. Schlussendlich also ist aus lauter kleinen Teilchen, vielen Ideen und einem großen Haufen Tönen eine wunderschöne, melancholische Platte geworden. Und eine Band, die sich zu verlieren drohte, ist plötzlich sogar noch besser als die Summe all jener kleinen Details, die vier erwachsene Musiker zusammentragen können in 15 langen Monaten. Nun sind sie zufrieden, die Gebrüder Acher, mit sich und vor allem ihrem neuen Werk. Aber „so eine Platte würden wir auch nicht noch mal machen“, sagt Markus wie jemand, der ein bisschen wehmütig zurückblickt auf eine glücklich überstandene Krankheit, die zwar schmerzhaft und langwierig, aber eben auch lehrreich und prägend war. Nun, sagt er, sei es an der Zeit, mal wieder ganz einfach und schlicht „zusammen Musik zu machen“.

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