Kritik

„The Roads Not Taken“ auf der Berlinale: Wie ein schlechter Terrence-Malick-Film


Das neue Drama von der britischen Regisseurin Sally Potter ist ein absolut deprimierendes und obendrauf auch noch sinnloses „Was wäre wenn“-Spiel.

Die Berlinale ist nicht gerade für ihre Feel-Good-Filme bekannt. Immer wieder werden bei dem Filmfestival Werke präsentiert, die einen allein beim Zuschauen an die Grenzen kommen lassen. Die 70. Ausgabe ist da keine Ausnahme. Der Wettbewerbsbeitrag von Sally Potter, „The Roads Not Taken“, auch nicht. Denn ein 85-minütiges Drama über die Innenansichten eines an Demenz erkrankten Mannes können so richtig runterziehen.

Und es wird noch schlimmer: Bei der Pressekonferenz teilt die britische Regisseurin („The Party“, „Orlando“) mit, sie habe hier die eigenen Erfahrungen mit ihrem demenzkranken Vater eingebracht, den sie jahrelang pflegen musste – also ähnlich der Tochter in dem Film, gespielt von Elle Fanning. So deprimierend und von vorne herein stark emotionalisiert die Ausgangslage auch ist, so unbefriedigend ist letztlich das Ergebnis.

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Ein Wackelkamera-Wirrwarr ohne echte Protagonist*innen

Warum sich die Journalistin Molly (Elle Fanning) in den Kopf gesetzt hat, den Zahnarzt- und Augenoptiker-Besuch mit ihrem Dad Leo (Javier Bardem) auf einen Tag zu quetschen und auch noch zu glauben, spätestens nach dem Mittag wieder ihrer Arbeit nachgehen zu können, lässt schon die ersten Fragezeichen aufkommen. Weshalb sie bei dem gesamten Trip durch New York mit ihrem Vater redet, als wäre er ein Kleinkind, aber vor anderen so tut, als wäre er völlig normal und kein bisschen an Demenz erkrankt, lässt schnell weitere entstehen. Erklärungen gibt es für keine dieser Fragen, Sally Potter hat sich vorgenommen, mehr Zeit in dem Kopf von Leo zu verbringen. Denn während seine Tochter bemüht ist, ihm verständlich zu machen, was sie vor hat, träumt er sich mal zu seiner Jugendliebe Dolores (Salma Hayek) nach Mexico und mal nach Griechenland, wo er sich auf die Suche nach einem Schluss für seinen Roman macht.

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Wieso, Weshalb, Warum: Nicht nur als Betrachter*in stellt man alles infrage, auch Javier Bardem macht das für sich. Er geht anscheinend die ganze Zeit gedanklich durch, wie er sein Leben hätte gestalten können oder sogar müssen. Hätte er für immer bei seiner ersten Liebe Dolores bleiben sollen? Was wäre gewesen, wenn sich sein Griechenland-Aufenthalt anders gestaltet hätte? Doch Molly bekommt von all dem nichts mit, weil keine dieser losen Gedankenfäden laut artikuliert wird. Das Einzige, was sich hier herauskristallisiert: Die eine Person, die einen durch diese Story führen sollte, gibt es nicht. Weder Leos Blick auf die verpassten Chancen des Lebens noch Mollys Aufpasserrolle haben das Potential, sich komplett darauf einlassen und davon leiten lassen zu können.

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Eine Draufsicht ohne Möglichkeit des Einfühlens – das erinnert an Terrence Malick

Die Thematik ist stark, keine Frage. Die Idee, einmal einen Blick in den Kopf eines demenzkranken Menschen zu werfen, ebenfalls. Und sicher benötigt es kein bildgewaltiges Sci-Fi-Gelage um die Fantasiewelt einzufangen, die sich mit so einer Introspektive auftut. Doch schon die eigentliche Klarheit im Bild wird hier mit Wackeleinstellungen durcheinandergebracht. Die an sich schon einnehmende Geschichte durch die vielen Szenenbrüche ins Oberflächliche befördert. Keine der Erzählungsstränge bekommt den Dialog, den es zu einer groben Einordnung benötigt hätte, um so ein eigenes Gefühl dazu zu entwickeln.

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Man könnte meinen, „The Roads Not Taken“ wäre ein weiterer schlechter Terrence-Malick-Film à la „To The Wonder“. Hübsche Schnittbilder, BlaBla-Gesprächsfetzen und eine insgesamt auf bedeutungsschwanger gemachte Szenerie. Ein weiteres Indiz dafür sind die immer extremen Emotionen von Elle Fanning, die im krassen Gegensatz zu allem stehen, was im Film und mit den anderen Darsteller*innen passiert. Das ist anstrengend: Ihr laufen ohne Ende die Tränen, dann kreischt sie vor Lachen und im nächsten Augenblick brüllt sie einen leeren Parkplatz zusammen. Es scheint ganz so, als wäre ihr die Krankheit ihres Vaters völlig neu. Als müsse sie sich erst noch damit arrangieren. Immer wieder fragt sie Leo, was er denn habe oder was er gerade gesagt hätte. Doch Javier Bardem gibt hier ganz den Mumblecore-König, den aber keiner in diesem Ansatz von einem Film richtig feiern kann. Eine weitere verpasste Chance.

„The Roads Not Taken“ soll am 30. April 2020 regulär in die Kinos kommen.