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Warum es wieder in ist, wie ein(e) „quirky librarian“ auszusehen


Das Hip-Accessoire der Stunde: Harry Styles macht Brillenketten cool. Die Stil-Kolumne von Jan Kedves.

Wer als Mann garderoben- und gendertechnisch noch Grenzgänger sein will, hat gar nicht mehr allzu viele Optionen. Lackierte Finger- und Fußnägel, Perlenketten, hohe Absätze, Handtaschen: All diese traditionell Frauen vorbehaltenen Styling-Optionen sind in den vergangenen Jahren von Männern, vor allem aus der Altersgruppe der Gen Z, adoptiert und quasi normalisiert worden.

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Historisch betrachtet passiert das auch nicht zum ersten Mal, siehe Glam-Rock und so weiter. Aber: Vor der schmucken Brillenkette scheint Mann bislang zurückzuschrecken. Sie baumelt fast nur Frauen um Hals und Nase – während kürzlich der „Guardian“ schrieb, es sei wieder sehr in, mit ihr „like a quirky librarian“ auszusehen, also wie eine schrullige Bibliothekarin, und während „InStyle“ sie zum „Must-Have mit Wow-Faktor“ deklariert.

Der Sicherheitsgurt für die (Sonnen-)Brille

Damit klar ist, was gemeint ist: Der Sicherheitsgurt für die (Sonnen-)Brille liegt entweder um den Nacken herum, dann beschreibt er, von den Bügeln des Gestells seitlich herabhängend, elegant geschwungene Bögen, wie zur Akzentuierung der Wangen und der Kieferlinie. Oder die Brillenkette baumelt – wie von Topmodel Bella Hadid vorgeführt – vorne unterm Kinn, dann rahmt sie das Gesicht frontal hübsch ein, bewahrt die Brille allerdings im Falle des Herabrutschens von der Nase nicht vorm Kaputtgehen.

Bella Hadid trägt ihre Sonnenbrille mit Kette.

Die Schmuckoption hat dann die Schutzfunktion übertrumpft, oder: Das Styling war wichtiger als die Sicherheit. Harry Styles ist einer der wenigen Männer, die sich für das Accessoire einsetzen: Teil seiner genderneutralen „Ha Ha Ha“-Kollektion für Gucci war eine Sonnenbrille, an deren Fassung kleine Ösen angeschweißt sind, in die lässt sich eine Brillenkette fest einklinken. Der „Guardian“ schreibt, dass die Brillenkette im 19. Jahrhundert populär wurde, als zum einen Brillen überhaupt erst breiter verfügbar wurden, und als zum anderen gerade jene Jobs, die sich als Erstes für arbeitende Frauen öffneten, oft den genauen Blick erforderten: Bibliothekarin, und eben Lehrerin.

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Vielleicht schrecken Männer deswegen zurück? Weil die strenge Lehrerin so eine ambivalente Figur ist? Verhasst, aber eben auch oft sexy? Mag sein. Sympathisch am Trend ist jedenfalls, dass die Brillenkette sich bislang der großen Fashion-Kommerzialisierung entzieht. Es gibt zwar auch die Luxus-Variante für 300 Euro von Miu Miu, aber der Großteil des Geschäfts spielt sich auf Etsy- und DIY-Ebene für ein paar Euro ab. Wer als Mann noch nicht selbst seine Winterpullover strickt, könnte also damit anfangen, sich seine eigene Brillenkette zu fädeln.

Diese Kolumne erschien zuerst in der Musikexpress-Ausgabe 11/2023.

Edward Berthelot Getty Images