Was steckt hinter „Strike Germany“ und welche Folgen hat das bisher?


Ziele des Boykotts: Kunstfreiheit schützen, Kampf gegen Antisemitismus fokussieren, strukturellen Rassismus bekämpfen.

Unter dem Namen „Strike Germany“ ist kürzlich der Boykott-Aufruf gegen deutsche Kultureinrichtungen entstanden. Auslöser dafür – Deutschland verhalte sich zu israelfreundlich und diskriminiere damit das palästinensische Volk. Aber was genau fordert die Kampagne und wie soll sie funktionieren?

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Aufruf zur Benennung von Meinungs- und Solidaritätsunterdrückung

Vor wenigen Tagen entstand die Website „Strike Germany“, die Künstler:innen weltweit dazu aufruft, sich gegen deutsche Kultureinrichtungen und damit gegen die Meinungs- und Solidaritätsunterdrückung des Landes zu bekennen. Explizit heißt es: „Es ist ein Aufruf, die McCarthy-Politik deutscher Kultureinrichtungen abzulehnen, die das Recht auf freie Meinungsäußerung unterdrückt, insbesondere die Solidarität mit Palästina. STRIKE GERMANY verweigert den deutschen Kultureinrichtungen Arbeit und Präsenz. Solange die untenstehenden Forderungen nicht erfüllt sind, wird die Teilnahme an Festivals, Panels und Ausstellungen zurückgezogen.“

Wer sich genau hinter Kampagne befindet, ist nicht bekannt – aber es wird vermutet, dass es sich um eine Gruppe der BDS-Bewegung handelt – der Boykott-Bewegung gegen Israel. Alle Unterzeichnenden sind dafür aber einzusehen. In einer Liste, die mittlerweile über 1.000 Namen umfasst, finden sich auch einige bekannte Persönlichkeiten wieder. Darunter auch die Literaturnobelpreis-Trägerin Annie Ernaux, die sich zuletzt wegen ihrer Haltung gegenüber Israel gegen Antisemitismus-Vorwürfe behaupten musste. Weiter befinden sich unter anderem die Pariser Musikerin Yasmine Hamdan sowie die Schauspielerin Indya Moore in der Aufzählung.

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Was fordert „Strike Germany“ konkret?

Die Kampagne nennt grundsätzlich drei Ziele: die Kunstfreiheit schützen, den Kampf gegen Antisemitismus fokussieren und strukturellen Rassismus bekämpfen. Für diese Werte haben sie jeweils eine detaillierte Forderung festgelegt.

1. Die Kunstfreiheit schützen

Kritik:

Die Kulturstreik-Website weist darauf hin, dass „Kulturschaffende gezielt auf ihre Haltung zu Palästina/Israel hin überprüft werden“ würden und „Kultureinrichtungen soziale Medien, Petitionen, offene Briefe und öffentliche Äußerungen auf Solidaritätsbekundungen mit Palästina“ überwachen würden, um diejenigen auszuschließen, die sich nicht klar zu Deutschland und Israel bekennen.

Forderung:

„STRIKE GERMANY fordert, dass Kultureinrichtungen sich weigern, die Politik ihrer Künstlerinnen und Künstler zu kontrollieren und stattdessen auf ihrer Autonomie gegenüber der staatlichen Politik bestehen, zum kritischen Diskurs einladen und Dissens zulassen. Sie müssen das Grundrecht der Kunstfreiheit einschließlich der Rechte auf Meinungsfreiheit, Vereinigungsfreiheit und Teilhabe am kulturellen Leben schützen.“

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2. Den Kampf gegen Antisemitismus fokussieren

Kritik:

„Strike Germany“ kritisiert, dass die Definition von Antisemitismus der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) genutzt werden würde, um die Kritik am Staat Israel automatisch mit Antisemitismus gleichzusetzen und so jegliche kritische Äußerung zu zensieren.

Forderung:

„STRIKE GERMANY fordert, dass Kultureinrichtungen die präziseren Richtlinien der Jerusalem Declaration of Antisemitism (JDA) übernehmen, die als Reaktion auf die IHRA verfasst wurden. Kultureinrichtungen müssen sich auf die JDA stützen, um dem repressiven Klima entgegenzuwirken, das durch die Zweideutigkeit der IHRA sanktioniert wird, und den Kampf gegen Antisemitismus zu fokussieren.“

3. Strukturellen Rassismus bekämpfen

Kritik:

Die Website richtet sich in diesem Punkt klar gegen die 2019 festgelegten Anti-BDS-Gesetze, in denen ein Boykott Israels für Deutschland ausgeschlossen wurde. Die erklären, dass diese Rechte jetzt dazu genutzt werden würden und automatisch darin resultieren würden, marginalisierte Gruppen zu unterdrücken. Dies habe jetzt zu einer Verstärkung der antipalästinensischen Repression, des antiarabischen Rassismus und der Islamfeindlichkeit beigetragen.

Forderung:

„STRIKE GERMANY fordert, dass sich deutsche Kultureinrichtungen verpflichten, die Anti-BDS-Resolution zu kippen und alle Formen von Rassismus und Bigotterie gleichermaßen zu bekämpfen.“

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Bisherige Auswirkungen des Kultur-Streiks

Zwar haben sich schon einige Personen des öffentlichen Lebens und Politiker:innen wie der Historiker Uffa Jensen, Wolfgang Benz, der frühere Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung und Claudia Roth von den Grünen zu „Strike Germany“ geäußert, tatsächliche Folgen hatte der Streik bisher eher wenige. Am stärksten betroffen ist aktuell die Techno-Szene Berlins, besser gesagt das Berghain. Der Club arbeitet eng mit Kulturschaffenden aus den USA, England, Lateinamerika und Frankreich zusammen, von denen jetzt einige Absagen ins Haus flatterten. Der Grund für die Ablehnung der international bekannten Location sei, dass diese DJ Arabian Panther wegen seiner „pro-palästinensischen Haltung“ ausgeladen hätte.

Ein ausführliches Statement dazu, warum er den Streik als „fehlgeleitet“ empfindet, obwohl er sich klar zu Gaza bekennt, hat der britische Künstler Ghostpoet veröffentlicht. In diesem erklärt er auf Instagram, dass auch er „Deutschlands unverzeihliche Unterstützung von Israels völkermörderischer Kampagne gegen die Palästinenser“ nicht unterstütze, „Strike Germany“ jedoch nicht die gewünschten Ergebnisse erzielen werde.

Ghostpoets Instagram-Beitrag:

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Seiner Ansicht nach würden die falschen Personen am Ende die Vergehen der deutschen Regierung ausbaden, was nicht das Ziel eines Streiks sein könne. Auch werden die Streikenden finanziell, politisch, rechtlich und logistisch nicht unterstützt werden, sondern müssten jegliche Kosten selbst tragen, was dem Sinn eines Streiks widersprechen würde. Abschließend schreibt er: „Letztendlich wird dies zu einem Streik gegen die Arbeitnehmer, nicht gegen die deutsche Regierung; eine Performance individueller moralischer Reinheit, die für die sozialen Medien konzipiert wurde und keine konkreten Ergebnisse bringt.“