Weather Report – Ein musikalisches Hoch mit stürmischen Ausläufern


Volker Kriegel, Deutschlands Supergitarrist, schwärmte vor kurzem: „Mysterious Traveller von der Weather Report ist für mich absolut das Album des vergangenen Jahres.“ Ähnlich bekannte Holger Czukay, der sympathische Baßmann der Can: „Von all diesen sogenannten Jazz-Rock-Bands, ob Mahavishnu, Hancock oder Corea, die Weather Report sind mit Abstand die einzigen, die mir richtig gefallen.“ Zwei Zeugnisse, je aus berufenem Munde. (Und wie oft sind Insider-Tips der Musiker die großen Nummern von morgen geworden!) Daß immer noch viele Leute bei dem Namen Weather Report, zu deutsch: Wetterbericht, mit den Achseln zucken, hat einen plausiblen Grund: Diese US-Gruppe hat sich nämlich fast nie in Europa blicken lassen. -Leute mit messerscharfem Gedächtnis können sich vielleicht an den bislang einzigen Deutschland-Auftritt der „Wetterbericht“ erinnern: Ein paar Fernsehminuten im alten Beat Club am 7. August 1971.

Und nun ganz plötzlich waren die fünf auf einmal diesseits des Atlantik angesagt. Eine Europa-Tournee im März und April, die in Kopenhagen begann, nach Amsterdam führte und über Hamburg (einziges Konzert in Deutschland!) weiterging. So plötzlich, daß man den Titel ihres letzten Albums, „Mysterious Traveller“ – „Geheimnisvoller Reisender“ – fast wörtlich auf die Band anwenden könnte.

Ich setzte Himmel und Hölle in Bewegung, um sie zu sehen und zu hören. Wiederzusehen denn ich hatte sie in New York erlebt und wußte genau, was für ein musikalisches Hoch da auf einen zukam. Es klappte im weltbekannten Concertgebouw von Amsterdam.

„I woa schon immer a Rock ’n Roll-Fan, too!“

Doch zunächst traf man sich erstmal am selben Nachmittag im traditionsreichen Cafe Jazz. Zum zweitenmal konnte ich mich hier intensiv mit Joe Zawinui, dem Mitbegründer der Weather Report, unterhalten. Das macht aus mehreren Gründen Spaß: Der Amerika-Einwanderer aus Wien ist ein ausgesprochener Sympath, er ist blitzgescheit und hellwach, hat nach 15 Jahren Leben in den USA eine Menge zu erzählen, und das Ganze klingt ur-komisch: ein Österreicher, bei dem fortlaufend und unerwartet englische Worte einfließen, der zwar seinen alten Dialekt beherrscht, aber aus Höflichkeit gegenüber seinem Gesprächspartner versucht, Hochdeutsch zu sprechen. Eines seiner Schlüsselbekenntnisse klang dann z.B. so: „I woa, schon immer a Rock ’n Roll-Fan, too!“

Nichts für Puristen

Und die Weather Report haben schon immer ihre völlig eigene Musik gemacht. Nichts für Leute mit Scheuklappen auf den Ohren, nichts für Puristen. Dafür aber volle Bedienung für jeden, der sich unvoreingenommen vor die Boxen setzt. Joe Zawinui drückt das so aus: „Was sich in unseren Köpfen abspielt, ist ein Film, und unsere Musik ist die Filmmusik dazu. – Die Leute, die uns zuhören, empfinden anders als üblich. Sie hören nicht mehr analytisch, also nicht wie: „Aha, jetzt ein Tonartwechsel und jetzt ein Septimakkord und so weiter…“ Sie lehnen sich zurück und lassen sich von den verschiedenen Gefühlen treiben.

Am Anfang waren Joseph und Wayne

Wie kam nun diese Band zustande, die auf die Fortsetzung von Traditionen pfeift, die dennoch Jazzfreunde in aller Welt mittlerweile überzeugt und Rockmusiker allerorten vom Stuhl reißt? Ursprung ist eine alte Freundschaft zwischen Joseph Zawinui und dem schwarzen Saxophonisten Wayne Shorter. Der eine aus Wien und inzwischen 40 Jahre alt, der andere aus Newark bei New York, auch schon hoch in den Dreißigern. Joe spielt E-Klavier, Flügel, Synthesizer, Orgel, etc., alles was man unter Keyboards zusammenfaßt. In dem Rhythmusteil der Band hat’s immer wieder Umbesetzungen gegeben. Aber wer immer der Perkussions-Mann war, er kam aus Brasilien. Erst klopfte und rasselte Airto Moreira, dann Don Um Romao, der erst vor wenigen Monaten nach Brasilien zurückging, und jetzt Alyrio Lima Cova. Besonders schwer fiel die Suche nach dem idealen Schlagzeuger, zuerst Alphonze Mouzon, dann Eric Gravett, dann ein blutjunger Wunderknabe aus Philadelphia namens Darryl Brown und nun der gegenwärtige Drummer aus Frank Zappas Band: ehester Thompson. Einen Wechsel gab’s auch an der Baßgitarre. Al Johnson, 22, ein baumlanger Jüngling aus Philadelphia, löste Miroslav Vitous ab, ein vielgepriesener US-Einwanderer aus Prag. Gründung der Weather Report: 1971.

Zwischen zwei Stühlen

Zunächst landeten sie ziemlich zwischen den Stühlen. Für alte Jazzhasen waren sie Abweichler, für die Rockfreunde noch zu far out. Joe: „Die meisten Leute haben zuviel Angst vor Veränderung. Wenn jemand die komfortable Situation des Eingefahrenen verläßt, gibt es Spannung. Dann braucht’s eine Zeit für die Umgewöhnung. Und seit unsere Zuhörer merkten ,I can feel something‘, seitdem hat sich unser Anhang ständig vergrößert.“ Erst hörten fast nur die Weißen hin. Doch seit Joe den Boogie Woogie Waltz, den 15-Minuten-Hammer des dritten Albums „Sweetnighter“ geschrieben hat, sind auch die Schwarzen Amerikas voll dabei. Denn erst seitdem wird auch der Körper voll mitbedient. (Siehe auch „Tale Spinnin'“, die jüngste WR-Veröffentlichung)

Rausgehen aus der Welt…

Groß geschrieben wird auch die kosmische Dimension. Das kann man an Titeln wie „Milky Way“ oder „I Sing the Body Electric“ ablesen. Joe: „Yes, das Universum ist das große Rätsel. Das tägliche Leben ist nicht so interessant. Rausgehen aus der Welt, das Universum beobachten, das ist interessant. Sich musikalisch so bewegen wie die Sterne. Je weiter voneinander entfernt, desto größer die Spannung. – Träumen ist ok.“ Zu meiner großen Überraschung hat sich allerdings der Bühnenauftritt sehr von der ätherischen und zugleich so herrlich körperlichen Musik der Platten entfernt. Sie zockeln so viel herum, und manchmal ist ein Stück vorbei, ohne daß man das Gefühl hat, daß es überhaupt angefangen hat. Es ist das alte Risiko beim spontanen Spiel. Manchmal geht’s ab wie die Pest, manchmal kommt man über eine Ansammlung von Einleitungen nicht hinaus. Ein zündender Boogie Woogie Waltz am Schluß ließ dennoch das volle Haus aufjubeln und lange nach einer Zugabe klatschen. Allerdings vergeblich.