ME-Themeninterview

Wir haben mit Woodkid über Monster gesprochen


Auf Woodkids neuem Album wird es düster: Der französische Musiker stellt sich nämlich dem eigenen Dämonen, den „inneren Monster“, wie er es nennt. Im Interview hat er uns dazu genauer Auskunft erteilt.

Sieben Jahre nach seinem Debütalbum hat sich der französische Regisseur, Designer und Künstler Yoann Lemoine erneut in den Musiker Woodkid verwandelt. Auf seinem zweiten Album S16 haben sich seine Klangfarben eher verdunkelt. Was daran liegen könnte, dass sich Woodkid seinen Dämonen stellt – dem „inneren Monster“, wie er es nennt.

Musikexpress: Immer wieder taucht im Werk von Woodkid das Monster-Motiv auf. Schon das Video zu deiner 2012er Single „Run Boy Run“ war geprägt von Fabelwesen und riesenhaften Gestalten. Das zu dem aktuellen Song „Goliath“ beginnt fast dokumentarisch in einem Braunkohle-Tagebau und endet mit einem monströsen Titanen, der sich aus der Erde erhebt. Und zum Release der nächsten Single „Pale Yellow“ schriebst du bei Facebook, es handele von deinem „inneren Monster“ …

Woodkid: Ist ja gut, deine Beweisführung ist schlüssig. Es ist definitiv ein starkes visuelles Motiv in meiner Arbeit. Seien es tatsächliche Monster, innere Dämonen oder auch monströse Maschinen – ich arbeite oft mit visuellen, aber auch akustischen Codes, die deutlich machen, dass die Themen, die ich verhandele, manchmal zu groß sind, um sie allein zu bewältigen oder in Worte zu fassen. Ich finde, diese Metapher passt besser denn je in unsere Zeit, weil wir als Individuen machtlos monströs erscheinenden Problemen gegenüberzustehen scheinen – sei es die allgegenwärtige politische Spaltung, die wachsende Ungleichheit oder der Klimawandel.

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Du hast deine Lieder einmal „Battle Hymns“ genannt, und auch auf S16 gibt es wieder diese mächtigen Chöre und fast kriegerischen Percussions. Ist das der Schlachtengesang gegen die besagten Monster?

In gewisser Weise schon. Ich glaube, unsere Welt braucht so etwas. Ich will Musik machen, die mir den Mut gibt, diesen Kräften entgegenzutreten, die uns herumschleudern oder zu Boden bringen. Sei es eben der Klimawandel oder die politischen Entwicklungen – allen voran jene, die uns Typen wie Donald Trump eingebrockt haben. Aber Trump selbst ist nicht das Monster, das es zu bewältigen gilt. Es sind eher die Dinge, die Trump groß gemacht haben, denen wir uns stellen müssen. Hinter Figuren wie ihm – und davon gibt es einige – lauern monströse Kräfte, die wir alle in uns tragen. Ich glaube, es gibt eine sehr enge Verbindung zwischen den großen Krankheitssymptomen unserer Gesellschaft und den individuellen Kämpfen, die jeder Mensch ausfechten muss. Ein Klimawandel-Leugner oder ein strammer Rechter wird das wohl nie zugeben, aber ich bin fest davon überzeugt, dass individuell erlebte Depressionen, Selbstzweifel und Unsicherheiten diese kollektiven Symptome auslösen. Mein Album will sozusagen erzählen, wie das intime, eigene Monster in uns die großen erschafft.

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Indem man ihm im eigenen Handeln und Denken nachspürt?

Ja. Ich möchte eine Debatte über die Abgründe in jedem von uns anstoßen, indem ich meinen eigenen nachspüre. Mein Album streift deshalb Themen wie Sexualität, Selbsthass, psychische Gesundheit, selbstzerstörerisches Verhalten – aber auch Positives wie das Vertrauen in andere, oder das Glück, einem Menschen zu begegnen, der einem in dunklen Zeiten Licht spenden kann. Was unsere Gesellschaft mehr denn je braucht, ist eine offene Auseinandersetzung über Schwäche und männliche Verletzlichkeit.

Also als Gegenmodell zur sogenannten toxischen Männlichkeit?

Genau. Für mich als queerer Mann wurde der Drang, darüber zu sprechen, immer deutlicher, gerade weil ich zuerst selbst oft dachte, ich müsste besonders stark und männlich wirken. Dabei sind diese übersteigerten Formen von Männlichkeit Bullshit. Eben toxisch. Aber man verliert sich manchmal in ihnen, weil man dadurch Unsicherheiten überspielt oder kompensiert. Heute empfinde ich es eher als Stärke, seine Verletzlichkeit preiszugeben. Es kostet Überwindung, sich einzugestehen, dass man toxische Verhaltensmuster hat, dass man an sich selbst zweifelt, dass man Homophobie am eigenen Leib erfahren hat, dass jeder Mensch rassistische Tendenzen in sich trägt.

Üben diese Abgründe andererseits nicht auch eine gewisse Faszination aus? In dem sehr expliziten Lied „So Handsome Hello“ singst du zum Beispiel von abgründigem Sex, der von Kontrolle, Gewalt und durchaus toxischen Energien befeuert wird.

Natürlich. Wobei das ja eine gute Form der Kompensation ist, wenn sich darin Menschen finden, die sich in ihren Vorlieben ergänzen. Auf diese Ambivalenz wollte ich aber auch bei „Goliath“ und dem Video dazu hinaus. Goliath ist für mich nicht bloß eine biblische Figur, die für einen übergroßen Feind steht, den es zu bekämpfen gilt. Als ich diese riesigen Braunkohle-Bagger filmte, deren Bau-Typ übrigens tatsächlich „Goliath“ heißt, lief es mir kalt den Rücken runter. Einerseits dachte ich: Wie kann die Menschheit bloß so eine monströse Maschine bauen, die der Umwelt einen dermaßen großen Schaden zufügt? Und gleichzeitig wurde ich ehrfürchtig vor dieser technischen Leistung und Ingenieurskunst.

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Es ist eben nicht alles schwarz und weiß – was ja in vielen Diskussionen zu kurz kommt dieser Tage. Gerade wenn sie in Fronten und populistischen Schlagzeilen verkürzt werden. Aber was hilft dagegen?

Sich diese Ambivalenzen einzugestehen, wäre meiner Meinung nach ein wichtiger Schritt, der uns alle weiterbringen könnte. Wenn du erst einmal zugibst, dass du in gleichem Maß verängstigt wie auch fasziniert von einer Sache bist, weißt du, dass du es mit einem sehr komplexen Problem zu tun hast und es einen langen Prozess und Austausch braucht, um etwas zu finden, was es besser macht oder gar löst. Und selbst wenn deine Intentionen gut sind, gilt es, die eigenen negativen Tendenzen, die jeder in sich trägt, im Blick und in der Balance zu halten.

Unser „inneres Monster“ …

Genau. Ein guter Freund von mir, der französische Autor Édouard Louis, hat in seinem Buch „Im Herzen der Gewalt“ sehr schlaue und schmerzhafte Dinge dazu geschrieben. Er zeigt auf, dass unsere Welt von einer Form der Gewalt durchdrungen ist, die durch gesellschaftliche Zwänge und Ungerechtigkeiten ausgelöst wird, wie ein Virus, das auch im Grunde nicht böse Menschen befällt und zu ihren Werkzeugen macht. Unsere große Aufgabe wäre es also, nicht nur über Schuld und Unschuld zu entscheiden, sondern genau diese Dinge zu bekämpfen.

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Über Woodkid:

Yoann Lemoines Weg als Woodkid begann 2011 mit der EP IRON und dem spektakulären Video dazu, das sogleich übertroffen wurde von der Nachfolge-Single „Run Boy Run“ und ihrem noch spektakuläreren Video. Beide stammten von Lemoine selbst; er war schon vor Start seiner eigenen Musiker-Karriere als Clip-Regisseur hoch geschätzt, drehte Videos für Katy Perry („Teenage Dream“), Taylor Swift („Back To December“) und Lana Del Rey („Born To Die“) und war Creative Director bei Pharrell Williams’ „Happy“-Clip. Neben seinen Studio-Alben THE GOLDEN AGE und nun S16 komponierte er auch den Score zum Thriller „Desierto“ und arbeitete mit Nils Frahm beim Soundtrack zum tollen Kurzfilm „Ellis“ des Mural-Künstlers JR zusammen, in dem Robert De Niro die Hauptrolle spielt.

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Dieses Interview erschien zuerst im ME 11/20

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