„Hirnflimmern“-Kolumne

„30 Jahre Rock am Ring“: Josef Winkler über das musikalische Nacht-Programm im TV


Der kleinste gemeinsame Penner: Josef Winkler sollte einfach nicht so wenig fernsehen. In seiner aktuellen „Hirnflimmern“-Kolumne regt er sich nämlich über das Programm auf.

Mit der Nostalgie ist es ja so eine (verbotene) Sache, aber umzingelt von hektischer Gegenwart und aus engen Augenschlitzen starrender Zukunft mag ich es ab und zu, mich mit der vergleichsweise berechenbaren Vergangenheit zu beschäftigen. Und da braucht nicht gleich wieder das Faulkner-Zitat her vom Vergangenen, das eh gar nicht vergangen sei – ich würde sagen: Weniges ist vergangener als z.B. ein Auftritt von Joe Cocker bei „Rock am Ring“ 1985. Letztens weckte eine ARD-Doku über „30 Jahre Rock am Ring“ Hoffnungen in mir, legte sie doch los mit Bildern und Schilderungen aus der Frühzeit deutscher Festivals, die ich als Festivalgänger a.D. und pophistorisch Interessierter gierig aufsog.

Josef Winkler kann sich auch mal aufregen

Dann fing der Film an, in kurzen Collagen von schier unwirklich putzigem Archivmaterial die ersten RaR-Feste Revue passieren zu lassen. 1985. Huey Lewis. U2. Gianna Nannini. Chris de Burgh. 1986. Simply Red. Bangles. 1987. Bowie. Lindenberg. Eurythmics. Dazu Interviewschnipsel mit Besuchern aus jener Zeit, als es noch mehr Oberlippenbärte als Tattoos gab. Ich schmiss mich weg. Würde der Film jetzt tatsächlich so schön stumpf chronologisch 30 Jahre Ringrock hererzählen? Was für eine hochinteressante Zeitreise würde das werden, anhand der Metamorphosen dieses Festivals sowie von ca. 14 Regalkilometern WDR-Archivmaterial drei Jahrzehnte sich verändernden Popundrock sicht- und spürbar zu machen … Äh. Genau. Aber das geht offenbar nicht im deutschen Quoten-TV.

So eine Doku zur Mitternacht bekommt dann 45 Minuten Zeit, in die aber auch noch rein muss, wie kultig es auf dem RaR-Campingplatz zugeht, was echte RaR-Fans so mitbringen aufs Festival, was Cro mit seiner bescheuerten Pandamaske egalerweise von RaR hält, dass Campino von den Toten Hosen mal mit geschientem Bein aufs RaR-Bühnendach gestiegen (!) ist, dass Campino von den Toten Hosen sich mal auf der RaR-Bühne einen Kreuzbandriss zugezogen (!!) hat und dass Peter von den Sportfreunden Stiller mal auf der RaR-Bühne mit Campino von den Toten Hosen über Fußball geredet (!!!) hat.

Alle unsere Kolumnisten im Überblick.
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Das nennt „Das Erste“ dann „die spektakulärsten und emotionalsten Momente aus 30 Jahren Rock am Ring wieder lebendig werden“ lassen. Aus den Jahren 1988 bis 2007 gab’s zur Sicherheit kein Archivbild, aber da war musiktechnisch eh nicht so viel los, und junge Zuseher schreckt das ja ab, wenn man sie mit Bildmaterial aus prädigitalen Zeiten oder gar mit Bands konfrontiert, die sie nicht kennen und aktuell geilo finden. Und weil dann doch noch Sendezeit da war und es ja Leute geben soll, die nicht alle 16 Live-DVDs besitzen, die die Toten Hosen in den letzten 14 Jahren herausgebracht haben, gab’s im Anschluss dann noch zwei Stunden Hosen- l i v e b e i r o c k a m r i n g m it s c h n it t . Das nennt man Programm für den kleinsten gemeinsamen Penner.

Uff! Hab ich mich grad übers Fernsehen aufgeregt? Lesen Sie im nächsten Heft: Immer Ärger mit dem Wetter.

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