Eurythmics: Sie waren das dominierende Duo der 80er Jahre. Im ME-Interview erzählen Annie Lennox und Dave Stewart, was aus ihren Sweet Dreams von einst geworden ist.


Es gibt ein berühmtes Zitat von Björk, in dem sie sagt, daß es intimer sei, mit jemandem einen Text zu schreiben, als mit ihm Sex zu haben. Ihr hattet beides. Wie darf man sich diese Liaison vorstellen?

Stewart: Naja, das ist wohl eine ganz andere Art von Intimität! Auf diese Frage kann ich irgendwie nicht wirklich antworten.

Lennox: Es ist wahr, daß es sehr intim ist, zusammen einen Song zu schreiben. Aber es spielt sich natürlich nicht auf der körperlichen Ebene ab. Es hat etwas mit dem Verständnis dafür zu tun, wie man selbst und wie der andere denkt, und wie man auf verschiedene Klänge reagiert. Insofern hat Björk ja vielleicht recht.

Von Euch beiden ist dieses Zitat überliefert: „Wir haben in einem ziemlich kurzen Zeitraum so viel erlebt wie andere in 100 Jahren und dabei in einer sehr seltsamen Beziehung gesteckt.“ Heißt das, daß Ihr oft gestritten habt?

Stewart: Gemessen an dem, was wir so alles erlebt und uns manchmal auch selbst eingebrockt haben, waren wir eigentlich doch sehr höflich zueinander. Ich habe Leute gesehen, die sich wirklich schlecht benommen haben, sobald Druck auf sie ausgeübt wurde. In solchen Situationen haben wir uns immer so freundlich wie möglich verhalten.

Lennox: Wir sind beide einfach anständige Leute, die es nicht darauf anlegen, andere Menschen zu verletzen. Man kann sich einen grundsätzlichen Respekt anderen Leuten gegenüber aneignen. Wenn man nicht mit ihnen auskommt, hält man eben ein wenig Abstand. Keiner von uns ist bösartig, weil wir beide wissen, daß wir auch nur Menschen und somit verletzbar sind. Wir haben immer die besten Absichten im Umgang mit anderen.

Dave, es gibt da eine Story, daß Du Annie einmal geradeheraus gefragt haben sollst, ob sie Dich heiraten würde.

Stewart: Nein, nein, das war so: Der Besitzer des Restaurants, in dem Annie damals arbeitete, wollte mich nicht hineinlassen. Da habe ich an die Fensterscheibe gehaucht und „Willst Du mich heiraten?“ rückwärts auf die beschlagene Scheibe geschrieben. Aber ich bin ein Mensch, der so etwas nicht ganz ernst meint.

Lennox: Was er damit sagen will ist, daß die ganze Sache lediglich ein Witz war.

Stewart: Nein, nein, nein. Ein Witz war das eigentlich nicht. Zu der Zeit habe ich das natürlich noch nicht gewußt, aber später fand ich dann heraus, daß Annie eine großartige Frau ist, mit der man gerne zusammen ist. Aber damals, am Restaurant, war es nur so dahin gesagt.

Nach der Trennung der Eurythmics sah es danach aus, als hättet Ihr beide das Business und zudem auch Euch selbst satt gehabt. Seht Ihr das jetzt, nachdem Ihr beide Kinder habt, etwas gelassener, so daß Ihr Euch auf einer anderen Ebene wieder annähern könnt?

Stewart: Vielleicht, ja. Wenn man mit jemandem zu tun hat, der auch darüber Bescheid weiß, wie es ist, Kinder zu haben, kann man sich mit ihm austauschen. Um ehrlich zu sein, ist das aber nicht unser Hauptgesprächsthema. Wir unterhalten uns eigentlich mehr darüber, was aus den Eurythmics werden wird und wie wir das eine oder andere machen wollen. Eurythmics ist zwar nur ein alter Name, aber die Idee dahinter ist sehr viel größer. Deshalb denken wir ständig über diese Sache nach.

Lennox: Ich habe mich sehr verändert, seit ich Kinder habe. Das geht wohl jedem so. Sie wecken dich auf, und du mußt plötzlich eine neue Verantwortung übernehmen. In diesem Sinne hatte ich früher, als ich noch nicht Mutter war, nicht so viele andere Dinge, um die ich mich sorgen mußte – von mir selbst mal abgesehen (grinst). Inzwischen habe ich mich aber weiterentwickelt. Und das ist mir gut bekommen, denn heute bin ich weitaus weniger auf mich selbst bezogen als früher. Viele Künstler sind nun mal Einzelgänger, die sozusagen eine soziale Fehlfunktion haben. Das ist es, worüber sie singen oder was sie malen.

Annie, hast Du Dir Daves letztes Soloalbum angehört?

Lennox: Ja, zumindest Teile davon.

Dann kennst Du vermutlich auch den Track, in dem er die gesamte Eurythmics-Story erzählt.

Lennox: Vielleicht die ganze Story.

Stewart: Eigentlich ist der Song ziemlich leer. Ich denke, Annie hat ihn mal eines Nachts gehört. Es ist sehr schwierig, solch einen Song zu schreiben. Denn immerhin bedeutet das ja, daß man ungefähr 18 Jahre in ein paar Zeilen niederschreibt.

Annie, Dein Image hat sich über die Jahre stark verändert. Hast Du darüber nachgedacht, oder war das Ganze ein natürlicher und daher eher unbewußter Prozeß?

Lennox: Ich denke niemals über das Image nach, sondern immer über die Person, die dahinter steht, denn das ist etwas vollkommen anderes. Wenn ich über Images nachdenke, erscheint mir das so oberflächlich. Sie sind eine visuelle Darstellung meiner Befindlichkeit zu einer bestimmten Zeit. Es gibt so viele symbolische Hinweise, daß intelligente Menschen wohl verstehen werden, was ich mache. Und die weniger intelligenten haben Überschriften, an die sie sich halten können. In einer bestimmten Weise hat also jeder ein Image, das jedoch mit tieferliegenden Dingen verbunden ist. In den vergangenen Jahren haben mich beinahe alle großen Fashion Designer angesprochen und mir ihre Mode umsonst angeboten. Aber ich bin nicht darauf eingegangen, weil ich unabhängig sein will und denke, daß es so etwas wie ein Gratis-Essen nicht gibt. Wenn ich eines der Angebote angenommen hätte, wäre ich automatisch zu einem Model der betreffenden Firma geworden, was ganz sicher nie in meiner Absicht gelegen hat. Ich möchte lediglich eine integere, unabhängige Künstlerin sein.

Die Single „I Saved The World Today“ aus Eurem aktuellen Album „Peace“ hört sich zwar an wie ein fröhlicher Song, aber es gibt da auch eine Kehrseite. Letztlich ist das Stück doch ein Lamento darüber, daß man die Welt nicht wirklich retten kann.

Lennox: Es ist kein fröhlicher Song, oh nein! Er ist aus dem Schmerz entstanden, den wir und andere Menschen fühlen. Und aus dem Mitgefühl, das wir für diese Menschen empfinden. Manchmal scheint es so wenig wahrscheinlich, daß sich jemals etwas ändern wird. Dann wünscht man sich, die würde Welt gerettet. Wäre das nicht großartig? Es wäre doch wie Disneyland. Stewart. „I Saved The World Today“ besitzt große Tiefe. Wie alle Eurythmics-Songs verfügt auch dieses Lied über eine zweite, dunklere Bedeutung, die in einer Melodie mitschwingt, die sich zunächst fröhlich anhören mag.

In „17 Again“ findet man eine nette kleine Hommage an Euch selbst: „Fake celebrities, vicious queens and stupid magazines“, lautet eine Zeile daraus. Rechnet Ihr hier mit dem Business ab?

Lennox: Es geht um die Industrie, die Maschinerie des Musikgeschäfts. In einem gewissen Sinn sind wir am Ende das Produkt von diesem Medienzirkus.

Es gibt ein Zitat, in dem Ihr feststellt, daß Annie die Perfektionistin ist, während Dave mit haufenweise wirren Einfällen aufwartet.

Lennox: Nein, es ist genau umgekehrt.

Stewart: Irgendwie stimmt beides. Auf eine komische Weise bin ich tatsächlich ein Perfektionist, aber Annie ist es auch. Wir beide sind sehr verschieden, aber wir haben trotzdem die gleiche Vision, die gleiche Vorstellung.

Lennox: Es ist nicht so einfach aufzuteilen, was Dave machen soll und was meine Aufgaben sind. So läuft das eben nicht.

Dave, hast Du Annie eigentlich um ihren großen Erfolg mit „Why“ beneidet?

Stewart. Nein, man muß das so sehen: Ich habe zehn oder zwölf Jahre hinter Annie gestanden, während sie sang. Ihre Stimme ist einfach einmalig. Da ist es doch klar, daß sie neue Songs herausbringt, auch wenn ich nicht mehr hinter ihr stehe. Ich hatte diesen Erfolg erwartet und habe ihn ihr auch gegönnt, denn Annie ist eine großartige Sängerin und „Why“ ein toller Song. Außerdem betrug das Werbebudget 250.000 Pfund. Bei meiner letzten Soloplatte waren es gerade mal 10.000. Das ist eine andere Liga.

In „Anything But Strang“ aus dem neuen Album heißt es: „Laughing is so very dose to crying“. Seit Ihr Heulsusen?

Lennox: Ich war mal ziemlich gut im Heulen, ja. Die Zeile heißt: „Laughing is so very close to crying and living is so very close to dying.“ Die Eurythmics waren schon immer von diesen Gegensätzen im Leben fasziniert, die nebeneinander existieren. Jeder hätte doch eigentlich gerne, daß die Dinge entweder schwarz oder weiß sind. Aber so verhält es sich im Grunde nie. Es ist immer eine Mischung. Und so sind unsere Songs: vielschichtig und komplex.

Und manche haben auch mit verlorenen Träumen zu tun.

Lennox: Das ist absolut richtig. Und zudem kann man es jeden Tag beobachten: Wenn unser kleines Kind ein Eis in der Hand hält, das plötzlich vom Stiel abbricht und schmilzt, dann verändert sich die Stimmung des Kleinen so drastisch, daß er in kürzester Zeit in absolute Hysterie ausbricht. Vielleicht steckt ja in jedem von uns ein solches Kind, das manchmal in Tränen ausbrechen möchte, wenn Träume nicht in Erfüllung gehen.

Es gibt da dieses beliebte Vorurteil, demzufolge Sanger nur auf die Bühne gehen, um von den Massen geliebt zu werden. Ihr dagegen habt immer eine gewisse Distanz gewahrt. Fast so, als ob Ihr Euch selbst beobachten wolltet.

Lennox: Ich suche in meinem Publikum nie nach Liebe. Niemals! Denn Liebe ist etwas viel zu Besonderes und Intimes. Was ich mir von einem Auftritt erhoffe ist, als Sängerin Kontakt zu den Menschen zu haben, mich dergestalt mit ihnen auszutauschen, daß ich ihnen meine Musik gebe und sie mir ihr Feedback. Wenn sie dieses Gefühl dann fälschlicherweise als Liebe interpretieren, fühle ich mich dabei sehr unwohl. Denn wie können sie mich lieben, wenn sie mich gar nicht kennen? Sie kennen lediglich einen Aspekt von mir. Sänger, die an diese „Liebe“ glauben, haben meiner Meinung nach ein echtes seelisches Problem und sollten sich therapieren lassen. Denn man wird niemals Liebe beim Publikum finden. Zumindest nicht das, was ich unter Liebe verstehe.

Stewart: Das wäre doch witzig, oder? Wenn jeder Künstler sich in Therapie begäbe, würde es wahrscheinlich gar keine Bilder und Songs mehr geben! Ich habe dieses Thema mal mit Lou Reed diskutiert. Lou hatte irgendwann erkannt, daß seine Songs nicht so wären, wie sie sind, wenn er nicht ständig diesen Ärger fühlen würde oder deprimiert wäre. Viele Künstler quälen sich sehr mit solchen Erkenntnissen. Die andere Seite davon ist jedoch, daß dadurch etwas Außergewöhnliches entsteht.

Annie, Du legst auch deswegen Wert auf Weiterentwicklung, um Dich von Ärger oder Depression zu distanzieren. Widerspricht das nicht Daves Meinung?

Lennox: Was micht angeht: Ich bin lieber gut drauf, anstatt mich schlecht zu fühlen und dafür Songs schreiben zu können. Man kann sich ja auf eine Weise weiterentwickeln, die negative Gefühle zwar zuläßt, aber eben nicht in dem Maße, daß sie einen völlig runterziehen und man dann nur noch melancholisch durch die Gegend rennt. Weiterentwicklung heißt, mit Emotionen besser umgehen zu können.

Werdet Ihr Eure Kinder mitnehmen, wenn Ihr auf Tour geht? Oder habt Ihr darüber noch nicht nachgedacht?

Lennox: Die Tour wird aus drei kurzen Phasen bestehen: eine in Europa, die zweite in Australien und den USA und die dritte in England. Wir werden also immer wieder die Möglichkeit haben, zwischendurch nach Hause zu fahren. Vielleicht werden wir die Kinder auch mal übers Wochenende zu uns holen, aber das steht alles noch nicht fest.

Fürchtet Ihr Euch vor der Umstellung auf ein normales Leben, vor der Resozialisierung nach der Tournee?

Lennox: Ich fürchte mich davor, ja. Nicht, was das Verhältnis zwischen mir und Dave betrifft, aber wohl, was die Welt da draußen angeht. Ich habe zwar keine richtige Angst davor, aber der ganze Rummel beschäftigt mich schon. Ich gehe nämlich gern die Straße entlang wie ein ganz normaler Mensch.

Ist das denn überhaupt möglich auf Mallorca, wo Du ja die meiste Zeit des Jahres verbringst?

Lennox: Bis jetzt ja. Das Komische dabei ist, daß mich die Leute oft nur dann erkennen, wenn ich zu einem offiziellen Empfang wie zum Beispiel einer Filmpremiere gehe. Aber sonst fällt es mir nicht sehr schwer, mich unerkannt unter die Leute zu mischen. Das ist für Männer wahrscheinlich auch schwieriger als für Frauen. Elton John sieht nun mal aus wie Elton John. Er kann sich nicht einfach verkleiden. Wenn ich mit Dave unterwegs bin, bemerke ich plötzlich, daß ich ein Teil der Eurythmics bin. Alleine dagegen bin ich meist eine Person wie jede andere auch. Außer vielleicht, wenn ich den Menschen in die Augen sehe. Dann merke ich, daß manche mich erkennen. Aber die sind immer sehr süß.

Was werdet Ihr im Jahr 2000 tun?

Lennox: Das ganze Jahr über?

Nein, nur an Silvester.

Lennox. Das weiß ich jetzt noch nicht sicher. Es ist durchaus möglich, daß ich bei einem riesigen Event spielen werde, das am Nullmeridian in Greenwich stattfinden wird. Aber im Moment ist das noch Spekulation. Ich habe noch nichts entschieden.

Hat der 31.12.1999 eine bestimmte Bedeutung für Dich?

Lennox: Ich habe den Dalai Lama über dieses Thema sprechen hören. Er sieht das kommende Jahrtausend als wirklich bedeutend an. Die Frage ist doch: Setzen sich all die alten Probleme weiter fort? Das ist. was mich interessiert – ob nun wirklich ein neues Jahrtausend beginnt oder nicht. Ich persönlich wünsche mir ein verstärktes Interesse an der Umwelt und an den Menschenrechten. Das ist auch der Grund, warum die Eurythmics eine Kampagne für Greenpeace und Amnesty International gestartet haben.

Wird es Eurythmics-Aktien an der Börse geben?

Lennox: Darüber habe ich wirklich noch nicht nachgedacht.

Stewart: Aber ich. Unser Manager kann Dir diesbezüglich bestimmt einiges mehr erzählen.