Grenzmusik

Wolle mu se neilasse? Nein danke, sie können draußenbleiben, denn für die drei — angeblich so tollen — Tage habe ich mir schon einen LP-Notvorrat angelegt. Von der Dirty Dozen Brass Band MY FEET CANT FA1L ME NOW (Bellaphon. 5) und MARDI GRAS – LIVE (Rounder/TlS. 4): jazzig jecke Töne aus New Orleans. Das Josquin Ensemble spielt italienische Karnevalsmusik des 16. Jahrhunderts auf CANT1 CARNASC1ALE-SCHI (Christophorus. 4). Und natürlich die Black Fööss mit EM RICHTI-JE VEEDEL (EMI); wenn das Sextett die Lieder aus der Schreibe des Singer-Songwriters Willi Ostermann (1876—1936) singt, möchte ich am liebsten ,.zo Foß noh Kölle Jon“ (4).

Ihre neueste LP ZWEIERLEI FÖÖSS (EMI) ist dagegen nichts für Schunkelbrüder; der Reiz dieser Mini-Hörspiele erschließt sich erst, wenn der Kopf wieder klar ist. (5)

Wer für den Maskenball eine Alternative zum Film-Soundtrack sucht, kann diesmal den Original Roxy Cast der ROCKY HORROR PICTURE SHOW (Discocenter) in den CD-Player legen. Im Gegensatz zur rockig ruppigen Film-Version lohnte sich die AAD-Überspielung dieser Londoner Bühnenproduktion. (6)

Noch ein Grund, das Lautsprecher-Paar mit Reis zu bewerfen: HOCH-ZEITSMUSIK DER RENAISSAN-CE (RCA): die 12 Jahre alte Produktion der Landshuter Hofmusik und Capeila antiqua liegt nun in digitaler Neuabmischung und DMM-gepreßt vor. (4)

Das ensemble für frühe musik augsburg singt latenische und volkssprachige Lyrik der MINNESÄNGER (Christophorus); ein Geheimtip für Leute, die immer noch der Rock-Gruppe „Ouaenweide“ nachtrauern. (5)

Wer die Fastenzeit für New-Age-Meditationen nutzen möchte, darf sich dem Percussionisten Jolly Kunjappu anvertrauen. Auf WARM EMBRACE (Metronome) zeigt dieser Tripführer, daß elektronische Klänge Raum für Virtuosen lassen können. Aber Larry Coryell und andere Gastmusiker bleiben unter ihrem Niveau. (3)

Da interpretieren die Jazz-Rocker Hirsch & Baum & Abendstern ihre Instrumentals weit zupackender. Der LP-Titel DILETTANTISCHER SEN-TIMENTALISMUS (MMR Records) gilt nur für ihre schwachen Kompositionen. (3) Kompositorische Bäume reißt auch Ralf Tohde mit seinem Erstling nicht aus. Dabei fuhr er für S1LENT DEPARTURE (sky) großes Elektronik-Geschütz auf. — Ergebnis: (2).

Seine Kollegen vom New-Age-Label „sky“ bieten mehr Abwechslung auf dem CD-Sampler SCHWINGUN-GEN (Discobox). Ein repräsentativer Querschnitt durch die musikalische Computer-Welt. Eckpunkte markieren die Phantomband mit dem mißlungenen Massenhypnose-Selbstversuch „Relax“ (1)

und“.Schöne Hände“ von Cluster & Brian Eno (5).

Wer beim Träumen vom neuen Zeitalter auch mal ein paar unkeusche Gedanken riskieren möchte, wird gut bedient von der japanischen Sängerin Miyako Koda. Damit aber keine falschen Hoffnungen aufkommen: Der Keyboarder Tatsuij Kim hat ihr für DIP IN THE POL (Rough Trade) ein Rhythmus-Korsett komponiert, das abwechselnd auf- und abregt. (5)

Noch eine Scheibe für echte Männer: THE BIG GUNDOWN (Nonesuch/WEA). Avantgardist John Zorn arrangierte für eine handverlesene Schar New Yorker Studiomusiker Filmmusiken von Ennio Morricone. „Spiel mir das Lied vom Tod“ wird zur Gitarristen-Feedback-Orgie. auch ansonsten kommt keine Italo-Romantik auf. (6)

DAS LETZTE (Trikont) Debüt-Album des 37jährigen Herrn Georg Ringsgwandl ist eher was für die Damen. Findest Du nicht auch, liebe Caroline Reiber, daß dieses Nachwuchstalent endlich den „ORF/ZDF/SRG Grand Prix der Volksmusik“ verdient hätte? Laß dich nicht davon irritieren, daß die ehrwürdisie Süddeutsche Zeitung ihn „das meistverkunnte Genie Buyerns“ nannte — der Typ singt mindestens so schlecht wie tausend Heinos. Daß er so nebenbei ein paar Pop-Heilige schändet, wird dich ja nicht allzusehr stören. Aber wenn er den Hendrix-Klassiker „The Wind Cries Mary“ auf der Gitarre zupft, rotiert Jimi im Grabe. Denn übersetzt hat dieser Kulturbanause den poetischen Titel mit „Der Wind schreit Scheiße“. (6)