Boom Tschak


Die Electro-Kolumne von Albert Koch

Retromania?

Wie viel Geschichtsbewusstsein kann die elektronische Musik vertragen? Beispiel Elbee Bad – The Prince Of Dance Music.

Pop ist an sich eine konservative Kunstform, die schon immer und mehr als jede andere vermeintlich Neues aus Selbstreferenzialität, Zitat und Verweis zieht. Nur die Minorität der Pophörer hat ein Interesse daran, „Neues“ zu erfahren. Es geht eher um Selbstbestätigung einmal angelegter Hörgewohnheiten, um Musik als Trigger für Erinnerungen.

Man kann die Rezeptionsgeschichte von Popmusik in die Zeit vor und nach Simon Reynolds‘ Buch „Retromania“ (seit ein paar Wochen auf Deutsch erhältlich) unterteilen. Vorher wurde die Popwelt von ständigen Rereleases klassischer Alben, gigantomanischen Box-Sets, die in unzähligen Outtakes den Entstehungsprozess eines Tracks dokumentieren, und den ewigen stilistischen Recycling-Zyklen gekennzeichnet. Hinterher ist das auch noch so, aber es herrscht auf breiter Basis das Bewusstsein über diese oftmals ökonomischen Überlegungen geschuldete Retroverliebtheit. Die Rückwärtsgewandtheit von Pop, die vor Reynolds als gegeben hingenommen wurde, wird nach „Retromania“ aber allzu kritisch hinterfragt. Plötzlich will es jeder schon immer gewusst und keiner mehr etwas mit der Vergangenheit zu tun haben.

Die Frage ist berechtigt, ob als Reaktion auf „Retromania“ jede Ausgrabung aus den Archiven per se abgelehnt werden soll, oder ob Pop nicht auch eine Art entwicklungsgeschichtlichen Auftrag hat, der dabei hilft, Zusammenhänge herzustellen. Wobei wir beim Amsterdamer Label Rush Hour wären. Dort legt man zwar hauptsächlich Wert auf zeitgenössische elektronische Musik, hebt aber auch immer wieder spektakuläre Schätze aus den Archiven. Zum Beispiel die Musik des bis dahin weitgehend unbekannten Chicago-House Duos Virgo (Four). Jetzt ist bei Rush Hour die Compilation The True Story Of House Music von Elbee Bad – The Prince Of Dance Music erschienen.

Elbee Bad aka Lamont Baker, ist ein House-Pionier aus New York, der seit Jahren in Berlin lebt, und nahezu in Vergessenheit geraten ist. Zu Unrecht wie die Tracks von Ende der Achtziger/Anfang der Neunziger zeigen, z.B. „The True Story Of House Music“ und „The New Age Of Faith“, von dem sich Andrew Weatheralls Projekt The Sabres Of Paradise zu „Smokebelch II“ hat „inspirieren“ lassen. Dass manche der Tracks von Elbee Bad so „zeitlos“ klingen wiederum liegt am Retromania-Phänomen.