„Charité“ (Staffel 3): Die historischen Hintergründe der Serie


Nach dem TV-Staffelfinale berichten wir von den wahrhaftigen historischen Hintergründen der dritten Staffel und teilen erste Infos über die 4. Staffel.

Die dritte Staffel der historischen ARD-Serie „Charité“ ging vor wenigen Wochen auch im TV in die letzte Runde. Dabei blieb das Prinzip der Serie über alle drei Staffeln hinweg das gleiche: Sie orientiert sich an deutschen, historischen Ereignissen und haucht diesen mit fiktionalen, dramaturgischen Elementen neues Leben ein. Für eine vierte Staffel könnte dieses Konzept auf den Kopf gestellt werden: Die Produzenten von „Charité“ überlegen, Staffel 4 nicht etwa naheliegenderweise in unserer Corona-Gegenwart, sondern im Jahre 2049 spielen zu lassen. Bevor es aber via Zeitreise in die nächste Serien-Ära geht, klären wir über die historischen Hintergründe der aktuellen Staffel auf.

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„Charité“: Historische Hintergründe der 3. Staffel

Während die zweite Staffel von „Charité“ die NS-Zeit bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges behandelte, drehte sich die dritte Staffel rund um den Mauerbau und Kalten Krieg im Jahre 1961. Diese Zeit war für die echte Berliner Charité besonders schwer. So entwickelte sich damals das Polio-Virus (Kinderlähmung) zur deutschlandweiten Epidemie, die 1400 Todesfälle verzeichnete. Dazu herrschten in Zeiten der Mangelwirtschaft nicht nur Engpässe was wichtige Medikamente und Medizintechnik anging, auch das Personal war knapp. Mit der Migrationswelle in den Westen, verlor das Universitätsklinikum 500 von 4000 Mitarbeiter*innen, welche die DDR verließen. Der Medizin-Historiker Prof. Thomas Schnalke berichtet in einem Interview: „Oftmals war es montags morgens auf Station nicht klar, wie die Frühschicht gefahren werden konnte.“

Zusätzlich befand sich die Charité in den Fängen der Stasi, die sich dort langsam einnistete und schon bald aus dem Hinterkämmerchen regierte, wie Dr. Jutta Begenau in ihrem Buch „Staatssicherheit an der Charité“ berichtet. Die Autorin war damals Charité-Angestellte und durchforstete hunderte Unterlagen der Stasi und des Klinikums. Nachdem die MfS zuerst Anfang der 1960er Kontakte von außen aufbaute, gelang der Stasi später, 1966, die finale Infiltration, berichtet Begenau. Sie erzählt: „1966 gelang der Stasi mit einem Ministerratsbeschluss ein besonderer Coup, sie installierte von da ab in den Leitungsebenen der Betriebe und Einrichtungen sogenannte Sicherheitsbeauftragte.“ So bildete sich schließlich am Klinikum ein umfassendes Informanten-Netz aus, welches aus bis zu 80 inoffiziellen Mitarbeitern (IM) bestand. Damit wies die Charité eine doppelt so hohe inoffizielle Mitarbeiter-Quote auf wie andere Betriebe zu der Zeit. Dr. Jutta Begenau berichtet von den Umständen: „Ärzte, die ihr Wissen der Staatssicherheit zur Verfügung stellten, genossen Vorteile und hatten beruflich mehr Chancen“.

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Die aktuelle Staffel setzt sich genau mit dieser Gegebenheiten auseinander und erzählt die Geschichte der jungen Ärztin Ella Wendt, die im Sommer 1961 ihren Dienst an der Berliner Charité beginnt. Während es sich bei Ella Wendt um eine fiktive Figur handelt, haben andere Charaktere der Serie jedoch klare historische Vorbilder.

Die historischen Vorbilder der Charaktere

So spielt Uwe Ochsenknecht den Prof. Helmut Kraatz, der damals als einer der bedeutendsten Gynäkologen der DDR in die Geschichte einging. Der Arzt erhielt, obwohl er 1937 als Parteianwärter der NSDAP registriert war, 1948 eine Professur an der Humboldt-Universität in Berlin. Zwei Jahre später übernahm er schon die Leitung der Universitäts-Frauenklinik der Charité. Wie auch in der Serie gezeigt, war Kraatz damals Experte auf dem Gebiet der intersexuellen Geschlechtsumwandlungen und machte sich mit der Geschlechts-Diagnostik einen Namen. Intersexuelle sind von ihren äußeren Geschlechtsmerkmalen bei der Geburt oft nicht eindeutig dem männlichen oder weiblichen Geschlecht zuzuordnen. Um das Geschlecht der Person zu identifizieren öffneten Ärzte damals die Bauchdecke um festzustellen, „ob die Person Eierstöcke oder Hoden hatte. Entsprechend dem Gutachten änderte das Gericht das Geschlecht“, erzählt Rainer Herrn vom Institut für Medizin-Geschichte und -Ethik der Charité. Kraatz holte sich damals jedoch auch einen Psychiater dazu und ließ dem Wunsch des Patienten/der Patientin im Hinblick auf die Geschlechtszugehörigkeit Vorrang.

Auch Prof. Otto Prokop war damals Koriphäe auf seinem Gebiet. Der bedeutende Gerichtsmediziner wird in der Serie von Philipp Hochmair gespielt. Dieser erzählt über Prokop: „In der Fachwelt ist er ein großer Star, aber der Großteil der Bevölkerung kennt den Namen nicht“. Prokop brachte insbesondere die Krebsforschung voran und entwickelte viele neue Verfahren zur Spurensicherung. Doch ähnlich wie der Gynäkologe Kraatz hatte auch das Leben des erfolgreichen Gerichtsmediziners eine Schattenseite. So obduzierte er die Mauertoten und Toten aus den Berliner Gefängnissen des MfS und des Innenministeriums, während ihm die Stasi im Sektionssaal auf die Finger schaute. Damit verhalf er der Stasi dabei Todesursachen vertuschen und verfälschen.

Nina Kunzendorf spielt die Kinderärztin und Halbjüdin Dr. Ingeborg Rapoport. Nach ihrer Immigration in die USA 1938, kehrte sie 1950 nach Europa zurück und leitete ab 1958 die Säuglings- und Frühgeborenenstation an der Charité. Als Halbjüdin wurde ihr damals die Promotionsprüfung an der Uni Hamburg verweigert. 2014 erhielt sie schließlich mit 102 Jahren die Promotion an derselben Uni.

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Staffel 4 wird ein futuristisches Drama

Mit Staffel 4 reist die Serie jedoch in die nahe Zukunft. Das berichtet jedenfalls die Produzentin Jana Brandt im November 2020 in einem Interview mit DWDL: „Wir erlauben uns, in die nahe Zukunft zu springen und auf eine Charité rund um das Jahr 2049 zu blicken. Diese Vision können wir auch viel diverser erzählen, was uns natürlich reizt.“

Die Fortsetzung der Serie soll jedoch nicht vor 2022 gedreht werden. Die Ausstrahlung erfolgt wahrscheinlich erst im Jahr 2023. Bis Juli gibt es jedoch noch genügend Gelegenheit die letzten beiden Staffel nachzuschauen. Solange sind Staffel 2 und 3 in der ARD-Mediathek zu finden. Staffel 1 und 2 stehen unter anderem auch bei Netflix im Stream zur Verfügung.

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