Nachbericht & Fotos

Deichkind-Konzert in Nürnberg: Attacke der Kunstkacke-Emojis


Am Samstag gastierten die subversiven Elektro-Prolls von Deichkind in Nürnberg. Zuverlässig rollten sie dabei Fass und Bass in die fast ausverkaufte Arena, empfahlen den Schöpfer ihrer Show aber langfristig auch für die Documenta oder eine eigene Schau in den Hamburger Deich(kind)torhallen.

Wie erzählt man von einem Deichkind-Konzert, ohne wie ein aufgeregter Grundschüler nach dem Freizeitpark-Wochenende den Teil der Leserschaft zuzuspoilern, der seine Eintrittskarte noch unversehrt am Kühlschrank hängen hat? Und noch fundamentaler: Wie begegnet man als Henning Besser alias La Perla – bekanntermaßen der unsichtbare Zirkusdirektor der Bühnenperformances der subversiven Elektro-Prolls – der ziemlich eindeutigen Publikumsnachfrage danach, beim Konzert so zugeballert zu werden, dass man bis zum nächsten Morgen tatsächlich nicht mehr weiß, wie der eigenen Chef heißt oder ob gerade wieder irgendwelche Faschisten zur Parlamentszersetzung in ein solches eingezogen sind? Auch nicht so einfach.

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Denn dass Herr Besser eine ganz eigene Vision von dem hat, was für eine Bandbreite ein solches Deichkind-Konzert haben sollte und über welche Banden aus der Kunstpalette man dabei spielen kann, ja, dass dieser krasse Konzepter sich über die krawallne Junggebliebenen-Bespaßung offenbar grob Richtung Documenta 16 vorarbeiten möchte, zeigt sich schon an dem Kurzfilm, mit dem er sein neuestes Spektakel-Update beginnt. Darin wird das Deichkind-Dauer-Cameo Lars Eidinger am Lastenkran kopflings in einen Farbtopf getaucht und kreuz und quer über großflächig ausgelegtes Papier geschleift. Da zieht sich nicht nur der nackte Eidinger, da zieht sich bald auch ein bisschen die Zeit, schongleich, wenn man mit Remmidemmi im Sinn in die Einzweckhalle gekommen ist. Doch als sich dann endlich der Vorhang öffnet und dieses riesige Papier mit den Schauspieler-Schleifspuren in Königsblau als Backdrop der Bühne offenbart, das ist nun wieder: leider genial.

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In der Folge werden auch noch andere abstrakte Malerarbeiten als Kulisse aufgezogen. Und die Bühne bleibt bis auf ein paar wie als Architektur-Ballett hin und her rollende Säulen oft minimalistisch leer. So ist mehr Platz für Tanzchoreographien, Maskenparade, Verwirrungsoffensive, das fliegende Ein- und Auswechseln einer schwer auszurechenden Formation, in der neben Kryptik Joe und Porky der Münchner Rapper Roger Rekless einen festen Mikrofon-Job übernommen hat. Einige Sachen kennt man dabei schon aus früheren Programmen, der Bürostuhl-Schieber zu „Bück dich hoch“ oder die LED-Pyramidenhelme aus „Arbeit nervt“ zum Beispiel. Und Fassreinrollen und Gummibootausfahrt gehören ja ohnehin zum unabdingbaren Brauchtum bei einem Deichkind-Konzert.

Impulsive Menschen ohne Grenzen im Kopf feiern immer die geileren Partys

Die neuen Inszenierungs-Ideen ergänzen das Bekannte prächtig, egal ob Deichkind als Pappmache-Kopffüßler albtraumhafte Erinnerungen an die Residents wecken, den kaum weniger bizarren Riesenrucksack aus dem „Richtig gutes Zeug“-Video über die Bühne schleppen, als Markensocken-Monster wirbeln wie Lappenbäume in der Waschstraße oder zum Dutch-Techno-Terror von „Oma gib Handtasche“ eine Frauen-Gang auf die Fitness-Trampoline schicken. (Wenigstens wollen wir aber nichts weiter verraten von dem übergroßen Kothaufen-Emoji bei der Zugabe.)

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Dass diese gesamte höchst aufwändig in Szene gesetzte Performance trotzdem wirkt wie von einer Studierenden-WG mit unbegrenztem Zugang zu Hasch und Bastelbedarf ausgedacht, transportiert eine wichtige Botschaft dieser Gruppe: Es geht darum, sich der Bilder, Begriffe und Zumutungen unserer Zeit mit anarchistischer DIY-Attitüde zu ermächtigen und gemeinsam mit den Tausenden von Nürnberg (und Trier, Kiel, Zürich, Erfurt etc.) darauf herumzuspringen bis unten nur noch Schweiß, Glitzer, Bier, vom Quatsch die Soße rausläuft. So platt das klingt – und in der Umsetzung ja auch immer wieder ist: Diese zweieinhalb(!) Stunden machen deutlich, dass, um hier aus „Remmidemmi“ zu zitieren, impulsive Menschen ohne Grenzen, im Kopf, immer die viel geileren Partys feiern werden. Man darf das nicht vergessen.

Zur Musik muss man wohl nicht viel sagen: Das wummernde Mutantendisco/techno-Zeugs kommt ja „vom Band“, wird live allerdings hier und da noch aufgemotzt mit ein paar Takten von Billie Eilish, Madonna, Daft Punk, Michael Jackson u.ä. Als ob sie selbst nicht genug Hits hätten. Absurd.