ME-Gespräch

Dita von Teese im Interview: „Eine Fantasien-Fabrikantin, das wollte ich immer sein“


Warum die wohl bekannteste Burlesque-Tänzerin der Welt jetzt auch noch singt, wieso sie mal in Oxford sprach und weshalb Typen wie Marilyn Manson ihr heute viel zu anstrengend wären? Hat Dita von Teese uns im Interview verraten.

Dita von Teese ist die bekannteste Burlesque-Tänzerin der Welt. Eine Feministin. Die Ex von Marilyn Manson. Ein Selbstvermarktungs-Genie. Und jetzt singt die 45-Jährige US-Amerikanerin auch – an der Seite des französischen Elektro-Pop-Zottels Sébastien Tellier, dem sie entgegen ihren sonstigen Gewohnheiten alle Kontrolle überließ, wie sie uns in diesem Interview erzählt.

ME: Frau von Teese, Sie gelten als „First Lady“ der New Burlesque. Haben Sie sich schon einmal gefragt, was Sie tun würden, wenn Sie tatsächlich die Rolle einer First Lady an der Seite eines Präsidenten einnehmen würden?

Dita von Teese: Oh Gott … Ich wüsste gar nicht, wo ich anfangen sollte, weil es da so viel zu tun gäbe. Es passiert zum Beispiel gerade so viel in Sachen Frauenrechten. Auch die aktuelle Sexismus-Debatte ist wahnsinnig interessant. Ich bin sehr froh darüber, dass endlich öffentlich über Amts- und Machtmissbrauch gesprochen wird und all die Geschichten, die sich über Jahrzehnte zugetragen haben. Davon kann sich im Grunde keine Frau ausnehmen – wir alle haben in irgendeiner Form Gewalt oder sexuelle Belästigung erfahren. Und das, obwohl sich die Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten ja schon extrem gewandelt hat. Doch unter der Oberfläche, also in den Wurzeln unserer modernen Gesellschaft, ist das durchaus noch vorhanden. Dagegen müssen wir etwas tun.

Harvey Weinstein hat über Jahrzehnte hinweg Frauen missbraucht, und es wusste auch jeder davon, heißt es …

In Hollywood wusste wirklich jeder Bescheid. Ich bin froh, dass endlich darüber geredet wird. Amüsanterweise scheint es gerade unter Männern nur zwei Lager zu geben: Die einen können sich immer noch nicht vorstellen, dass es so etwas tatsächlich gibt und Männer zu so etwas fähig sind. Die anderen müssen sich eingestehen, dass sie damit nicht mehr durchkommen. Ich habe versucht, das meinem Freund zu erklären, er könnte sich nie vorstellen, eine Frau einfach so anzufassen. Ich meinte zu ihm: „Es geht gar nicht so sehr ums Sexuelle, sondern um die Erniedrigung und Demütigung. Es ist tatsächlich wie bei einer Jagd.“ Männer, die Frauen so behandeln, sind auch diejenigen, die nach Afrika fliegen, um Tiger oder Elefanten zu schießen. Sie beziehen ihren Kick daraus, andere zu erniedrigen und zu quälen.

Das reicht bis zu den Anfängen Hollywoods zurück. Schon Charlie Chaplin wurde sexuelle Gewalt vorgeworfen.

Das ist wirklich genauso alt wie das Filmgeschäft selbst. Meine beste Freundin gehört gewissermaßen zum Hollywood-Adel, ihr Großvater zählt zu den Gründern der Filmindustrie. Sie sagte mir: „Das ist ein alter Hut.“ Die „Besetzungscouch“ existiere schon immer. Und ich bin mir sicher, dass sie nie ganz verschwinden wird. Aber wenn sich etwas ändern soll, sollte man als Künstler mehr darüber nachdenken, mit wem man arbeitet und warum. Wenn ich meine Burlesque-Show zusammenstelle und Tänzerinnen caste, geht es mir nicht nur um großartige Performer, sie müssen auch menschlich passen. Es müssen Leute sein, die ich mag und mit denen ich klarkomme.

„Ich wurde von einem bekannten Talkmaster begrapscht, aber ich musste sogar darüber lachen, weil ich fast schon damit gerechnet hatte, dass das passiert. Ich werde irgendwann mal in meiner Biografie darüber schreiben – und auch seinen Namen nennen.“

Sind Sie selbst sexuell belästigt worden?

Nicht oft, aber auf gewisse Weise schon. Ich habe zum Beispiel erst vor Kurzem ein Filmprojekt abgebrochen, weil mir ein Kollege zu aufdringlich wurde. Ich brauche das nicht. Ich war schon immer mein eigener Boss. Und ich werde mich niemals auf dieses Spiel einlassen, und mit jemandem ausgehen und flirten, nur weil er berühmt oder wichtig ist. Ich gehe nicht mit ihm essen und nehme mit ihm auch keinen Drink an der Bar. Ich bin kein Freiwild, das man jagen kann, nur weil man einen gewissen Status in Hollywood besitzt. Was bilden sich diese Typen eigentlich ein?!

Die freie, unkontrollierte Meinungsäußerung in den sozialen Medien birgt die Gefahr, dass Menschen auch zu Unrecht beschuldigt werden – und sich nicht dagegen wehren können.

Und das dürfte in nicht allzu ferner Zukunft für Probleme sorgen. Ich selbst habe zwar auch ein MeToo-Erlebnis, aber bislang habe ich nicht davon erzählt, weil es nicht so schlimm war wie das vieler Kolleginnen. Ich wurde von einem bekannten Talkmaster begrapscht, aber ich musste sogar darüber lachen, weil ich fast schon damit gerechnet hatte, dass das passiert. Ich werde irgendwann mal in meiner Biografie darüber schreiben – und auch seinen Namen nennen. Bis dahin soll er ruhig ein bisschen schwitzen und hoffen, dass ich seine Karriere nicht zerstöre. Denn diese Macht hat er mir durch seinen Fehlgriff gegeben. Ich finde es jedoch wichtiger, dass nun erst einmal die schwereren Fälle ans Tageslicht kommen. Wir sollten den Fokus auf die schweren Vergehen richten, die regelrechte Traumata und tiefe psychische Schäden hinterlassen haben. Das soll nicht heißen, dass es okay ist, den Hintern einer Frau zu befummeln, aber es ist eben doch vergleichsweise harmlos.

Glauben Sie, dass sich die aktuelle Debatte auf unser Verhalten beim Daten und Flirten auswirken wird?

Das geschieht bereits. Ein Beispiel: Ich fliege viel, und nach Möglichkeit sitze ich dabei am Fenster. Also muss ich meinen Sitznachbarn bitten, mich zur Toilette durchzulassen. Früher war es so, dass die meisten gar nicht erst aufgestanden sind. Sie haben allenfalls die Füße zur Seite gedreht und es bewusst auf körperlichen Kontakt ankommen lassen. Manche Typen haben sich regelrecht daran ergötzt, wie ich mich an ihnen vorbeizukämpfen versucht habe. Aber jetzt springen sie buchstäblich aus ihrem Sitz und stehen Spalier.

Haben manche Männer vielleicht Angst vor Ihnen, weil Sie so tough wirken? Da gibt es zum Beispiel diese Geschichte mit Donald Trump, der sich wohl wenig begeistert nach der Begegnung mit Ihnen zeigte …

Er wollte, dass ich in seiner TV-Show auftrete – in „The Celebrity Apprentice“. Deshalb hat er mich in sein Büro in New York gebeten. Aber schon nach wenigen Minuten, die wir uns gegenübersaßen, war mir klar, dass ich da nicht mitmachen würde – und dass ich auch nicht der Typ Frau war, den er sich vorstellt. Später habe ich zufällig ein Stück der Show gesehen. Da meinte er tatsächlich zu einem dieser vielen hübschen Mädchen: „Ich glaube, du siehst toll aus, wenn du vor einem Mann kniest.“ Das ist wirklich so gesendet worden! Wie eklig! Ich hätte ihm vor laufender Kamera eine Ohrfeige gegeben, wenn er das zu mir gesagt hätte.

Haben Sie sich vorstellen können, dass dieser Mann zum Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika gewählt wird?

Nicht in einer Million Jahren. Unser Präsident ist ein Sexist und Rassist und lügt am laufenden Band. Trotzdem bleibt er in Amt und Würden. Es ist eine seltsame Zeit, in der wir leben.

Aber irgendwann muss das Maß doch voll sein, oder?

Zum Glück gibt es eine Reihe von Leuten, die an einer Lösung arbeiten. Erst vor ein paar Wochen war ich bei einer Spendenveranstaltung, die Jared Leto initiiert hatte. Ein Mittagessen mit Showteil, bei dem Geld für Anwaltskanzleien gesammelt wurde, die Anklagen gegen Trump vorbereiten …

Dass es erst so weit kommen musste …

Wahrscheinlich hätten die Amerikaner jeden gewählt, der nur reich und berühmt genug ist. Sie hätten auch The Rock gewählt, hätte er sich um das Amt beworben … Immer noch besser als Donald Trump. (lacht) Aber das zeigt, wie die Leute denken und wie sie diese Promikultur beeinflusst. Sie halten jemanden, der im Fernsehen auftritt, für glaubwürdig, empfinden ihn als authentisch und stark. Sie vergessen, dass das alles inszeniert ist.

Demnach könnte auch David Hasselhoff Präsident werden?

Bestimmt! Lustigerweise habe ich gerade erst ein paar alte Hasselhoff-Videos angesehen und mich köstlich amüsiert. Ich saß mit ein paar Freundinnen zusammen. Die wussten nichts von seiner Gesangskarriere. Also musste ich ihnen ein paar Videos und Live-Auftritte zeigen. Sie waren sprachlos. In Deutschland hat er ja Stadien damit gefüllt – das muss man sich mal vorstellen.

Er ist bis heute davon überzeugt, dass sein Song „Looking For Freedom“ damals für den Fall der Berliner Mauer gesorgt hat.

Großartig! Es ist doch schön, dass es so bodenständige und bescheidene Menschen gibt. Vielleicht sollte Trump ihn zum Botschafter in Deutschland machen.

„Wir zeigen, dass man seine Sexualität nicht einfach zur Seite legen darf, weil man seine Halbwertszeit überschritten haben könnte.“

Fragen Sie sich manchmal, wie lange Sie noch tun können, was Sie tun, und ob Sie nicht eines Tages zu alt dafür sein könnten?

Das frage ich mich, seit ich 22 bin. Ich hatte erst vor Kurzem eine Unterhaltung mit Gwen Stefani darüber. Sie ist drei Jahre älter als ich. Sie hat mich genau das gefragt, ob sie nicht zu alt sei für all das. Meine Antwort lautete: „Es ist wichtig für andere Leute, dass du mit gutem Beispiel vorangehst. Dass sie sehen, dass du immer noch glamourös und sexy bist, Miniröcke und hohe Stiefel trägst und deine Karriere vorantreibst.“ Wir sind Vorbilder. Wir zeigen anderen Frauen in unserem Alter, dass man seine Sexualität nicht einfach zur Seite legen darf, weil man seine Halbwertszeit überschritten haben könnte. Wir können immer noch Sinnlichkeit, Glamour und Schönheit verkörpern. Auch wenn man uns immer eingetrichtert hat, dass die Schönheit der Jugend die schönste ist. Dabei kommen in unserem Alter ganz andere Facetten hinzu wie Weisheit, Charakter, Stil, die zu einer ganz anderen Form der Schönheit gehören. Zu Gwen habe ich immer aufgesehen und mir gedacht: „Sie sieht so toll aus. Wie sie sich auf der Bühne und in ihren Videos bewegt. Umwerfend sexy!“ Auch Madonna motiviert mich immer noch und spornt mich an. Wer etwas dagegen sagt oder das runtermacht, ist entweder zu jung oder nicht intelligent genug, um zu verstehen, was das Alter und das Älterwerden bedeuten.

Was hat Sie veranlasst, nun auch noch Sängerin zu werden?

Ich bin keine Sängerin. Das würde ich nie von mir behaupten – aus Respekt vor allen, die tatsächlich Sänger sind. Ich würde auch nie behaupten, dass ich irgendetwas über Musik weiß – außer, welche ich mag und welche nicht. Ich kann Burlesque-Shows choreografieren. Oder Unterwäsche und Parfüm kreieren. Oder ein Buch schreiben. Aber ich wäre nie auf die Idee gekommen, ein Album aufzunehmen – wenn mich Sébastien Tellier nicht gefragt hätte. Ich bin schließlich ein großer Fan von ihm.