Im Gespräch

Giant Rooks im Interview: Die wollen nur spielen


Giant Rooks firmieren zwar als Indie-Pop-Band, doch was ihren Bekanntheitsgrad und ihren Erfolg betrifft, haben die fünf Freunde aus Hamm den Indie-Status bereits verlassen. Ihnen winkt sogar eine internationale Karriere – und das, obwohl man bis gerade eben noch nicht mal wusste, wie ihr Debütalbum klingt. Wir haben zwei von ihnen zum Interview getroffen.

Der erste Zeitungsbericht, für den einen der kugelige Lokalredakteur am Seiteneingang zur Bühne abgefangen hat. Die Endrunde beim Sparkassen-gesponsorten Nachwuchspreis. Auftritte in Clubs deiner Kleinstadt, die irgendwas mit „Werkstatt“ oder „Fabrik“ heißen. Für Schülerbands mit dem Traum von der großen Musikkarriere ist es das Feld, auf dem sie sich ausprobieren, sich verbessern können, einen regionalen Ruf erspielen. Doch meistens bleibt es dann auch dabei.

An einem heißen Sommernachmittag sitzen uns zwei Mitglieder einer dieser raren Bands in einer Pizzeria gegenüber, bei denen es nicht dabei geblieben ist. Frederik Raabe (Gitarre, Gesang und einiges mehr) und Finn Schwieters (Gitarre) sind vor knapp zwei Jahren mit Giant Rooks aus Hamm nach Berlin gezogen. Von der Stadt haben sie bislang kaum etwas gesehen. Statt in Clubs und Kneipen verbrachten sie ihre Nächte im Nightliner oder Hotelzimmer irgendwo in Deutschland. Sie spielten Tour-Support für AnnenMayKantereit und Kraftklub und waren selbst in erstaunlich großen Hallen als Headliner unterwegs. Für dieses Jahr war sogar eine Tour durch Europa und die USA geplant – die Pandemie hat nun ein paar „Picknick-Konzerte“ in Dresden, Leipzig und Köln daraus gemacht.

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Ihr Debütalbum ROOKERY erscheint dieser Tage, trotz Corona. Es liegen große Hoffnung darauf. So große, dass das Management während des Interviews dabeisitzen will – es soll nichts schiefgehen vor dem internationalen Durchbruch der einstigen Schülerband. Halt, den Begriff mögen sie gar nicht: „Als wir unsere ersten Liveauftritte mit 18, 19 gespielt haben, ging uns das ziemlich auf den Senkel: ,Okay, wir sind halt jung und gehen zur Schule – und jetzt..?!‘“, erzählt Sänger Frederik und schiebt sich seine opulente Sonnenbrille zurecht.

Giant Rooks fanden tatsächlich nicht im Klassenzimmer und überhaupt ganz schwer zusammen. Frederik und Finn machten zwar bereits mit zehn gemeinsam Musik – Punkrock, damaliger Bandname: „Hammer Rocker“, verrät Frederik –, doch weitere Bandmitglieder zu finden, das war schwierig, so groß ist das Angebot an Nachwuchsmusiker*innen im ostwestfälischen Hamm offenbar nicht. Und schon gar nicht fanden sich Leute, die bereit waren, nach dem Abi auf die Musik als Karriereoption zu setzen. Als sie dann doch Luca Göttner (Bass), Finn Thomas (Schlagzeug) und Jonathan Wischniowski (Keyboards) in ihren Proberaum gelotst hatten, „war klar, dass es das ist“, erzählt Frederik: „Da war direkt eine Magie zwischen uns.“ Es folgten erste Auftritte; Internet- und Mundpropaganda schoben Giant Rooks schon ins Vorprogramm größerer Bands, da hatte noch keine Plattenfirma angebissen – die erste EP wurde auf den Gigs verkauft. Dann klopfte Label-Riese Universal an.

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Von Punkrock ist auf ihrem Debütalbum nach sechs Jahren Bandgeschichte nichts mehr übrig. Aber Giant Rooks zeichnet nach weit über 300 Auftritten dennoch eine besondere Energie und Spielfreude aus, die sie vom Großteil der hiesigen Konkurrenz unterscheidet. Und mit Frederik Raabe, der mit seiner Gitarre so über die Bühne wirbelt, dass ihm ständig die braunen Strähnen ins Gesicht fallen, und dessen Stimme leicht kratzig, aber lange nicht so aufdringlich wie die von Henning May ist, haben Giant Rooks den idealen Blickfang. Bei ihnen wirkt nichts schwer, befindlich, zu komplex oder kompliziert. Genau diese ansteckende Leichtigkeit ist wohl auch der Grund, warum der im besten Sinne radiotaugliche Pop des Quintetts so durch die Decke geht. Giant Rooks haben keine Mission, die wollen nur spielen.

Das aber professionell, mit dem Habitus von Musikern, die schon drei Welttourneen und eine Greatest-Hits-Compilation hinter sich haben: „Wir haben uns bei ROOKERY mehr Gedanken über ein Konzept gemacht, weniger Songs als früher sind zufällig im Proberaum entstanden. Wir wollten weg von diesem Indie-Band-Charakter, hin zu einem moderneren Soundbild“, sagt Finn Schwieters. Bedeutet: Samples und elektronische Sounds, kleine Auto-Tune-Experimente und der Abschied von der klassischen Strophe-Chorus-Strophe Struktur. Eher Alt-J als The Kooks, bloß keine 2000er-Indie-Nostalgie, sondern vorwärtsgewandte Musik, zu deren Einflüssen dann eben auch ein Kanye West zählt.

Warum sie damit auch im Ausland so viele Fans finden, können Frederik und Finn sich selbst nicht erklären. Klar, sie singen auf Englisch, ihr Pop ist international – aber genau so etwas hat, von raren Ausnahmen wie Milky Chance abgesehen, bislang umso sicherer dazu geführt, im deutschen Rockzirkel verhaftet zu bleiben.

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Giant Rooks können froh sein, nicht auf die gehört zu haben, die ihnen geraten hatten, es doch lieber auf Deutsch zu versuchen. Ihr Plan geht auf – da lässt sich auch darüber hinwegsehen, dass die Schulenglisch-Texte und frühen Aufnahmen nicht alle den Test der Zeit bestehen: „Wir bereuen nichts“, sagt Frederik. „Aber ich stelle es mir schrecklich vor, heute Sachen spielen zu müssen, mit denen wir uns nicht mehr identifizieren können.“ Heute in fünf Jahren soll das natürlich immer noch so sein, und dann sagt er endlich einen Satz, der einen daran erinnert, wo in ihrer Karriere Giant Rooks jetzt noch stehen: „Wenn man jung ist, hat man ja immer das Gefühl von Unsterblichkeit.“

Hört Euch ROOKERY hier im Stream an:

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+++ Dieser Artikel erschien zuerst im Musikexpress 10/2020 +++

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