Mit Dire Straits auf Tour Blues im Bus


Hamburg, Ernst-Merck-Halle – Der Sound ist eine Qual. Kommentar eines Hamburger Schreibers. „Kommt wieder. Aber laßt Euch nie wieder in dieser Halle verheizen!“ Es ist tatsächlich eine Qual. Die Feststellung, daß absolut jede Band in dieser Unglückshalle so klingt, als ob ein Düsenjäger-Geschwader in den Alpen probt, wurde schon vor Jahren gemacht. Ich bete inbrünstig, daß die vor mir liegenden Konzerte einfach besser werden… müssen.

Im Grunde aber werden sich die nächsten Tage gar nicht nur um Konzerte drehen. Es geht ums ganze Drum und Dran, und dazu muß man sich erst einmal kennenlernen. Derlei Annäherungen passieren am besten nach dem konzertanten Ereignis in der entspannten Atmosphäre einer Hotel-Bar.

Da ist zunächst Paul Cummins. Paul ist Partner des Londoner Dire Straits-Entdeckers Ed Bicknell. Paul weiß hundertprozentig, was er macht. Tour-Profi durch und durch: Klein und gewandt, witzig und wohlerzogen, hat er seine flinken Augen überall und paßt bei Transaktionen finanzieller, tourtechnischer und nicht zuletzt menschlicher Natur auf wie ein Wiesel.

Und Paul hat Charme. Während der nächsten Tage, die ich mit Band und Crew verbringen kann, stellt er mir jeden vor, von Meister Mark bis zum Teaboy, vom Lichtmixer bis zur Küchenlady.

Glücklicherweise kenne ich ein paar Mitwirkende dieses musikalischen Mammutunternehmens von früheren Begegnungen. Das läßt eventuelle Eisbarrieren schmelzen.

Terry Williams z.B., der sich tatsächlich noch dunkel an eine Tour vor zehn Jahren erinnert, die ihn, bei „Man“ trommelnd, nach Berlin brachte. „Weißt du noch?“ Einfach ganz normal erzählen, bloß nicht bedeutungsschwangere Fragen stellen wie so oft bei Interviews!

Nun steuert ein gutaussehender, blonder Jüngling auf mich zu, der wie eine Mischung aus einem Modell für italienische Sportkleidung und russischem Ballett-Star wirkt.

Tatsächlich sind Harold „Hai“ Lindes Eltern gebürtige Russen, die vor gut vier Jahrzehnten gen Amerika wanderten. „Amerika fehlt mir manchmal. Nicht LA., aber New York zum Beispiel; Berlin hat was davon, ist mir aber zu aggressiv. Jeder lebt da Überleben“, sagt Hai mit sanfter Stimme. Er wirkt freundlich verträumt und liebt eindeutig seinen Beruf Gitarre spielen.

Als nächstes plaziert sich ein hochgewachsener, selbstbewußter, wuschelköpfiger und trockenhumoriger John Illsley neben mich. „Ich möchte deinen Job nicht machen. Es muß doch fast unmöglich sein, in so kurzer Zeit einen Eindruck von so vielen Leuten und Ereignissen zu vermitteln“ Das sind ja reizende Aussichten.

„Auf einer Tour fließt alles ineinander über Meist erinnert man sich später nur an Dinge. die mit den Auftritten gar nichts zu tun haben. Vielleicht ist es gut. einfach nur rumzusitzen und zu beobachten.“ Der Mann spricht mir aus der Seele.

Ex-Soziologie-Student Illsley ist neben Mark der einzige aus der Ur-Besetzung. Ein erklärter Bassist und irgendwie auch ein typischer; das verdeutlichen seine Körperbewegungen auf der Bühne.

John scheint ein engagierter und bewußt lebender Zeitgenosse zu sein, für den es an ein Wunder grenzt, daß einige Politiker sich tatsächlich Gedanken um Abrüstung machen. Allerdings glaubt er nicht an die Meldung, daß dank umweltverbessernder Maßnahmen wieder Lachse in der Themse schwimmen: „Die hat jemand gekauft, reingeschmissen und anschließend fotografiert. „

Am Tisch wird eifrig mit Manager Paul abgerechnet. John blickt in die Runde. „Im Grunde sind hier ein paar wenige Glückliche versammelt, die weitgehend ihr Leben, ihren Alltag bestimmen können. Genau das wollen eigentlich alle Menschen: arbeiten, leben und als Mensch akzeptiert werden.“

Mark Knopfler sitzt derweil ein wenig knurrig in der Ecke. Er hat sich über die Roadies geärgert. Speziell über jenen, dessen Aufgabe es ist, vom Umkleideraum bis zur Bühne den Fußboden mit weißen Pfeilen zu kennzeichnen, damit die Band auch in der abgedunkelten Halle ihren Weg findet.

Und was tat der Unglücksrabe? Erlaubte sich einen Scherz und ließ die weißen Pfeile vor einer verschlossenen Tür enden! Über so was kann Knopfler überhaupt nicht lachen..

Nach Kopenhagen und Berlin kann ich leider nicht mit. Dafür besteige ich zwei Tage später den Zug und fahre nach Kassel.

Während der Busfahrt zur Sporthalle stellt sich neben Alan Clark der zweite Keyboardspieler Tom Mandel vor – in deutsch:

„Meine Großmutter ist Deutsche. Ich komme aus New York und habe sechs Monate in Berlin gelebt. “ Tommies Freundin ist mitgekommen und verkauft während der Konzerte T-Shirts.

Am Bühneneingang warten die ersten Fans, und in der Halle ist bereits der 13jährige Thomas mit seinen Eltern Sie begrüßten die Band schon in der Hotelhalle, denn Thomas hat seinem Idol Mark Knopfler schon einmal vorgespielt.

Die Eltern können wahrlich stolz auf ihren Filius sein. Er spielt seit fünf Jahren Gitarre und kann seinen Knopfler-Stil aus dem Effeff. Mark nimmt Thomas zum Soundcheck mit auf die Bühne, zeigt ihm den Schlagzeugaufbau, gibt ihm seine Gitarre. Ohne zu zögern spielt der Junge, daß allen Mund und Ohren offenstehen. Später im Konzert steht Thomas hinten beim Mischpult auf einem Stuhl und spitzt die Ohren. Seine Eltern halten sie sich zu.

Paul nimmt mich mit zum Allerheiligsten: Den Garderoben und der Küche, die gleichzeitig als Speiseraum dient. Alle essen hier, die Truckfahrer, Mixer und Roadies, die Band, Mark Knöpfler, Paul, alle.

Das macht sicher einen Gutteil der unglaublich angenehmen Stimmung aller Beteiligten untereinander aus. Immerhin beläuft sich die Crew auf 32 Mann, dazu kommen die Küchendamen, Tourmanagement und Band. Die Küchendamen, das sind Rose, eine hübsche, brünette Engländerin, die ehemalige Krankenschwester Jean aus San Diego/Kalifornien und die Seele des Leiblichen, Lorraine.

Lorraine ist Halb-Österreicherin, ihr Tafelspitz ist unübertroffen; sie sorgte schon für die Band, als sie noch im Übungsraum waren. Sie hat ihr Versorgungs-(=Catering)Unternehmen selbst organisiert, kochte für Chris de Burgh, Shakin‘ Stevens und Madness: „Die nannten mich Mama.“

Jeden Abend vor dem Aufbruch zum nächsten Ort und jeden Morgen bei der Ankunft zaubern die Mädchen mit einer unerschütterlichen Ruhe und Liebenswürdigkeit Sandwiches auf den Tisch.

Und nicht nur das! Jeder bekommt auch sein Lieblingsbrot mit dem jeweiligen Namensschildchen versehen. “ Was wollte Jack noch? Stimmt. Kalte, gekochte Kartoffelscheiben mit Tomate. Kein Problem.“

Während ich warte, bis der Tee-Verantwortliche die Becher für die Crew füllt, höre ich einen Roadie; „Komische Tour. Ich war seit Tagen noch nicht einmal richtig blau.“

Altmodische Exzesse der berühmt-geschmähten Rock ’n‘ Roll-Attitüde aus den bösen 60ern und 70er Jahren gibt’s hier tatsächlich nicht. Bei einer derart aufreibenden Riesenreise wie dieser dürfte die „Live-fast-dieyoungr‘-Philosophie früherer Rockhelden allenfalls gesundheitsschädlich sein. Und ginge ganz sicher auf Kosten der Konzerte, respektive des Publikums.

Folglich herrscht freundlich ausgeglichene Stimmung, keine verbissene Star-Hektik. Die positive Atmosphäre ist faszinierend und vermittelt dem Beobachter schon nach kurzer Zeit Wohlgefühl. „Na, dann woll’n wir mal. Kommst du mit 0 “ Soundcheck. Die Probe vor dem Konzert hat logischerweise einen wesentlich intimeren Charakter als die große Show am Abend. Hai: „Eigentlich probieren wir am Gesamt-Sound nicht so entscheidend herum. Der muß stehen. Das ist mehr ein Warmspielen. “ Ein konzentriertes Warmspielen, unterbrochen von kleinen, komischen Klang-Mätzchen.

Terry, Paul und ein paar der zähen englischen Roadies spielen in der Zeit bis zum Gig Fußball, „zum Auflockern.“ Die von den Sound-Mixern zusammengestellten Cassetten tönen aus der noch leeren Halle: Stones, John Lennon, Supremes, Al Green.

Türen auf, die Leute strömen rein, noch eine Stunde bis Konzertbeginn, Ich hocke irgendwo auf einer Kiste und mache Notizen. John Illsley leidet ein wenig. Mark Knopfler nutzt nämlich die Zeit vor jeder Show, um in ihrer gemeinsamen Garderobe bei Mel Collins Saxofon-Unterricht zu nehmen. „Glücklicherweise lernt er nicht Violine!“

Paul stellt mir Kevin vor, der gerade seine Feuerprobe als Tourleiter besteht. Paul soll im Grunde nur beobachten, ob alles so läuft, wie es laufen muß und leidet darunter, „nichts richtiges zu tun zu haben.“

Und Kevin scheint seine Sache hervorragend zu meistern. Hai:

„Er ist wundervoll, jedes Mal, wenn du denkst, das und das wäre wichtig, hat er’s schon erledigt. „

„Ladies and Centlemen! Will you please welcome; The Dire Straits!“ Los geht’s.

Das Licht ist traumhaft. Chas war Tonmixer, bevor er sich dem Licht-Pult zuwandte. Schon bei den ersten Demos der Straits saß er an den Knöpfen. Später mixte er auch die Klänge live, bis er einsah, daß er mit Lichtreglern besser umgehen kann. Sein größter Stolz. Scheinwerfer, die die Farben in sich ändern können, z. B. von Gelb in Violett.

Chas mischt die Scheinwerfer so, als ob er Musik mixen würde. Er wippt und tänzelt voller Hingabe an seinem Pult.

Am Nachbarpult beaufsichtigt Jeffrey die komplizierten Klangmechanismen. An einem der drei Pulte ist eine Warnleuchte befestigt. Mehrfaches Flackern bedeutet: Mit Terrys Schlagzeug stimmt was nicht. Anhaltendes Lichtsignal heißt, Mark hat Probleme mit seiner Gitarre.

Jeff reagiert unglaublich schnell, ist begehrt ob seiner Regelkünste, sei es bei Joan Armatrading, den Talking Heads oder eben hier. Jeff über Jeff: „In meinem Irrsinn liegt Methode.“

Der Kasseler Gig ist gut, bis auf zwei Rückkopplungen . Das Publikum ist zufrieden. Thomas Wessel schreibt am 17.5. in der Hessisch – Niedersächsischen Allgemeinen: „… ein fehlerfrei abgespultes Programm, ein Konzert wie aus der Videospule.“

Anschließend sind alle vom Tourveranstalter Marek Lieberberg ms „einzig offene Restaurant Kassels, das noch geöffnet hat“, eingeladen. Muntere Stimmung, der sonst so stille Mel geht richtig aus sich heraus.

Am nächsten Tag um 11 Uhr Wecken, Schwimmen, Frühstück. 12 Uhr Abfahrt Richtung Köln.

Den armen Alan Clark hat’s erwischt: Schnupfen, Halsweh, die ganz dicke Grippe. Er wird in Decken eingepackt und schläft.

„Hoffentlich wird’s nicht schlimmer.“

Hai, Gitarrist aus Leidenschaft, spielt während der gesamten Fahrtzeit von 2 1/2 Stunden auf seiner „Ovation“. John zupft auf der seinen eine Weile mit.

Tommie, plauderfreudig wie alle New Yorker, will alle möglichen deutschen Begriffe wissen:

„Wie heißen diese gelben Felder?“ – „Rapsfelder“ – „Tolles Wort, Raps.“

In Köln scheint die Welt unterzugehen. Regengrau. Alan geht’s nicht besser, alle machen sich Sorgen. „Nicht auszudenken, wenn er ausfällt!“ Kurz ins Hotelzimmer, dann der Anruf “ Um 5 Treffen in der Halle. „

Auf der kurzen Fahrt zur Sporthalle stellt sich Barry vor. Er steht Kevin zur Seite und macht bei einem derartigen Unternehmen zum ersten Mal mit. „Paul ist ein Freund von mir und hat gefragt, ob ich Lust hätte. “ Es macht ihm Spaß, obwohl: „Ich fange an, meine Freundin zu vermissen. Und meinen Pub . „

Nach dem Soundcheck erzählt Saxofonist Mel Collins, wie sehr er die Atmosphäre dieser Tour schätzt. „Ganz anders, als z B. damals bei King Crimson. Das war so ausgedreht, daß wir am Schluß alle Wracks waren. Ich sollte einmal ein Interview geben und konnte plötzlich nicht mehr sprechen! Kurz vorm Nervenzusammenbruch. Das kann hier nicht passieren.

Nur bin ich etwas frustriert, weil ich pro Gig nur bei 3 1/2 Stücken spielen kann „

Das Köln-Konzert ist riesig. 8000 jubeln, daß einem die Armhärchen zu Berge stehen. Martin Woltersdorf schreibt am 18.5. im Kölner Stadtanzeiger: „Girlanden aus Tönen schweben im Raum.“

Schade, daß er das Licht nicht mitbekommen hat.

Allmählich fangen alle an, ihre Frauen/Freundinnen zu vermissen. Paul meint dennoch, daß „touren eigentlich eine Geschichte für Jungen“ sei. „Was willst du schon nach einem Konzert machen? Ein bißchen rauchen, ein paar Bierchen trinken, vielleicht einen netten Porno im Bus gucken. Das geht mit Frauen schlecht.“ Aha.

„Außerdem muß bei einer Tour jeder etwas zu tun haben. Sonst nervt’s.“ Stimmt.

Auf der Fahrt zum Hotel muß die Band den Crew-Bus benutzen, weil ihr eigener schon nach Wien vorausfährt. Ich sitze schon eine ganze Weile ziemlich weit hinten, keiner hat mich bemerkt.

Schwupp, legt der zuvorkommende Fahrer einen jener Filme in den Videorecorder, dessen Betrachten Paul in weiblicher Gesellschaft als problematisch empfindet. Kommentare: „Kann nicht mal einer die Vorhänge zuziehen, was sollen die Fans denken.“ Oder. „Diese Stellung mag ich am liebsten.“ Und: “ Verdammt lange her, daß ich das letzte Mal…“ Ich könnte mich kringeln. Paul muß beim Aussteigen auch lachen, nur dem höflichen Alan ist die Sache furchtbar peinlich. Er entschuldigt sich.

Vier Tage später in Ludwigshafen. Alan hat inzwischen John, Kevin und Hai angesteckt. Alle sind ziemlich müde, dazwischen lagen zwei Mal Wien, Linz, München und Frankfurt.

Tommie steuert in der Hotel-Halle auf einen Flügel zu und spielt völlig versunken Klassisches: „Ein Flügel ist doch was Tolles.“

Wieder Soundcheck. Ein Brummer in Marks Gitarre nervt. Alle sind logischerweise etwas gereizter als zu Beginn. Die Roadies machen nur Blödsinn. „Das ist immer so, wenn die Tour auf der Mitte ist.“

Kurze Aufregung, Paul schmeißt den örtlichen Veranstalter aus der Halle! Vor vier Jahren hatte der ein krummes Ding versucht, und das sollte man offenbar nicht mit einem Mr. Cumins versuchen. Paul. „Das Dumme ist nur, daß ich mich aufrege.“

Die Band ist total sauer, als bei Konzertbeginn keiner die Türen schließt. Aber sonst geht alles glatt. Das Publikum reagiert zwar ziemlich spät, aber am Ende sind doch alle wieder verzückt.

Und Maestro Mark? Der ist offensichtlich heilfroh, daß ich ihn während der ganzen Zeit nur ein einziges Mal angesprochen habe. Vor Antritt der Reise hatte ich hoch und heilig versprechen müssen, ihn nicht in ein Interview zu verwickeln.

Jetzt, nach dem letzten Deutschland-Konzert im Restaurant, redet er über verschiedene Harmonien, über die Band und die Crew („Zur Zeit die beste, die es gibt). Wir unterhalten uns darüber, warum Nena in Deutschland so riesigen Erfolg hat.

Am Frankfurter Flughafen trennen sich die Wege. Die Gruppe fliegt m die Schweiz, das Ende des ersten „Tour-Beines“ steht bevor. Dann eine Woche Pause in England, und weiter geht’s. Ich wäre gern dabei. Und in Hamburg müßten sie tatsächlich nochmal spielen – in einer anderen Halle aber.