Titelgeschichte

Prince und die 90er: Pop-Genie auf Sinnsuche


Die 90er-Jahre waren keine leichte Zeit für Prince. Das Jahrzehnt war geprägt vom Streit mit seiner ehemaligen Plattenfirma über die Rechte an seiner Musik. Aus dem Meister war ein Sklave geworden, aus dem Popwunderkind der 80er-jahre ein Sinnsuchender. „EMANCIPATION“ sollte 1996 den Neuanfang markieren. Es ist das Album, bei dem er zum ersten Mal in der Lage war, seine künstlerische Vision kompromisslos umzusetzen. Es ist aber auch ein Dokument der geplatzten Träume. Nun wird es erstmals angemessen gewürdigt.

EMANCIPATION war jenes Album, das Prince ganz nach seinem Plan veröffentlichen konnte. Mit der Song­liste, die ihm vorschwebte, und im Sound, der ihm passend schien. Und wie viel er mitzuteilen hatte: Das Werk umfasste drei CDs mit jeweils zwölf Songs und exakt 60 Minuten Länge. 180 Minuten Gesamtspielzeit. Zwar wurde die Platte kein Hit, dennoch wurde Prince in den USA mit Doppel-Platin für mehr als eine Million Verkäufe ausgezeichnet. Jedes verkaufte Album musste mit dem Faktor drei multipliziert werden, weil EMANCIPATION eben aus drei Tonträgern bestand. Dabei interessierten den Künstler solche Erfolge nur bedingt. Vielmehr konnte er sich jetzt den Traum erfüllen, der ihm neun Jahre zuvor, mit dem oftmals als größtes Album der Achtziger gefeierten SIGN O’THE TIMES, verwehrt geblieben war. Prince wollte das Album 1987 als Dreier-LP/CD herausbringen. Auf Druck seiner Plattenfirma wurde es zum Doppelalbum heruntergekürzt. Argument: Als 3er-Set wäre es im Handel zu teuer angeboten worden. Diese Vorgabe empfand Prince als Eingriff in seine Freiheit, als Zensur, und die hat er dem Label bis zum Ende seines Vertrags nicht verziehen.

Prince (TAFKAP) + Mayte Garcia, Den Bosch 1995

Der Weg zu EMANCIPATION beschreibt einen einmaligen Reifeprozess. Keine zwei anderen Platten aus dem Katalog von Prince, der zwischen 1978 und 2016 auf gigantische Größe angewachsen war, dokumentierten eine derartige Entwicklung. Aus dem sex­besessenen Sänger wurde eine Dekade später ein verliebter Ehemann, der kurz vor der Familiengründung stand. 1987 brüllte er noch „I want to do it baby every day, all right / In a bed, on the stairs, anywhere, all right“. Wen er auf dem Bett, den Stufen, einfach überall beglücken wollte, war nicht wichtig. „It“ drehte sich nur um sein Ego. 1996 aber wünschte Prince sich „Let’s have a baby / What are we livin‘ for?“ Es ging um neue Prioritäten, die plötzliche Dringlichkeit eines Vermächtnisses – aber nicht eines, in dem noch immer er im Mittelpunkt stand, sondern eines, das in einem anderen Menschen weiterleben sollte.

Was ging plötzlich im Gefühlsleben von Prince vor? Die Geschichte von EMANCIPATION erwies sich nicht nur als die eines Musikers, der die Kontrolle zurückerlangte und nach seinem Weg suchte, seine Alben so umzusetzen, wie sie ihm vom ersten Gedanken an vorschwebten. EMANCIPATION ist aus zwei weiteren Gründen einzigartig. Es ist seine romantischste Platte. Einerseits. Andererseits ist sie mit Blick auf das, was sich kurz vor der Veröffentlichung am 19. November 1996 zutragen sollte, auch seine todtraurigste Platte geworden. Unfreiwillig, weil Prince über anstehende Elternfreuden sang – und bei den Aufnahmen nicht wissen konnte, dass auf das Glück bald eine Tragödie folgen würde. Im Rückblick sind Lieder wie „Friend, Lover, Sister, Mother/Wife“ schwer zu ertragen.

Sie war 16, er war 32

Am Valentinstag, dem 14. Februar 1996, er steckte gerade mitten in den Aufnahmen zum Album, trat Prince vor den Traualtar. Es war eine schnell anberaumte Hochzeit. Den Heiratsantrag hatte er kurz zuvor gemacht, am Telefon. Eine Villa auf einer Insel in der Sonne war auf die Schnelle nicht zu bekommen, also arrangierte er die Feier zu Hause im Paisley Park in Minneapolis, im kalten Winter von Minnesota. Seine Angetraute war die 22-jährige Mayte Garcia. Sie war Mitglied seiner Band The New Power Generation. Kennengelernt hatte er die Tochter puertoricanischer Einwanderer, als sie 16 war. Da war er 32. Garcia, seit Kindesalter begeisterte Tänzerin, ließ ihm während seiner „Nude Tour“ eine VHS-Kassette mit ihren Bauchtänzen zukommen. Prince war angetan und lud Mayte (und deren Mutter im Schlepptau) zu Konzerten ein. Es entwickelte sich eine Freundschaft, die von Gesprächen in Hotelzimmern nach seinen Gigs geprägt gewesen sein soll. In diesen vier Wänden war die Mutter nicht mehr anwesend. Die Eltern vertrauten Prince, öffentliche Auftritte mit der Minderjährigen wären dagegen undenkbar gewesen.

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In ihrer im vergangenen Jahr erschienenen Autobiografie „The Most Beautiful Girl“ legt Garcia Wert auf die Feststellung, dass er ihr keine Avancen gemacht habe, solange sie noch nicht volljährig war. Ein gelegentliches Liebespaar wären sie damit frühestens von 1991 an gewesen. Gewisse Freiheiten waren dem Liebhaber weiterhin zuzustehen. Das Image von Prince als Verführer, der nichts anbrennen ließ, hatte noch Bestand. Mit der Eheschließung und dem Willen zur Treue wollte er sich nicht nur als Mensch, sondern auch als Musiker neu positionieren. Mayte bezeichnete er als seine Seelenverwandte, das EMANCIPATION-Album sollte ihr gewidmet sein. Er komponierte es für sie – und für seinen ungeborenen Sohn Amiir.

„Amiir“ stammt aus dem Arabischen und bedeutet „Geschenk Gottes“ oder „Prinz“. Auf den mehr oder weniger naheliegenden Namen kamen Mayte und Prince in einer ihrer Sessions, in denen er seine Frau angeblich hypnotisiert hatte. Amiirs Geburtstermin war für den November angesetzt. Er musste jedoch per Kaiserschnitt schon am 16. Oktober geholt werden. Erst bei der Geburt des Jungen wurde festgestellt, dass das Kind unter dem Pfeiffer-Syndrom litt – ein Gendefekt, der zu Fehlbildungen am Körper sowie lebensbedrohlichen Fehlbildungen in den Organen führt. Amiir kam auf die Welt, und er litt augenblicklich unter seinem Leben. Falls er auch ohne Beatmungsgerät leben könne, legten Prince und Mayte fest, dann sei das Gottes Wille. Falls nicht, dann auch. Das Beatmungsgerät wurde nach sechs Tagen abgestellt. Amiir starb sieben Tage nach seiner Geburt. Prince ist seit dreieinhalb Jahren tot, er kann nicht mehr über diese Krise berichten und hat es damals auch nicht getan. In ihren Memoiren skizziert Garcia eher das Bild eines Ehemannes, der, gerade nach dem Tod des Jungen, zwischen religiös motivierter Schicksalsergebenheit und kompletter Überforderung als Partner changierte. Eine von den Ärzten dringend angeratene Fruchtwasseruntersuchung, die auf den Gendefekt Amiirs hätte hinweisen können, habe er verhindert: „Was auch passieren wird, es liegt in Gottes Hand.“

Prince plante ein Konzeptalbum mit Happy End als Vater und Ehemann – und dann kam ihm das echte Leben in die Quere

Die Eheleute entfremdeten sich bereits, als EMANCIPATION, die Familien-Chronik, rund einen Monat später veröffent­licht wurde. Schon zwei Tage nach Amiirs Tod gab Prince ein Konzert. Es war wohl seine Art zu trauern. Später fand Mayte Weinlachen und Erbrochenes auf den Fußböden seiner Gemächer. Sein Musikerleben lang strebte Prince nach Kontrolle, und auch seine Vision für diese Platte war unverrückbar. Prince, der in einer Märchenwelt zu residieren schien, plante ein Konzeptalbum mit Happy End als Vater und Ehemann – und dann kam ihm das echte Leben in die Quere. Niederlagen sollten darin keinen Platz haben.

Prince 1995

Prince war kamerascheu, aber er gab einige wenige Interviews. Das erschütterndste fand im Rahmen der EMANCIPATION-Promotion statt, eine Woche nach Amiirs Tod. Prince wollte den lange geplanten TV-Termin mit Oprah Winfrey, die mit ihrer Talkshow die Nummer eins des Landes war und ein Millionenpublikum vor den Bildschirm holte, nicht absagen.
Zu diesem Zeitpunkt wusste die Öffentlichkeit schon, dass sein Kind geboren wurde. Aber noch nicht, dass es tot war.

Foto Rob Verhorst Redferns
Mick Hutson Redferns