Schluss mit lustig


Nach Jahren im Drogennebel wettern Primal Scream auf ihrer neuen CD nun gegen politische Missstände und entdecken den Agit-Rock für sich.

Bei Primal Scream kommen und gehen Veränderungen im Handumdrehen. Gitarrenpop, Acid House, amerikanisierter Roots-Rock, teuflische Dub-Ekstasen – das alles haben die Jungs um den hageren Schotten Bobby Gillespie schon durch. Auf ihrem neuen Album „Xtrmntr“ hat die Band nun ihre Leidenschaft fürs agitatorische Lied entdeckt. Noch nie klangen Primal Scream so wütend. „Es tut mir einfach in der Seele weh, die Folgen der zerstörerischen Politik Thatchers jeden Tag mit ansehen zu müssen“, setzt Gillespie an.“Kein Mensch in England kümmert sich mehr um Politik, weil es nur noch ums nackte Überleben geht. Der Gemeinschaftssinn ist zerstört, es gibt immer mehr Gewalt, die Wirtschaft ist kaputt. Auch die neue Regierung drischt ständig auf die Armen ein, indem sie zum Beispiel Krankenhäuser schließt. Es gibt keine Gewerkschaften mehr und keine Linksopposition. Und niemand hat die Kraft, sich dagegen zu wehren.“Was auf die Popmusik bezogen schwer abzustreiten ist. Kaum jemand schreibt mehr politische Songs. Primal Scream schon: „Im Titelsong des Albums fordern wir zu zivilem Ungehorsam auf. Man muss kämpfen. Irgendwann muss es doch ein Ende haben, dass die bürgerlichen Freiheitsrechte in unserem Land den Bach runtergehen.“Mitgefühl hätte man von Primal Scream nun wirklich nicht erwartet. In der Vergangenheit zelebrierten sie das Chaos, dröhnten sie sich in eine andere Dimension und trafen sich auf Partys, nicht auf Parteitagen. Gillespie legt indes Wert auf die Feststellung, schon immer politisch motiviert gewesen zu sein: „Die Songs ‚Movin‘ On Up‘ oder ‚Come Together’waren sogar hochpolitisch – nur auf andere Weise. Ausgangspunkt damals war natürlich die Acid House-Szene, die sehr lustbetont war. Natürlich haben die Leute – inklusive uns – mit Ecstasypillen nur so um sich geworfen. Aber es ging auch darum, Leute zusammenzuführen. Das war damals eine große Leistung. Thatcher hatte Misstrauen unter den Menschen gesät. Arbeiter flüchteten sich verängstigt ins Privatleben und waren froh, wenn sie nicht entlassen wurden. Acid House war die Antwort auf diese Einschüchterungspolitik. Man wollte wieder zusammen feiern, nicht alleine.“ Auch heute sind Primal Scream keine Kinder von Traurigkeit. Doch es gibt auch Zeiten, da haben sie einen klaren Kopf. Gillespie: „Selbst auf dem Höhepunkt unserer üblen Heroinphase vor acht Jahren haben wir Benefizkonzerte für entlassene Minenarbeiter gegeben. Das Bewusstsein für diese Themen war bei uns schon immer da. Aber wir hatten nie einen Weg gefunden, politische Ideen in Songs auszudrücken. Inzwischen sprudelt es aus uns nur so heraus. Wir haben verstanden, wie es geht. Das ist der große Triumph auf der neuen Platte.“ Die Single „Swastika Eyes“ („Hakenkreuz Augen“) heißt in Deutschland „War Pigs“, weil man es hierzulande verständlicherweise vermeiden will, missverständliche Bezüge zum Dritten Reich herzustellen. „Ich kann die Umbenennung hier in Deutschland schon verstehen. Nachher glaubt womöglich jemand, wir seien Faschisten. Das wäre das Schlimmste“, erläutert Bobby Gillespie,“aber man kann sagen, was man will: Was derzeit in der Welt abläuft, ist für mich schleichender Faschismus. Multinationale Konzerne haben alles m Griff. Wer dann in der Öffentlichkeit eine andere Meinung gegen diese Konzerne und ihre Interessen vertritt, wird durch Nichtbeachtung mundtot gemacht. Deshalb interessiert man sich lieber für die Befindlichkeiten von Posh Spiee oder irgendwelche verdammten Seifenopern.“Wie aber ist .Xtrmntr“ inmitten der geballten Wutausbrüche stilistisch einzuordnen? Ist es Rock oder Dance, Punk oder Discojazz oder Techno? „Für mich ist es Musik. Es ist mir wirklich egal, wo diese Musik herkommt. Es könnte James Brown oder auch Can sein. Irgendwo auf der Welt erscheint immer gute Musik. Und nur das zählt.“