The Beach Boys smile


Warum das Opus Magnum von Brian Wilson grandios gescheitert ist.

Eine der größten Legenden der Rockgeschichte beginnt im Dezember 1965. Da erscheint in den USA das Album Rubber soul der Beatles. Brian Wilson, Sänger und Songwriter der Beach Boys, traut seinen Ohren nicht. Das Album funktioniert als musikalische Einheit, stellt keine lose Sammlung von Songs dar, wie damals üblich. Es beginnt das, was Wilson im Dezember 2001 im Interview mit dem musikexpress einen „freundschaftlichen Konkurrenzkampf“ zwischen den britischen Beatles und den amerikanischen Beach Boys nennt. Wilson fühlt sich durch Rubber Soul herausgefordert: Im Mai 1966 erscheint das Beach-Boys-Album Pet sounds. Es setzt neue Standards in Songwriting, Aufnahmetechnik, Instrumentierung, Arrangement und führt seither die einschlägigen Listen mit den besten Alben aller Zeiten an. Paul McCartney und Beatles-Produzent George Martin sind hin und weg von dem Jahrhundertalbum, das das Aufnahmestudio als zusätzliches Instrument in die Popmusik einführt. Später wird Martin sagen:

„Ohne pet sounds hätte es sgt. peppers nicht gegeben“.

Mit dem Nachfolger von pet sounds will Wilson seine Arbeit aufs nächst höhere künstlerische Level heben. Es soll eine „Teenage symphony to God“ in drei Sätzen werden, ein Album, das inhaltlich (eine musikalische Reise von der amerikanischen Ost- zur Westküste) und musikalisch einem Konzept folgt. Wie die Mini-Pop-Sinfonie „Good Vibrations“ vorher soll es in Cut-Up-Technik entstehen: Die Arrangements werden in einzelne Mini-Takes aufgeteilt und später zusammengeführt. Ab April 1966 schreibt Wilson zusammen mit dem Komponisten und Texter Van Dyke Parks die Mehrzahl der Songs für das Album, das den Titel „Smile“ tragen soll. Im August beginnen die Aufnahmen mit den Beach Boys und zahlreichen Studiomusikern in den Gold Star Studios in Los Angeles und zwei weiteren Aufnahmeorten. Dabei entsteht eine wundersame Mischung aus Pop, musique concrete, Chorgesängen und Orchesterarrangements. Die Aufnahmen ziehen sich bis Dezember 1966 hin. Wilson, der in seiner künstlerischen Unsicherheit nicht nur die Beatles, sondern auch Phil Spector und Bob Dylan als Konkurrenten sieht, steht sich selber im Weg.

Sein Perfektionismus mündet in Zweifeln über die Qualität seiner Kunst. Erste Anzeichen von Depression und Paranoia treten auf. Vorher schon wurden Panikattacken und ein paralysierendes Lampenfieber bei ihm beobachtet. Der exzessive Konsum von Marihuana, LSD, Speed und Beruhigungsmitteln ist seiner seelischen Verfassung nicht unbedingt zuträglich. Bei den anderen Beach Boys stößt das Projekt nicht auf Gegenliebe. Ihnen ist die Musik zu komplex im Vergleich zur naiven Frühphase der Band. „Sie wollten einfach mit den Surfsongs weitermachen. Sie hatten keine Lust, neue musikalische Welten su erforschen“, so Wilson 2001 im musikexpress. Sänger Mike Love spricht sich offen gegen „Smile“ aus. Vor allem stört ihn, der bisher viele Songtexte für die Band geschrieben hat, die Mitarbeit von Van Dyke Parks. Carl Wilsons Einspruch gegen seinen Einberufungsbescheid zur Armee und ein Rechtsstreit der Beach Boys mit ihrem Label Capitol über Tantiemenzahlungen verbessern die Stimmung nicht unbedingt. Pressesprecher Derek Taylor, der sowohl für die Beach Boys als auch für die Beatles arbeitet, spielt den Beatles ohne Wilsons Wissen Aufnahmen aus den Sessions vor. Das verunsichert ihn zutiefst. Schließlich drängt Capitol auf die Veröffentlichung des Albums. Im Dezember erhält das Label eine handschriftliche Tracklist (die Brian Wilson zugeschrieben wird, wahrscheinlich aber von seinem Bruder Carl stammt) mit den Titeln von zwölf Songs. Capitol beginnt mit der Produktion eines Klappcovers mit 12-seitigem Booklet. Im Januar 1967 werden 466.000 Cover gedruckt und Anzeigen für „Smile“ geschaltet. Als Brian Wilson dann im Autoradio die neue Beatles-Single „Strawberry Fields Forever“ hört, treffen ihn die musikalischen Fortschritte seiner Konkurrenten ins Mark. Er kapituliert.

Am 6. Mai 1967 lassen die Beach Boys verkünden, dass „Smile“ nicht veröffentlicht wird. Stattdessen erscheint im September smiley smile , das ein paar Songs aus den Sessions enthält. Es wird als künstlerischer Reinfall bewertet. „Smile“ wird im Lauf der Jahrzehnte zum berühmtesten unveröffentlichten Album der Musikgeschichte und Gegenstand unzähliger Bootlegs. Die Original-LP-Hüllen werden in den späten 80er Jahren von Capitol vernichtet. Heute sollen weniger als ein Dutzend

Exemplare existieren.

Relikte & Rekonstruktionen: Im Herbst 2004 erscheint das Album BRIAN WILSON PRESENTS SMILE, das in Zusammenarbeit mit Van Dyke Parks entstanden ist. Es gibt eine Ahnung von der Größe und Erhabenheit des Werkes, aber es bleibt lediglich eine Interpretation. Das Original der Beach Boys bleibt verschollen. Eine Annäherung an „Smile“ bieten die Alben Smiley Smile und Surf’s Up, auf denen Songs aus den Sessions veröffentlicht wurden, sowie das 5-CD-Set GOOD VIBRATIONS: THIRTY YEARS OF THE BEACH BOYS, das immerhin eine halbe Stunde „Smile“-Musik enthält.