Udo Lindenberg – Promotionminister der Panikpartei


Er sei eigentlich ein ganz normaler Knabe geblieben, äußerte sich Udo über Udo zu Steve. Und dann entwickelt er seine "panischen" politischen Vorstellungen. Der letzte Teil unserer Auszüge aus dem Rowohlt/"Panther"-Buch "Udo Lindenberg - Hinter all den Postern"...

Er sei eigentlich ein ganz normaler Knabe geblieben, äußerte sich Udo über Udo zu Steve. Und dann entwickelt er seine „panischen“ politischen Vorstellungen. Der letzte Teil unserer Auszüge aus dem Rowohlt/,JPanther“-Buch ,.Udo Lindenberg – Hinter all den Postern“… Steve: Hast Du dich mal (vielleicht in der Zeit, in der du wohl sehr stark reflektiert hast über das, was du machst) mit Medientherorie beschäftigt? Udo: Ich hab mir so ein paar Gedanken gemacht. Ich bin immer der Ansicht gewesen. daß man mit Songs allein nix verändern kann. Mit einem Film allein auch nicht. Daß es nur geht im Verbund mit anderen Kulturarbeiten. Öffentlichkeitsarbeitern und auch Politikern. Innerhalb eines langfristigen Konzepts. Steve: Und du würdest deine Sachen im politischen Vorfeld ansiedeln, auch gerade bei dieser jungen Zielgruppe, ja? Udo: Ja. Die Songs haben in den Köpfen vieler Leute wahrscheinlich die Folge, daß kritisches Bewußtsein entsteht. Steve: Das möchte ich erstmal … anzweifeln, zumindest diese Formulierung. Man kann glaub ich. als wissenschaftliche Tatsache nehmen: Medien (ob es min die“.Bild-Zeitung“ ist oder als Gegenbild deine Lieder) erzeugen nicht Meinungen und Einstellungen, sondern verstärken Vorhandenes. Die Theoretiker sind der Meinung, daß Einstellungen vorbereitet und erzeugt werden in den sozialen Umfeldern, in denen man lebt. Also in der Familie, durch die Erziehung, durch Eltern und Lehrer. (Ebenso in den Gruppen von Gleichaltrigen: Das heißt ,,peer-groups“ auf soziologisch.) Daß die dort vorbereiteten Einstellungen dann auf Mitteilung in Medien stoßen und dort verstärkt oder nicht verstärkt werden. Man kann also, wenn man medial arbeitet, nicht eine vorhandene Einstellung völlig zunichte machen. Das muß in der ,.peer-group“ oder in der Familie passieren. Man kann aber Kritikbereitschaft, die vielleicht in so einer Ratlosigkeit schlummert, wekken. Da sehe ich deine Funktion. Udo: Aber in Familie, Schulklassen, Freundeskreis bilden sich ja Meinungen. Da gibt’s ja Diskussionen. Okay, so’ne Bereitschaft zu kritischen Perspektiven oder so was…und die muß man ja beliefern, mit Anstößen, mit Impulsen, mit Fragen. Ich hab vieles reflektiert in meinen Songs. Ich hab versucht, ziemlich genau zu beobachten, und recherchieren, was so passiert. Wo die heavy Probleme ablaufen. Hab das dann in eine Sprache gebracht, in eine Form, die die Leute entweder zurückweisen, oder mal zur unverbindlichen Ansicht annehmen können. Kriegen vielleicht irgend’ne Zündung, mal darüber nachzudenken und sich etwas Klarheit zu verschaffen, Umwelt, Schul-, Arbeitssituationen etc. mal bewußter wahrzunehmen. Gibt nicht wenige, glaub ich, die Energien kriegen, sich zu wehren gegen blöde Autoritäten. Generallösungen hab ich in meinen Songs nicht drauf. Tabus knacken. Vorurteile wegmachen, Wecker klingeln lassen. Steve: Da ist immer noch der Widerspruch zwischen dieser immensen Vermarktung und dem kritischen Ansatz. Daß so ein Idealbild von dir ungeheuer angehimmelt worden ist. Wie bist du damit fertig geworden? Udo: Ich hab mich nie als“.Superstar“ empfunden, sondern ich habe immer sehr darauf geachtet, mich durch den Trubel und durch den Jubel da nicht verändern zu lassen. Das ist eigentlich gar nicht so sehr an mich rangekommen. Ich hab das immer nur gedeutet als ein Zeichen dafür, daß die Texte ankommen, daß viele Leute dieses Angebot zur Kenntnis nehmen. Darüber hab ich mich gefreut. Ich habe selbst also nicht aus irgendwelchen onanistischen oder Bestätigungsgründen… bin darauf nicht abgehoben. Ich bin eigentlich ein ziemlich normaler Knabe geblieben. Glaub ich. Soweit das möglichist: Natürlich laufen Veränderungen wie bei jedem im Laufe der Zeit. Und meine Lebenssituation ist natürlich auch doch ziemlich anders als die eines Arbeiters. Die Privilegien und die Schattenseiten des Jobs. Das bringt dann auch so’n paar Kauzigkeiten hervor, auch so eine Einsamkeit bringt das hervor. Steve: Diese Einsamkeit: Das ist ein Stichwort für mich, weil das, glaub ich, sehr weit unten anfängt und nicht erst bei Millionenerfolgen auftritt: daß man von Leuten funktionalisiert wird und nicht mehr weiß, geht der auf mich ein, weil er auf mein Ding Bock hat, oder denkt er, ich kann ihm irgendwie nützen? Udo: Muß man unterscheiden. Aber das kriegt man sehr schnell raus, wenn man nicht ein Typ ist, der sich gerne Honig um den nicht vorhandenen Bart schmieren läßt. Und sich ständig irgendwelche Süßgeschichten ins Ohr säuseln läßt von allen möglichen Schleimscheißern und Arschkriechern. Das habe ich nie geschätzt, und ich kann deswegen, glaub ich, sehr genau differenzieren zwischen den echten und den falschen Freunden. Steve: Freunden oder Freundinnen? Udo: Auch Freundinnen, die mit dem Poster bumsen und mit dem Urmenschen hähähä – also mit dem Menschen weniger was zu tun haben wollen, oder die mich und nicht mein Image meinen. Zwischen denen kann ich meistens gut unterscheiden. Udo: Im Frühjahr ’77 kam die „Sister King Kong“. Da wurde wieder mal unheimlich gestrampelt. Dann haben wir die „Panischen Nächte“ gemacht. Das war im Herbst ’77. Steve: Herbst ’77 war ja nun der ,»Deutsche Herbst“. Inwiefern habt ihr den mitgekommen? Schleyer-Entführung und -Ermordung. Die merkwürdigen Todesfälle von Stammheim. Mogadischu. Sondergesetze. Eigentlich hättest du dein Maul dann auch nicht mehr so aufmachen dürfen. Wie hat sich das ausgewirkt? Wie hast du das damals eingeschätzt? Udo: Ich habe mir natürlich auch gedacht, wir müssen unbedingt mal was unternehmen. Wenn das so weitergeht, dann kannst du irgendwann wirklich keine Songs mehr machen. Rennst mit ’nem Maulkorb rum. Dem muß man eben entgegenwirken. Ich werde keineswegs dezenter werden deswegen. Steve: Habt ihr euch damals in der aktuellen Zeit…Das waren einige Wochen, in dener wirklich kaum jemand sich getraut hat. irgendwas zu sagen. Da sind Schriftsteller wie Böll und Luise Rinser unglaublich durch die Scheiße gezogen worden, bevor es eigentlich richtig schlimm wurde, bevor es zu den ganzen Toten kam…Hat sich das bei euch irgendwie ausgewirkt? Die Angst, die damals umging? Udo: Es hat sich ausgewirkt wie bei vielen anderen Leuten auch, die so’ne Entwicklung mit großer Besorgnis sehen und so schnell keine Lösung finden, wie man gegen die rechte Dampfwalze ankommt. Das kann man nur, indem man ganz stabil bleibt und sich formiert und Gegenpower entwickelt. Und zwar muß die Power übern Kopf kommen. Irgendwann sollte man das auch wählbar machen. Da muß also die Partei kommen. Steve: Wie ernsthaft ist die Idee mit der „Panikpartei“? Jetzt mal ohne Kino, bitte! Udo: Ist mir sehr ernst. Ist allerdings äußerst problematisch, weil ich dazu nicht nur sehr viel Zeit brauche, nicht nur sehr viel Stabilität und Energie, nicht nur einen ständig ganz wachen Kopf. Ich brauche dazu viele Leute, die mit dabei sind. Oder viele Leute, die mich mit reinnehmen. Steve: Was für Leute stellst du dir da vor? Udo: Kulturleute, Politleute, aus allen möglichen Bereichen. Leute, die einen kritischen Kopf aufhaben und sagen: „So geht es eben nicht. “ Was machen wir mit der neuen APO, mit dem ganzen Potential, das es hier in der BRD gibt und das momentan noch zu ohnmächtig ist? All die guten Leute, die in den kleinen „Sektierergruppen“ sind und ständig nur an der Klagemauer auf und ab laufen. Können wir das nicht zusammenfassen? Können wir dann das Programm, das wir erarbeiten, die Forderung, die wir auf unseren großen Zettel schreiben… können wir das nicht einer breiten Bevölkerung nahebringen? Ich könnte mir den Lindi da als so’n ganz guten Promotionminister vorstellen. Steve: Ich geh jetzt davon aus, daß das Wort von der „Panik“-Partei mit dem Titel erst mal ein Schlagwort ist. Es hat Versuche gegeben: die Grünen und vor allen Dingen (weil’s ein sehr breites Spektrum war) die Bunten in Hamburg. Die eine Zeitlang auch ein Klima geschaffen haben: so eine kontinuierliche (was du vorhin gefordert hast) Volksfeststimmung. Die arbeiten immer noch weiter, aber ein bißchen reduziert. Wäre das vielleicht im Ansatz so etwas, wie du es dir vorstellst? Udo: Ja, wär’s. Ich habe damals mit den Bunten auch’n bißchen was zu tun gehabt. Ich habe damals unter anderem mitmit Holger (Strohm) hier zusammengesessen und mir überlegt, ob ich da einsteige oder nicht. Ich hab dem Holger allerdings damals gesagt:,,Ich glaube nicht, daß die Basis stabil genug ist. Es gibt da keine Grundsatzverbindlichkeiten.“ So ein politisch langfristiges Programm hatten sie eigentlich nicht. Es ging da mehr um Umwelt und Lehrer und Frauen und Gastarbeiter und Schwule und so weiter. Alles unheimlich wichtige Punkte, die da mit reingehören, aber das muß nach meiner Meinung auf einer verbindlichen Basis stattfinden. Und die gab’s nicht, weil Leute aus den verschiedensten Ecken dabei waren und einfach noch nicht dazu gekommen waren, ihren großen langfristigen Weg zu asphaltieren. Es war wirklich so’ne Art „melting pot“. Vor einer Sache hatte ich deswegen damals ’n bißchen Angst: Wenn eine Gruppe wie die „Bunte“ reinkommt in die Bürgerschaft und nach ein paar Monaten dann wegen krasser innerer Widersprüche wieder platzt. Weil das viel vom Vertrauen wegnimmt, das die Befölkerung entwickeln müßte für so eine Randgruppe, die ja nicht eine Randgruppe bleiben, sondern eben die große Alternative werden soll. Die Leute müssen den Eindruck haben, wenn sich da jetzt welche zusammenschließen, das ist von einem ganz stabilen politischen Fundament. Steve: Dieses „stabile Fundament“, wenn wir jetzt alle Werbegags mal außen vorlassen, kannst du ja auch nicht erstellen. Besonders nicht mit deiner sehr jungen Zielgruppe, die nicht einmal wahlberechtigt ist. Wie könnte man das trotzdem machen? Hast du da Vorstellungen? Udo: Ja. Ich glaube, daß es gut wäre, jeden Monat ein Treffen zu veranstalten und dazu die Leute einzuladen, von denen man viel hält. Da denke ich auch an Leute von diversen linken Gruppen. Da denke ich an Leute wie Eggebrecht, da denke ich an Venske, Meysenbug, Parnass, denk ich an Königstein, Schulze, Gremliza, Peinemann, ach, da fallen mir so viele ein(allein schon in Hamburg), Schriftsteller wie Böll, Kulturmacher wie Fritz Rau und und und. An all die. Es gibt so wahnsinnig viele…daß man sich zusammentut und mal feststellt, wie viele Gemeinsamkeiten es da gibt. Also da gibt’s bestimmt ’ne ganze Menge. Eins haben wir ja (und das sollte uns sehr verbinden): was wir nicht wollen, wogegen wir uns wehren müssen. Das gibt’s ja. Das ist ganz massiv da. Zum Beispiel weitere Einschränkungen diverser Grundrechte, weitere Schnüffelpolitik, weitere Entfremdung (auch durch Verstecksprache) zwischen Politikern und Volk, weitere Entdemokratisierung, weiteres Kaputtmachen der Umwelt. Da kann ich jetzt viel aufzählen, oder das kannst du auch. Das können all die Leute, die so gemeinsame Wunschvorstellungen von diesem Land haben, aber trotzdem noch nicht zusammen arbeiten. Steve: Zu dieser negativen Abgrenzung gegenüber politischen Gegnern schreibt 1978 am 20. Mai jemand unter dem intelligenten Pseudonym „Discophilibus“ in der „Welt“:,, Da Lindenberg natürlich noch im vormarxomanischen Standpunkt des puren Negierens verharrt, sagt er auch nicht, was, wie, wann, wo anders werden soll. So bleibt seine Rock-Revue bei der Teldec nichts als ein Beleg für die Sackgasse, in die die deutsche Rockhoffnung von gestern geraten ist.“ Außer über die verheerende Grammatik kann man über diesen Pseudonymen Herrn nicht so sehr streiten, weil das eben der Standpunkt des Hauses Springer ist. Aber nun zeigt sich ja, wenn man sich zusammentut gegen etwas, wenn man den bekämpften Zustand beseitigt hat. daß es dann irgendwie weitergehen muß. Oder, wenn man sich kurzfristig für ein Projekt zusammentut, daß ganz schnell die Luft raus ist. Wie kann man dem begegnen? Wenn sowas die „Panikpartei“ tatsächlich zu politischem Einfluß kommen würde, dann wären ja Sachkompetenzen erforderlich und ganz kontinuierliches Arbeiten. Wie siehst du das als „Wirklichkeit“? Udo: Damui> man sehen, welche Leute da sind. Welche Leute bereit sind, kontinuierlich zu arbeiten, also lange dabeizusein. Das wollen ja wohl auch die meisten. Einfach nur so’n kurzes Abenteuer einzugehen, daran sind die ernsthaften Leute kaum interessiert. Ich glaube, daß Elemente einer konsequenten Demokratie sehr gut vereinbar sind mit den etlichen guten Elementen eines leider noch lange nicht erreichten Kommunismus oder irgendwann auch mit einer letzlichen „Anarchie“: Wo wir gar keine Politiker mehr brauchen, keine Regenten.