Zwischen den Stühlen


Sein Stammplatz auf der Sonnenseite deutscher Rockgeschichte schien gesichert: Kritikerlob und Publikumszulauf, gute Verkäufe und Chartsnotierungen. Wer hätte da nicht das einmal gefundene Rezept aufgekocht, eine ruhige Kugel geschoben und auf Nummer sicher gemacht? Viele, nicht so Maahn.

Wir sitzen im Büro von Pütz & Pütz, den beiden Maahn-Verlegern. Makrobiotiker Maahn, dürr, fahl, bei einer Größe von einsneunzig gerade 68 Kilo schwer, raucht. Irgendein Laster braucht selbst dieser Mensch. Auf dem Tisch liegt der Coverandruck von WAS?, Maahns aktuellem, wieder in deutscher Sprache gefaßtem Album. Es ist Dienstag, der D-day für die Chartnotierung. Denn jeden Dienstag abend werden per Telex die neuen Charts durchgegeben, und die Musiknation sitzt vor dem Ticker.

Wolf war mit WAS? ins Mittelfeld eingestiegen. Die anfangs zögerlichen Abverkäufe der LPs in den Plattenläden hatten sich laut einem Pütz dann ständig verbessert. Ob diese Entwicklung noch Wirkung zeitigen würde, war fraglich. Fraglich war auch, wie das Publikum auf den stilistisch-sprachlichen Zickzack-Kurs reagieren würde. Zur Erinnerung: Die letzte Maahn-Arbeit hieß THIRD LANGUAGE und war wie es der Titel schon andeutet – mit englischen Texten versehen.

Wenn Niedecken ein kölsches Cleverle und Grönemeyer ein integeres Bollwerk deutscher Seele ist, dann ist Maahn der Ausreißer, der Zauderer. Je mehr man ihn festlegt, desto eher will er die goldenen Fesseln abstreifen. Kümmern ihn eigentlich Verkaufszahlen und Charteinstieg?

„Ja und Nein. Leider sind die Charts sehr wichtig geworden. Man hat einfach mehr Möglichkeiten, wenn man chartet. Man kriegt bessere Leute, besseres Equipment, liefert bessere Shows ab.“

Maahn spricht bedächtig, die Antworten werden erkämpft, ergrübelt, erarbeitet. Maahn hat ganz eindeutig etwas gegen Klischees. Zum Beispiel gegen das vom „ewigen Geheimtip“. Er bevorzugt andere Begriffe. Als wir über die von vielen Kollegen betriebene Orientierung am Erfolgreichen und Erprobten sprechen, nennt er sich den „Ausbruchskönig . Als seine damalige Gruppe, die Food Band, in die Nähe von Steely Dan gerückt wurde und Maahn als Blue Eyed Soulsänger apostrophiert wurde, wandte er sich der deutschen Sprache zu. Als er in den „Deserteure“-Tagen als „bundesrepublikanischer Springsteen“ tituliert wurde und mit BISSE UND KÜSSE sein „rückblickend amerikanischstes Album“ veröffentlichte, waren die Weichen bereits gestellt: Maahn würde irgendwann die Erfolgsformel knacken und ausbüchsen.

Das ist dann kein Ausweichen, sondern Suche, das Gespür für ein Ziel, das er selbst nicht genau kennt.

Es ist kein Widerspruch, wenn er hintereinander sagt: „Ich gehöre zu den Etablierten, aber ich hatte immer das Bedürfnis mich abzugrenzen.“ Dann wieder: „Ich würde mich freier fühlen, wenn ich nicht in einem Atemzug mit den Etablierten in Deutschland genannt würde.“

Er gibt zu, daß er karrierestrategisch nicht besonders klug verfährt mit seinem Hin und Her zwischen Englisch und Deutsch. Aber Unsicherheit ist das nicht. Er empfindet auch keinen Neid gegenüber den Gallionsfiguren und Megasellern deutscher Zunge. Er möchte nicht immer dasselbe machen und dasselbe immer besser. Er suche nach Auswegen, Herausforderungen und bekräftigt dies mit einem markigen Satz:

„Das größte Abenteuer ist die Kreativität .. und vor diesem Hintergrund ziehe ich es vor zu experimentieren, mich zu verändern. Das ist mir wichtiger als viel zu verkaufen.“

Er wirkt – zumindest an diesem Abend wie der letzte ehrliche Mann. Doch was ist eigentlich das Gegenteil von clever? Was ist, wenn man dem Zuhörer sagt: „Letztendlich mache ich nur das, wozu ich Lust habe?“ Wo bleibt da das Publikum?

Jen halte“, sagt Maahn, viele Plattenkäufer für geschmacksverirrt. Das ist aber auch kein Wunder, wenn man 15mal am Tag ,Looking For Freedom‘ vorgesetzt bekommt.“

Wir fahren in gefährlichem Gewässer: Ist der durchschnittliche Käufer dumm?

„Nein, nicht dumm, aber verdummt. Doch auch dazu gehören zwei. „

Kann man denn an den Hasselhoffs dieser Welt vorbei, wenn sie aus allen Äthern dringen? Kann man abends anders, als den Knopf am Fernseher auf „Ein“ zu schalten.

„Es ist schon erstaunlich, was passieren kann, wenn man diese Kiste mal ausläßt. Entweder man entdeckt seinen Gegenüber neu, oder man begreift, daß man sich nichts zu sagen hat. Einer meiner Songs auf WAS? behandelt dieses Thema.“

Maahn gehört nicht zu den Songschreibern, die ihre persönlichen Probleme in Songs abhandeln. Niedecken, der teilweise bis zur Selbstentblößung geht, wenn er sich in einem Lied von seiner Frau verabschiedet, gehört zu den Authentischen. Maahn bietet Autobiografisches, wenn überhaupt, eher verschlüsselt an.

Das brachte ihm den Vorwurf ein, er habe stilisierte Feindbilder, z.B. in Person des Abteilungsleiters, der „La Coste“-Hemden trägt, des Villenbesitzers, des Pauschaltouristen. Überzeugender ist er dann, wenn er „Human interest“-Geschichten erzählt, so bei dem oben erwähnten „Keine Angst“. „Wie gesagt, es kann ein Abenteuer sein, den Fernseher ausgeschaltet zu lassen. Und die Kunst besteht darin, diese Abenteuer in seinem Alltag zu schaffen. „

Maahn raucht, überlegt, auf der Luxemburger Straße fließt der Abendverkehr in die Vorstadt. Maahn macht, was alle Musiker machen: Er schwärmt von seiner Band, erzählt, daß er bei den THIRD LANGUAGE-Konzerten doch die Kommunikation vermißt habe, die in Deserteure-Zeiten vorhanden war. Dieses Kapitel übrigens, das sich in sechsstelligen Verkaufszahlen niederschlug und Maahns bekannteste Periode darstellt, wurde abgeschlossen, als „die drohende Gefahr bestand, daß es kompromißlerisch und langweilig hätte enden können.“

Wir reden über das angstbelastete, vorurteilsbeladene Verhältnis der Pop-Medien zu den deutschen Musikern, über die Außenorientierung der hiesigen Musiker: „Es werden auf beiden Seiten grobe Fehler gemacht. Von den Demos, die ich zugeschickt bekomme, sind allerhöchstens zehn Prozent brauchbar.“

Was würde Wolf machen, wenn er mehrere Millionen hätte? Die Antworten kommen prompt:

„eine Ideenfabrik gründen, Reportagen über Umweltverbrechen finanzieren, eine Rock’n’Roll-Stiftung ins Leben rufen . ..“

Es ist Dienstag abend, Wolf möchte noch ein paar Telefonate führen, sich eine neue Band im Kölner Club „Luxor“ anschauen. Es war wieder einmal der Dday mit den Chart-Nachrichten. Maahns Neue ist – trotz inzwischen guter Abverkäufe – nicht mehr unter den Top 75 vertreten.