Apache 207: 3 zentrale Fragen, die sein Chart-Rekord mit „Roller“ aufwirft


Apache 207 knackt mit „Roller“ den Single-Chart-Rekord von „Last Christmas“. Das wirft Fragen auf. Wir beantworten sie.

Im Jahr 2023 schreibt Deutschrap noch immer die besten Geschichten, aber das Deutschrap dann auch Mal Geschichte schreibt, das, nun, das ist dann doch mittlerweile eher selten geworden. Diese Woche ist es aber wieder einmal passiert. Apache 207 hat mit seiner Hit-Single „Roller“ einen Rekord gebrochen. Der Song aus dem Jahr 2019, der auf Spotify bereits über 344 Millionen Mal gestreamt wurde, steht seit 161 Wochen in den Charts – und damit eine Woche länger als der bisherige Spitzenreiter „Last Christmas“ von Wham! Doch der neue Rekord wirft eine ganze Reihe von Fragen auf.

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Die erste Frage ist die Frage, die viele Kulturpessimist*innen gerne einmal rhetorisch in den Raum werfen, die Frage nämlich, welchen Wert ein Song denn eigentlich hat, der bloß gestreamt statt auch wirklich physisch gekauft wird. Ein Song also, für den Menschen bereit gewesen sind Geld für auszugeben, also Geld, was über die Monatsrate der heimischen Spotify-Flatrate hinausgeht. Wer die Frage nach der Wertigkeit von Streaming-Rekorden stellt, der beantwortet sie sich meistens schon selbst. Aber ganz so einfach ist es nicht.

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Deshalb ein paar Gedanken zu der Sache mit der Wertigkeit: Zum einen wird ein Stream logischerweise nicht mit dem Kauf einer physischen Einheit gleichgesetzt. Eine gekaufte Single (der Digitalpreis liegt bei rund 79 Cent) entspricht 100 Streams und wenn man jetzt nicht bloß von der monetären Dimension spricht, sondern von einer wirklichen Wertigkeit, dann muss man sagen, dass diese Rechnung doch halbwegs fair ist. Denn einen Song einhundert Mal zu hören dürfte doch in etwa der Wertschätzung entsprechen ihn für 79 Cent auf iTunes herunterzuladen oder ihn zu einer Zeit, in der es noch keine anderen Abspielmöglichkeiten gab, für 4,99 als Maxi-CD zu kaufen. Denn auch die Maxi-CD hat man, Hand aufs Herz, selten über einhundert Mal gehört. Zum anderen, auch das muss berücksichtigt werden, kann ja auch ein Song wie „Last Christmas“ heute noch gestreamt werden. Er steht also in einem direkten Wettbewerb zu Apaches „Roller“.

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Die zweite Frage, die sich stellt, ist die Frage, nach dem Warum. Warum Apache? Warum ein Rapper, ausgerechnet aus Ludwigsburg, ein Rapper, der gewissermaßen aus dem Nirgendwo kommt, der vor sechs Jahren noch nicht einen einzigen Song auf dem Markt hatte? Was macht Apache so anders, dass er in der Lage ist, den über Generationen gewachsenen Wham!-Rekord zu knacken? Sein pophistorischer Verdienst war es, den modernen Deutschrap im Mainstreampop aufzulösen. Apache 207 ist ein Kind der jüngeren Gangsta-Rap-Ära, die maßgeblich von dem Sound der KMN-Gang beeinflusst wurde. Die Künstler rund um Azet, Zuna und Miami Yacine bedienten sich den Relikten des alten, harten Straßenrap und reicherten diese mit einer zuckrigen Melodiösität und sehr, sehr viel Autotune an. Apache griff diesen Sound auf, nutzte die in der Jugendgeneration eingübten Codizes, befreite die Lyrics aber von der ihr typisch-innewohnenden Straßenikonografie – damit öffnete er den Sound für eine breite Masse.

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Dem im Deutschrap omnipräsenten Aufstiegssymbol vom Kaliber eines Mercedes AMG setzt Apache einen Roller entgegen. „Reden mir vom Koks und von Messerstechereien/ Doch sie müssen los, wenn unsre Roller wieder schrein“, heißt es und in „Thunfisch & Weinbrand“ geht er sogar noch einen Schritt weiter, wenn sein lyrisches Ich auf dem Rücksitz seines Maybachs darüber räsoniert, welches Auto er sich als Nächstes kaufen soll, und dann zu dem Schluss kommt, dass er dieses Game bereits durchgespielt hat, und die Entscheidung daher auf ein Fahrrad fällt. Ein Fahrrad, genau, damit kann sich der durchschnittsdeutsche Radiohörer identifizieren, das ist nur auf den zweiten oder dritten popgeschulten Blick irgendwie subversiv.

Die dritte und letzte Frage, die sich stellt ist, die Frage nach der Beständigkeit. Na klar, man darf „Last Christmas“ hassen, der Song wird dennoch für immer einen Platz im kollektiven, popkulturellen Gedächtnis behalten. Ob man in 25 Jahren auch noch über „Roller“ sprechen wird, dürfte fraglich sein. Aber das hängt weniger mit dem Song selber, als vielmehr mit unserem digitalen Zeitalter zusammen, in dem sich die grundsätzliche Wertigkeit von Musik verändert hat. Um hier den Kulturpessimist*innen, die dankenswerterweise doch noch nicht nach dem ersten Absatz ausgestiegen sind ein stückweit entgegen zu kommen: Natürlich hat Musik heute eine andere gesellschaftliche Funktion als noch vor 25 Jahren. Das liegt auch daran, dass sie allverfügbar ist, dass die Bindung, die man zu einer physischen Platte aufbaut, zwangsläufig eine andere ist, als die Bindung, die man zu einem digitalen Datenpaket hat.

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Grundsätzlich ist die Bindung an die Musik eine andere, wenn ihre Verfügbarkeit nicht bloß einen Swipe entfernt ist. Musik zu entdecken und Musik zu hören ist im Jahr 2023 schlichtweg eine andere Kulturtechnik, als sie das noch vor 25 Jahren war und das bedingt, dass ein Song ist in den meisten aller Fälle gegenwärtig für viele Menschen kein eigenständiges Kunstprodukt mehr, sondern bloß noch Bestandteil einer sich ständig aktualisierenden Playlist, die den Soundtrack eines Sommers oder vielleicht auch nur eines Urlaubs bildet. „Roller“ ist ein Synonym dieser Zeit. Vielleicht wird der Track aber auch genau dafür in Erinnerung bleiben.

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